Franz Fischlin: «Desinformation führt zu Panik»

Publiziert am 26. Februar 2020 von Matthias Zehnder

«Journalismus ist mein Traumberuf!» Das sagt Franz Fischlin, Moderator von Tagesschau und Medienclub. Im Fragebogeninterview gibt er Auskunft über seinen eigenen Mediengebrauch und die Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Fischlin sagt, die Kernaufgabe von professionellen Journalisten sei es, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, kritisch und unabhängig zu berichten. Doch: Diese Aufgabe gerate «mehr und mehr unter Druck. Und es wird zunehmend schwierig, diese Art von Journalismus zu finanzieren.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Mein Medienkonsum beginnt schon vor dem Frühstück, wenn Augen und Kopf hungrig sind. Den ersten News-Appetit stille ich via Online-Medien, dann höre ich Radio und zum Dessert, respektive während des Frühstücks lese ich ganz altmodisch die Zeitungen, welche ich aus dem Briefkasten fische.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Ich bin ein Späteinsteiger. Bin erst seit einem Jahr dabei. Und auch «nur» auf Twitter. Facebook habe ich verpasst. Instagram ist nicht so mein Ding. Obwohl ich ausgebildeter Fotograf bin. Aber ich bin kein Selfie-Typ. Zudem würde ich auf Instagram nur Fotos rund um meinen Job posten. Ich mache da eine klare Trennung zwischen Beruf und Privatleben. Das war schon früher so und das will ich auch im Social-Media-Zeitalter nicht ändern.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Ich gehe sofort online, schalte Radio und TV ein. Und wenn ich frei habe, rufe ich in der Redaktion an und frage, ob ich aushelfen kann. Wenn es während der Arbeitszeit passiert, dann bin ich, was Informationsquellen betrifft, natürlich bestens bedient. Habe neben den normalen Kanälen (Online, Radio und TV), meine Redaktionskolleginnen und -kollegen, alle Agenturen und unsere Korrespondentinnen und Korrespondenten, mithilfe derer ich mich optimal informieren und auf eine Sondersendung vorbereiten kann.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder noch. Die Zeiten sind kaum zu vergleichen. Bei den Zeitungen gab es früher vielleicht eine grössere Medien- und somit auch Meinungsvielfalt. Aber die Qualität des Journalismus war früher nicht besser und auch nicht schlechter. Was ich beobachte, ist, dass sich die Medienbranche fundamental gewandelt hat. Früher bestimmten die Angebote die Nachfrage. Zeitungsverlage, Radio- und Fernsehstationen produzierten Inhalte, und setzten die Zeit fest, wann was gesendet wurde oder druckfrisch bereit lag. Das Publikum hatte sich danach zu richten. Heute bestimmen Nutzerinnen und Nutzer, welche Inhalte, welche Themen, welche Geschichten sie haben wollen. Und auch wann. Aus dem Angebots- ist zunehmend ein Nachfrage-Markt geworden. Das hat viele Vorteile. Aber es besteht – so finde ich – die Gefahr, dass zu oft vor allem das produziert wird, was eine Mehrheit des Publikums will, was gut geschaut, gehört und geklickt wird. Relevante, anspruchsvolle, komplexe, zuweilen trockene Themen haben es schwer. Und die eigentliche Kernaufgabe von uns professionellen Journalistinnen und Journalisten, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, Vierte Gewalt im Staat zu sein, kritisch und unabhängig zu berichten, gerät mehr und mehr unter Druck. Und es wird zunehmend schwierig, diese Art von Journalismus zu finanzieren.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja. Davon bin ich überzeugt. Es ist einfach eine Frage, wo in Zukunft die Worte zu finden sind und gelesen werden. Die Digitalisierung wird weiter voranschreiten. Und so werden auch immer mehr Menschen die Worte digital konsumieren. Aber, wie man an der Entwicklung des Buches sieht, ist auch das gedruckte Wort noch lange nicht tot. Der Verkauf und Konsum von Büchern hat jüngst weltweit wieder zugenommen. Das habe ich jedenfalls gelesen.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lege schlechte Bücher weg. Nicht gleich nach den ersten zwei, drei Seiten. Aber wenn mich die Geschichte nicht packt oder schlecht geschrieben ist, nutze ich die Lebenszeit lieber für ein anderes, besseres Buch.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Eine meiner Lieblingslektüren ist die «Zeit». Da entdecke ich immer wieder mir unbekannte Themen. Viele Artikel sind halt auch einfach wunderbar geschrieben. Oder auch im Magazin «Reportagen» begegne ich Neuem.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Wenn ich diese Frage Medienstrategen und Verlagshäuser gegenüber beantworten könnte, dann würde ich erstmals in meiner Karriere reich. Nein, Spass beiseite. Ich denke, dass dies niemand voraussagen kann. Die Entwicklungen und Veränderungen gehen rasend vonstatten. Man muss nur schauen, wie schnell sich die Social Media-Welt verändert. Gestern war Facebook angesagt, heute sind es Instagram und TikTok, morgen ist es etwas, was noch niemand richtig auf dem Radar hat. Und das hat auch einen Einfluss auf die alte Medienwelt. Darauf, wie lange man sich beim Lesen der Zeitung noch (mit Druckerschwärze) die Finger dreckig macht.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Für die traditionellen Medien erachte ich die Diskussion um Fake News als Chance. Das Bedürfnis der Leute, echte News von Fake News unterscheiden zu können, ist und bleibt gross, wird in Zukunft wohl noch grösser. Also ist es an uns Medienschaffenden, den nötigen Recherche-Aufwand zu betreiben, News zu verifizieren, lieber einmal zu viel eine Quelle zu checken, bevor wir etwas vermelden. Am aktuellen Beispiel Coronavirus zeigt sich auch, wie gefährlich Fake News sind. Die Desinformation führt zu Panik. Oder da sind im Netz vermeintliche Heilungsmethoden oder Prophylaxemassnahmen zu finden, die reiner Quatsch und deshalb höchst gesundheitsgefährdend sind. Es ist an uns klassischen Medien, dies aufzuzeigen. So nach dem Motto: Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie …klassische Medien.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Beides läuft bei mir nach wie vor. Insgesamt aber natürlich weniger als auch schon.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Für unsere direkte Demokratie ist die Zunahme der News-Deprivierten sicher keine gute Nachricht. Denn es besteht die Gefahr, dass jene Menschen, die News vermeiden, nicht an genügend differenzierte Informationen gelangen oder auch nicht mit unterschiedlichen Meinungen konfrontiert sind. Und genau das, möglichst viele Informationen und verschiedene Positionen, ist die Grundlage, um sich eine eigene Meinung zu bilden, um abstimmen, wählen zu können und auch zu wollen. Ich verstehe es als unsere zentrale Aufgabe, dieser Entwicklung entgegenzutreten.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Dort, wo es um Zahlen, Statistiken, um Abstimmungs- oder Sportresultate, um Kurznews oder Ähnliches geht, da können Roboter sicher einen ebenso guten Job machen wie wir Menschen. Aber der Roboter ist (noch) nicht imstande, eine substanzielle Analyse oder Einordnung zu leisten, ein spannendes Interview zu führen oder eine gute Geschichte zu schreiben. In absehbarer Zeit zumindest. Zum Glück.

