Gabriella Baumann-von Arx: «Für die Medien ist Donald Trump eine Komödie, für die Welt eine Tragödie»

Publiziert am 11. November 2020 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute: Autorin und Verlegerin Gabriella Baumann-von Arx. Sie macht sich Sorgen darüber, «dass die jungen Menschen je länger je weniger Bücher lesen. Was für einen grossen Verlust sie dadurch erleiden, wird ihnen wohl erst viel später klar.» Sie sagt, Medienschaffende hätten früher mehr Zeit gehabt: «Heute muss alles möglichst schnell publiziert werden. Die Exaktheit bleibt dabei leider oft auf der Strecke.» Zudem werde vieles am Schreibtisch erledigt, «dabei wäre es doch so wichtig, die Redaktion zu verlassen, um draussen zu recherchieren und die Menschen in ihrem Umfeld zu interviewen.» Weil wir «Medien in Zukunft anders konsumieren», werde sich auch «der Journalismus neu definieren müssen». Wenn das gelinge, werde die Digitalisierung «für die Medienschaffenden eine Befreiung sein».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Der «Tages-Anzeiger».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Privat interessieren mich die sozialen Medien überhaupt nicht. Geschäftlich schon. Das Handling der Inhalte habe ich allerdings delegiert.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Nicht.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Mich dünkt, früher hatten die Journalistinnen und Journalisten mehr Zeit. Heute muss alles möglichst schnell publiziert werden. Die Exaktheit bleibt dabei leider oft auf der Strecke. Hinzu kommt, dass weniger Zeit zu haben auch bedeutet, dass vieles am Schreibtisch erledigt werden muss, dabei wäre es doch so wichtig, die Redaktion zu verlassen, um draussen zu recherchieren und die Menschen in ihrem Umfeld zu interviewen. Soviel zum «schlechter».

Was besser ist? Durch die elektronischen Möglichkeiten sind Information heute viel schneller erhältlich und können entsprechend zeitnah mit der Leserschaft geteilt werden.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Was wäre ich für eine Verlegerin, wenn ich diese Frage mit «Nein» beantworten würde? Und was wäre eine Zukunft ohne das geschriebene Wort?!

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Momentan gerade? Ein sehr aktuelles Buch vom Wörterseh – nämlich «LOCKDOWN» das Sachbuch des Recherchedesks der Tamedia. Wir bekommen nur absolut positive Rückmeldungen zu der ebenso klaren, wie spannenden und berührenden Aufarbeitung einer Zeit, die uns wohl noch eine Weile beschäftigen und gewiss für immer in Erinnerung bleiben wird.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich kann mehr als schlechte Bücher weglegen, ich kann sie wegschmeissen. Und zwar bevor ich sie zu Ende gelesen habe.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Mal abgesehen von den herkömmlichen Medien immer wieder auf Netflix.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Gute Frage – einfache Antwort: Ich weiss es nicht.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Ein Blick über den grossen Teich genügt.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Radio höre ich täglich. Am Morgen Radio SRF 2, durch den Tag oft Radio SRF 1 und am Abend das «Echo der Zeit» von SRF1. Fernsehen schaue ich nie live.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Eher selten. Meinen Lieblingspodcast allerdings höre ich – früher als alle anderen. Jenen des «Sanitas Health Forecast», den mein Mann für Branders produziert.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Sicher nichts Gutes. Mehr Sorgen macht mir aber, dass die jungen Menschen je länger je weniger Bücher lesen. Was für einen grossen Verlust sie dadurch erleiden, wird ihnen wohl erst viel später klar.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Das wäre eine Katastrophe. Wo bliebe die Empathie? Wo die Zärtlichkeit, die man mit Worten ausdrücken kann? Wo die scharfe Zunge?

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Wir werden Medien in Zukunft anders konsumieren und deshalb wird sich auch der Journalismus neu definieren müssen – selbstverständlich ohne die journalistische Ethik zu vernachlässigen. Gelingt das, wird es für die Medienschaffenden eine Befreiung sein.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Absolut! Wir brauchen gut recherchierte, klar formulierte Artikel, die uns weiterbilden, die Missstände aufdecken und die allen sozialen Schichten eine Stimme geben.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Leider viel zu selten.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Für die Medien ist er eine Komödie, für die Welt eine Tragödie.

