Franziska Engelhardt: «Gute Podcasts sind wie Kino im Kopf»

Publiziert am 22. September 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Franziska Engelhardt, Journalistin und Audioproduzentin. Sie sagt, die Bandbreite sei heute viel grösser. «Ich kann die «Republik» lesen, gezielt Podcasts hören, es gibt unabhängige lokale Plattformen mit gutem Inhalt – die Auswahl ist nicht mehr auf wenige, mächtige Titel beschränkt». Die Digitalisierung habe «unheimlich viel möglich gemacht für neue Medien. Aber die Finanzierung ist das grosse Fragezeichen.» Sie warnt eindringlich vor dem Begriff «Fake News»: «Wir Journalisten lassen uns instrumentalisieren, wenn wir diesen Begriff ständig wiederholen. Trumps Spindoktoren haben ihn sich ausgedacht, um die Medien zu diffamieren.» Für sich selbst hofft sie, dass «es noch mindestens so lange gedruckte Zeitungen gibt, bis ich wieder mehr Zeit dafür habe.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

«Heute Morgen» von SRF4-News. Kompakt Info übers Ohr. Und vor dem Schlafen noch die letzten SRF-Nachrichten. Das gibt mir immerhin das Gefühl von einem Weltüberblick.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Ich habe den Twitter-und Insta-Zug irgendwie verpasst. Auf Facebook tümmle ich mich noch herum, aber eher privat. Ich zelebriere es gar ein bisschen, diese Koexistenz zu ertragen – weil ja journalistisch alles auf den anderen Kanälen passiert – aber liebäugle gleichzeitig auch immer wieder mal mit einem Sprung auf den verpassten Zug.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich mache mehr Sport, wenn ich auf Audiorepo gehe – weil das Mikro an einer langen Boom-Stange befestigt ist, um den Abstand zu den Interviewpartner:innen zu wahren. Das gibt gute Bizeps. Und ohne Stange sitzt die Maske auf dem Gesicht. Das ist jetzt vom Klang her auch nicht optimal… aber immerhin kann man überhaupt wieder raus für Aufnahmen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Vorher hob ich das Negative hervor, drum jetzt der Fokus auf das Bessere: Heute ist die Bandbreite viel grösser. Ich kann die «Republik» lesen, gezielt Podcasts hören, es gibt unabhängige lokale Plattformen mit gutem Inhalt – die Auswahl ist nicht mehr auf wenige, mächtige Titel beschränkt.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Aber natürlich. Auch wenn ich das Gesprochene bevorzuge.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Für mich momentan grad Magazine wie «Fritz und Fränzi». Und sonst kann ich eher sagen: Was soll man unbedingt «hören». Der deutsche Podcast «Noise» von Journalist Khesrau Behroz – er ist die aktuelle Nachfolge-Produktion des ebenfalls aktuellen Podcasts «Cui Bono – WTF happened to Ken Jebsen». «Noise» fokussiert auf die anstehende Bundestagswahl, den medialen Lärm aus Falschinformationen und Irreführungen, aus Fake News.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich beisse mich fast immer durch, weil ich nichts verpassen will (FoMO-Alarm ) und weil ich gerne daran glaube, dass noch was kommt, das mich überrascht. «Fifty Shades of Grey» war eine der wenigen Ausnahmen. Da habe ich die Hoffnung auf Besserung nach etwa 20 Seiten aufgegeben.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Wohl am meisten durch Schwärmereien von Menschen, die ich schätze.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Mein Medienkonsum hat sich mit einem Kleinkind drastisch verändert. Das tägliche oder auch das gemütliche Zeitunglesen am Sonntagmorgen ist kaum mehr. Aber wenn ich lese, halte ich immer noch am liebsten physisch Papier in der Hand. Drum hoffe ich für mich persönlich, dass es noch mindestens so lange gedruckte Zeitungen gibt, bis ich wieder mehr Zeit dafür habe.