Georg Häsler: «Die digitalen Angebote haben vor allem das Publikum befreit»

Publiziert am 27. Oktober 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Georg Häsler, Redaktor für Sicherheitspolitik an der «Neuen Zürcher Zeitung». Er sagt: «Noch immer stehen jeden Tag Journalistinnen und Journalisten auf, die den Zustand des Landes, der Gesellschaft und die Schicksale der Menschen umtreiben.» Ob die Medienhäuser diesen Impetus und Einsatz wirklich zu schätzen wüssten, das stehe aber auf einem anderen Blatt. Er ist deshalb auch überzeugt, dass gedruckte Tageszeitungen Zukunft haben: «Sie werden ein Revival erleben. Sie müssen ein Revival erleben. Vielleicht nicht als Tageszeitungen, sondern als gepflegte Konzentrate der Online-Ausgaben am Samstag.» Er ist aber auch überzeugt, dass «wir uns vom Reflex-Journalismus des 20. Jahrhunderts verabschiede» müssen. Vor allem junge Leute «fallen nicht mehr auf unsere Reizwörter in den Schlagzeilen herein». 

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Die «NZZ», natürlich, als ePaper und digital. Dazu der «Tagi» in Form des Rest-Bunds – dann die internationalen Schlagzeilen.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Twitter ist für die Bewirtschaftung meiner Spezialisierung nützlich. Einerseits als Quelle, weil mir der Algorithmus unterdessen eine gute Auswahl an Fachartikeln zuspielt, andererseits als Marktplatz für den Austausch mit einer spezifischen Community, die sich für Sicherheitspolitik interessiert.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Als akkreditierter Bundeshausjournalist erlebe ich nach wie vor eine Art Innensicht der Krise. Mich beschäftigt, wie stark die Behörden die Narrative der Schweizer Behörden prägen konnten. Während der ersten Welle war dies angesichts der ungewissen Lage noch nachvollziehbar. Dass es die «Kernbotschaften» des Innendepartements und des Bundesamts für Gesundheit aber noch immer kaum hinterfragt in die Headlines schaffen, ist möglicherweise eine der Ursachen für eine gewisse Skepsis weiter Teile der Bevölkerung gegenüber dem Krisenmanagement des Bundes.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Vieles ist gar nicht so schlecht. Noch immer stehen jeden Tag Journalistinnen und Journalisten auf, die den Zustand des Landes, der Gesellschaft und die Schicksale der Menschen umtreiben. Ob die Medienhäuser, ob öffentlich oder privat, diesen Impetus und Einsatz wirklich zu schätzen wissen, steht auf einem anderen Blatt. Sagen wir es diplomatisch: Es ist ein Privileg für die «NZZ» zu schreiben. Der liberale Geist des Hauses erlaubt den Autorinnen und Autoren ein hohes Mass an Freiheit und Autorenschaft. 

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja, möglicherweise mehr als in den goldenen Zeiten von Radio und Fernsehen. Allerdings verdienen sie, geformt zu Sätzen und verwoben zu Texten, mehr Achtsamkeit. Mir sind die Aphorismen der Sozialen Medien oder ungeschliffene Konstruktionen lieber als die einschläfernde, Objektivität vorgaukelnde Formelhaftigkeit der journalistischen Standardsprache. Die Zukunft der geschriebenen Worte liegt in der Lust auf Eleganz, dem Mut zur Neuschöpfung und dem Drang zur Eigenständigkeit.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Literatur. Klassiker aus dem Kanon und Neuerscheinungen. Alles kreuz und quer. Journalismus funktioniert nicht ohne Literatur. Gerade beschäftigen mich Ulrich Bechers Jahrhundertroman «Murmeljagd» oder Mathis Énards «Zone». Die beiden Werke handeln von der kriminellen Energie, die uns das 20. Jahrhundert hinterlassen hat. Dazu entdecke ich gerade die Kraft südamerikanischen Literatur. Diesen Sommer las ich «La Fiesta del Chivo» von Mario Vargas Llosa über die Trujillo-Diktatur von in der Dominkanischen Republik – ausgerechnet in Gjrokaster, dem Geburtsort von Enver Hoxha, der Albanien jahrzehntelang im Würgegriff hielt. Der Kraft der Literatur liegt in ihrer Allgemeingültigkeit.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lese langsam, aber stur. Ich schaffe es auch nicht, Filme abzubrechen. Dafür bin ich ein furchtbarer Schlagzeilen-Scanner in meinem täglichen Medien-Konsum.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Kino, auf Plattformen wie Filmingo. 