Wem glaubst Du?

Ich vertraue auf mein Bauchgefühl.

Dein letztes Wort?

Amen.


Gabriella Baumann-von Arx
Gabriella Baumann-von Arx (59) ist Verlegerin des 2004 gegründeten Wörterseh Verlages, der jedes Jahr mehrere Bestseller herausbringt. Davor arbeitete sie als Journalistin und schrieb diverse Bücher. Darunter drei über die Entwicklungshelferin Lotti Latrous und eines über den Extrembergsteiger Ueli Steck. Heute konzentriert sie sich darauf, guten Büchern die Sorgfalt zukommen zu lassen, die gute Bücher verdient haben. www.woerterseh.ch

Lockdown

Das von Gabriella Baumann erwähnte Buch «Lockdown» ist in der Tat ein faszinierendes Buch. Ich habe es deshalb kürzlich als mein Sachbuch der Woche empfohlen. Im Frühjahr 2020 begleiteten 14 Journalistinnen und Journalisten von Tamedia besonders exponierte Menschen in der Schweiz durch die Coronakrise. Unter den Begleiteten sind Bundesrat Alain Berset,  Epidemiologe Marcel Salathé, eine Spitalapothekerin, drei Geschwister, die innert weniger Tage beide Eltern an Covid-19 verloren, eine Pflegefachfrau, die in einem Altersheim Verstorbene einsargen musste, eine Notfallärztin, die während der Krise Tagebuch führte, aber auch Infizierte – unter ihnen ein Tessiner Gemeindepräsident. Im Buch kommen die Menschen zu Wort. Die zum Teil sehr emotionalen Äusserungen sind verwoben mit vertraulichen Protokollen von über 50 Krisensitzungen in Bundesbern. Auf diese Weise ist eine spannende und äusserst lehrreiche Chronik des Lockdowns entstanden – des ersten Lockdowns, wie wir wohl jetzt sagen müssen.

Details zum Buch gibt es hier: www.matthiaszehnder.ch/buchtipp/lockdown/


Basel, 11. November 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:
www.matthiaszehnder.ch/abo/

 

Ein Kommentar zu "Gabriella Baumann-von Arx: «Für die Medien ist Donald Trump eine Komödie, für die Welt eine Tragödie»"

  1. Populistisch sei er, der Herr Trump, anbiedernd, unteres Niveau – oder eben „eine Tragödie“, so G. Baumann-Von Arx.
    Ich darf erinnern, dass ihr Mann, Frank Baumann mit den Sendungen „Ventil“ und „Streetlife“ bei TV-SRF begann, dass „Primitiv-TV“, das „Unterschichten-TV“ einzuläuten.
    Mit Staats/Gebührengeldern wurden in „Ventil“ auf übelste Weise Zuschauer beschimpft, niedergemacht oder mit dem „berühmten“ Ventil-Hebel „abgestellt“. Auch bei „Streetlife“ wurde auf der Strasse (ganz nach RTL oder SAT1-Manier) ganz primitiv mit Geldscheinen um sich geworfen und „Kalbereien“ gemacht.
    Der Beginn des Primitiv-TV´s, Frank Baumann hat in der Schweiz damit begonnen, „grosses Aufsehen“ erregt, viele Zuschauer aufgeregt und Aufmerksamkeit erhalten.
    Was aus dem TV damit geworden ist, sieht man heute. Man muss es nur einschalten.
    ICH WEISS – Frau Baumann ist nicht Herr Baumann, trotzdem – sich so edel und hochgebildet geben, mit dem Eiffelturm-Zeigefinger auf Anderes zeigen (z.B. Herr Trump) ist in diesem Falle kaum angebracht – dies mein Denken zu dieser Sache. Ich habe etwas gegen Widerspruch und Doppelzüngigkeit. Da passt mehr als Viel nicht zusammen…. Darf ich so Empfinden nach dem Lesen dieses Fragebogens und dem schauen dieses „Hochkulturvideos“?

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