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Mir stehen schon beim Begriff die Haare zu Berg. Auch weil er sich in den Wortschatz sehr vieler Menschen eingenistet hat. Und mir jedes Mal, wenn ihn jemand benutzt, Trump vor mein inneres Auge springt. Wir Journalisten lassen uns instrumentalisieren, wenn wir diesen Begriff ständig wiederholen. Trumps Spindoktoren haben ihn sich ausgedacht, um die Medien zu diffamieren.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Gelegentlich läuft bei mir tatsächlich noch lineares SRF-Radio. «Persönlich», «Sounds» & Co. oder auch mal biz trashig, die «WochenRundShow». Das gibt mir ein heimeliges Gefühl. Aber eigentlich keine Info-Sendungen. Linear TV schaue ich schon ewig nicht mehr. Ich bin sehr auf „listen on demand“.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich höre ständig Podcasts. Weniger die Gesprächspodcasts, viel lieber die recherchierten, seriell erzählten. Kürzlich hat ein Bekannter von mir, Kulturschaffender, erstmals einen solchen Podcast gehört. Er sagte erstaunt: Das sei ja wie ein Theaterstück – oder ein Film. Kino im Kopf. Klingt etwas abgedroschen, aber das ist eigentlich genau der Anspruch, auch für meine eigene Arbeit. Einer meiner aktuellen Favoriten aus Deutschland habe ich vorher bereits erwähnt. Aber es gibt auch in der Schweiz immer mehr solch aufwendige Produktionen, was mich sehr glücklich macht.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ich finde das ähnlich beklemmend wie der Fakt, dass ein grosser Teil der Menschenbevölkerung nichts mehr vom Klimawandel hören mag.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Wenn man Geld sparen möchte, dann können Roboter vermutlich gewisse Ressourcen ersetzen. Aber kann Künstliche Intelligenz auch kreativ sein? Ich empfehle dazu: den Super-Nova-Podcast hören.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Beides und weder noch. Die Digitalisierung hat unheimlich viel möglich gemacht für neue Medien. Aber die Finanzierung ist das grosse Fragezeichen. Ich sehe das ganz konkret auch in meiner aktuellen Haupttätigkeit. Meine Audioproduktionen stehen gratis zur Verfügung auf allen Podcast-Apps. Das Geld für die Arbeit muss von anderen Quellen zusammenkommen, was wiederum mehr Zeit und Aufwand bedeutet.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Auf jeden Fall. Das wird immer gefragt sein. Ich denke aber, es wird weniger Journalist:innen geben, die alleine davon leben können.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Klar. Sowieso Geburtstagskarten. Aber ich schreibe auch allerlei in Moleskin-Notizbücher – und übertrage dann das Wichtigste in eine digitale Notiz. Inneffizient. Dafür doppelt abgespeichert im Hirn.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schlecht.

Wem glaubst Du?

Früher bedingungslos meiner Mutter. Jetzt, im Sinne einer Weitergabe an die nächste Generation, irgendwie mir.

Dein letztes Wort?

Entspannen (steht auch auf meinen Mac-Bildschirm, wenn er in den Ruhezustand fällt). Vielleicht mach ich doch keinen Insta-Account.


Franziska Engelhardt
Franziska Engelhardt ist Journalistin und Audioproduzentin – freiberuflich und angestellt bei der Podcast-Schmiede. Sie produziert mit Vorliebe seriell erzählte Audio-Geschichten. Ihr Podcast «Zündstoff» (Republik) wurde mit dem Swiss Press Audio 2020 ausgezeichnet. Journalistin ist sie seit 2005, war bei SRF, der NZZ und in zahlreichen Ländern Lateinamerikas für Reportagen unterwegs. Sie ist Mitgründerin des Reporter:innenforums sowie der Storytelling Agentur Elephant Stories und Stiftungsrätin des Schweizer Presserats.
http://www.franziskaengelhardt.ch/


Basel, 22. September 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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