Franziska Schläpfer: «Beim Fernsehen schlafe ich ein»

Publiziert am 2. September 2020 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – im Sommer mit Schweizer AutorInnen. Heute: Sachbuch-Autorin Franziska Schläpfer. Sie sagt, die Vielfalt der Schweizer Medien sei früher zwar grösser gewesen, aber «die Professionalität partiell schlechter». Am meisten vermisse sie die frühere Fülle der Kulturressorts: «Quer durchs Land dieselben Besprechungen derselben paar Bücher lesen zu müssen, langweilt.» Ihr neustes Buch handelt von der Liebe zwischen illustren Schweizer Paaren – ihr Lieblingsbuch von Schnecken.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

«Süddeutsche Zeitung», «NZZ», «Tages-Anzeiger».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Gar nicht. Dafür fehlt mir die Zeit.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich hatte mehr Zeit für Bücher, Briefe, Tischgespräche.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder noch. Die Vielfalt war grösser, die Professionalität partiell schlechter. Am meisten vermisse ich die frühere Fülle der Kulturressorts, deren meinungsbildende Verlässlichkeit. Quer durchs Land dieselben Besprechungen derselben paar Bücher lesen zu müssen, langweilt. Eine Chance für Lokal- und Regionalblätter!

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Was für eine Frage!

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Elisabeth Tova Bailey: «Das Geräusch einer Schnecke beim Essen», 2012, Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München. Schnecken faszinieren mich. In unserem Garten, einst ein Weinberg, leben Weinbergschnecken, Schnirkelschnecken – und unter den Nacktschnecken der nachtaktive Tigerschnegel. Seit Baileys hinreissender Expedition ins Reich dieses komplexen Zwitterwesens kann ich nicht genug erfahren über die Schnecke als Liebeskünstlerin und Lehrmeisterin einer heilsamen Langsamkeit. Die Autorin, durch einen gefährlichen Virus fast bewegungslos ans Bett gebunden, wendete ihre ganze Aufmerksamkeit einer Schnecke im Blumentopf neben ihrem Bett zu – und verbindet charmant Biologie, Kulturgeschichte und poetisches Staunen.

Florian Werners vergnüglich gelehrtes Schneckenporträt in der wundervollen Reihe «Naturkunden» ergänzt Baileys Erzählung attraktiv und anschaulich. Florian Werner: «Schnecken. Ein Porträt.» Naturkunden Nr. 20, hrsg. von Judith Schalansky bei Matthes & Seitz, 2015 Berlin.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Je kürzer die Lebensfrist, desto schneller lege ich sie weg – gelangweilt bis verärgert.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Alles über Heavy-Metal-Musik vom Enkel. Im Spitalzimmer Einblicke ins Leben einer Kosovo-Albanierin in der Schweiz. Als Coach literarischer Diplomarbeiten Science-Fiction- und Fantasy-Geschichten. Als Lektorin eines Lokalblatts die mentalen Tricks der U16-Leichtathletik-Schweizermeisterin im Fünfkampf.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

So lange das Klima mitmacht.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Kommt drauf an, wie mündig die Leute sind.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Radio höre ich im Auto und in der Küche. Beim Fernsehen schlafe ich ein.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Nein.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Für die Medien: Irgendetwas funktioniert nicht mit dem herkömmlichen News-Journalismus.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Der routinierte, ja. Sogar besser.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Digitalisierung wird wohl trennen zwischen standardisierten und kreativen Tätigkeiten. Soweit Journalismus kreativ ist, könnte er gewinnen.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Unbedingt.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Oft und mit Füller: persönliche Briefe, Dankes- und Gratulationskarten, Reisetagebuch.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schlecht. Gut für mich, ich bin schneller durch mit den Zeitungen.

Wem glaubst Du?

Leuten mit Erfahrung.

Dein letztes Wort?

Neugierig bleiben.


Franziska Schläpfer
Franziska Schläpfer schreibt seit über 50 Jahren. Erst für die «Appenzeller Zeitung», nach einer späten Buchhändler-Lehre als Redaktorin für das St. Galler Tagblatt, schliesslich als verantwortliche Redaktorin der schweizerischen Fachzeitschrift für die Buchbranche (Der Schweizer Buchhandel). Seit 1996 freischaffende Kulturjournalistin. Sie ist Autorin von Sachbüchern und diversen Biografien, darunter etwa die Biografie von Trudi Gerster und «1414 – die Erfolgsgeschichte der Rega».

Die Liebe ist ein schreckliches Ungeheuer

Das neuste Buch von Franziska Schläpfer handelt von der Liebe zwischen illustren Schweizer Paaren: Es sind ungewöhnliche Liebesgeschichten zwischen ausserordentlichen Persönlichkeiten, neun Paaren, die im 20. Jahrhundert in der Schweiz in spannungsreichen Beziehungen lebten. Das Buch handelt von der Schauspielerin Anne-Marie Blanc und  dem Filmpionier Heinrich Fueter. Von der Kinderbuchexpertin Bettina Kiepenheuer und dem Fotojournalisten Martin Hürlimann, die gemeinsam den Atlantis-Verlag gründeten. Von der russischen Sozialrevolutionärin Lidija Petrowna Kotschetkowa und dem Zürcher Sexualreformer Fritz Brupbacher. Von Silvia Bezzola und Ernst Scherz, die das «Palace Gstaad» durch den Zweiten Weltkrieg führten. Vom Innerschweizer Künstlerpaar Annemarie Gunz und Hans von Matt, die sich in eine Liaison mit dem Priester und Schriftsteller Josef Vital Kopp verstrickten. Von der Engadiner Schriftstellerin Johanna Gredig und dem Bergeller Zöllner Agostino Garbald. Von der Kabarettistin Elsie Attenhofer und dem ETH-Rektor und Staatsdenker Karl Schmid. Von Jenny Sulzer und Sidney William Brown, dem Gründer der Brown, Boveri und Cie. Und von S. Corinna Bille und Maurice Chappaz, dem poetischen Traumpaar der Suisse romande.

Franziska Schläpfer: Die Liebe ist ein schreckliches Ungeheuer. Illustre Schweizer Paare. Hier + Jetzt Verlag, 240 Seiten, 39 Franken; ISBN 978-3-03919-470-4

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783039194704


Basel, 2. September 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Ein Kommentar zu "Franziska Schläpfer: «Beim Fernsehen schlafe ich ein»"

  1. „Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?“
    „So lange das Klima mitmacht.“
    „Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?“
    „Radio höre ich im Auto.“
    Von mir keine Anklage. Nur, dies sind die allgegenwärtigen Widersprüche bei uns in unserer Zeit.
    Darf man, muss man, kann man damit Leben?

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