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Sie werden ein Revival erleben. Sie müssen ein Revival erleben. Vielleicht nicht als Tageszeitungen, sondern als gepflegte Konzentrate der Online-Ausgaben am Samstag – oder so. Aber ich bin Autor, kein Martkforscher.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Chance. Die Leserinnen und Leser sind kritischer geworden. Unschärfe liegt nicht mehr drin, aber auch die sinnlose Zuspitzung müssen wir hinterfragen. Das sage ich übrigens durchaus selbstkritisch.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Als Fernsehmensch liebte ich die Magie der Live-Sendung. Aber l’art pour l’art reicht nicht. Es braucht ein Bedürfnis des Publikums nach Unmittelbarkeit. Dies ist gegeben bei Sportanlässen – oder Krisen. Doch die SRG hat während der Pandemie Konkurrenz vom Youtube-Kanal der Bundeskanzlei erhalten. Das sollte einen Denkprozess auslösen – ebenso, dass an Demos die Live-Streams von den Protestierenden selbst geliefert werden, egal ob Klimajugend oder Massnahmenkritiker. 

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Das ist ein Medium, das ich nicht kenne. Ich laufe ohne Kopfhörer herum.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Vielleicht sind die Medien schlicht zu anbiedernd. Wir müssen uns vom Reflex-Journalismus des 20. Jahrhunderts verabschieden. Die jungen Leute fallen nicht mehr auf unsere Reizwörter in den Schlagzeilen herein. 

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ein dystopischer Gedanke. Roboter verarbeiten, was die Kommunikationsprofis der Firmen und Behörden vorfabrizieren. Da hoffe ich auf einen aufklärerischen Urknall bei der nachkommenden Generation. 

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Sie stimuliert uns Journalistinnen und Journalisten. Sie zwingt uns, auf unsere Leserinnen und Leser einzugehen. Die digitalen Angebote haben vor allem das Publikum befreit.  

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ja, wenn er intelligent und elegant daherkommt, freiheitlich, für mündige Bürgerinnen und Bürger.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Fast nur noch Widmungen in Bücher, die ich den Menschen schenke, die mir wichtig sind.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er steht für eine Epoche, deren Ende noch nicht absehbar ist. Vielleicht sind wir auch deshalb so erschrocken, weil wir im Spiegel plötzlich das Gesicht von Trump gesehen haben. Trump ist das Kondensat der medialen Welt der letzten dreissig Jahre. Ob uns das passt oder nicht.

Wem glaubst Du?

Autorinnen und Autoren, die in ihren Text für etwas einstehen, eine Haltung haben – und mir erlauben, zu widersprechen.  

Dein letztes Wort?

Journalismus macht man nicht für User, sondern für ein Publikum, gerade in einer res publica.


Georg Häsler
Georg Häsler wurde am 30. Juni 1972 in Bern geboren und studierte Klassische Philologie in Bern und Basel. Er ist Redaktor für Sicherheitspolitik an der «Neuen Zürcher Zeitung» und akkreditierter Bundeshausjournalist. Seine Lern- und Wanderjahre führten ihn über den Dokumentarfilm zur SRG: Ab 2002 arbeitete er für das Schweizer Fernsehen – unter anderem als Autor und Produzent für die Sendungen «Schweiz aktuell» und «Rundschau». Zudem war er SRF-Korrespondent auf dem Westbalkan mit Sitz in Belgrad. Häsler lebt in Bern, Belgrad und Lausanne.
https://www.nzz.ch/ 


Basel, 27. Oktober 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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