Wäre die Medienwelt eine andere, wenn Frauen in den Medien mehr zu sagen hätten?

Ja, das glaube ich. In der Medienbranche gibt es eindeutig zu wenig weibliche Führungskräfte. Da besteht ein grosser Aufholbedarf.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Auf jeden Fall. Aber wir professionelle Medienschaffende sollten uns noch mehr erklären, sagen, was wir tun, wie wir etwas machen und warum wir uns für das eine Thema und für genau diese Protagonisten entschieden haben und nicht für andere. Das making of einer Geschichte darf so wichtig sein, wie die Geschichte selber. Ich bin überzeugt: Transparenz ist das Gebot der Stunde. So können wir legitimieren, dass es uns braucht.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, aber meistens nur wichtige persönliche Briefe, To-do-Listen oder Glückwunschkarten. Und ich merke, wie mir die Kondition fehlt. Spüre schon nach relativ kurzer Zeit ein krampfartiges Ziehen in der Hand.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Trump ist Trump. Ein Phänomen, sowohl als Politiker, als auch als Figur in den Medien. In den USA haben die Diskussionen rund um Trump dazu geführt, dass gewisse Zeitungen Auftrieb erhielten. In Europa ist es schwieriger abzuschätzen, wie er sich auf die Medien ausgewirkt hat.

Wem glaubst Du?

Wirklich glauben und vertrauen? Der Familie und guten Freunden.

Dein letztes Wort?

Journalismus ist mein Traumberuf.


Franz Fischlin
Franz Fischlin (57) absolvierte 1984 die Kunstgewerbeschule in Bern und machte eine Ausbildung zum Fotografen. Er hat danach in Freiburg Journalistik und Kommunikationswissenschaften studiert und war danach Chefredaktor des Lokalradios ExtraBern. 1990 wechselte er zum Schweizer Radio. Arbeitete in der Nachrichtenredaktion und im Konsumentenmagazin «Espresso» als Moderator, Redaktor und als Ausbildner. Beim privaten TV-Sender TV3 moderierte er «News um 7», bevor er 2000 zum Schweizer Fernsehen ging. Dort moderierte er zuerst den «Mittags-Talk» und das «Mitagsmagazin». 2004 übernahm er die Moderation der Hauptausgabe der «Tagesschau». Seit 2015 moderiert er die branchenspezifische Diskussions-Sendung «Medienclub». Zudem war er Dozent am MAZ, Mitbegründer der internationalen Journalistik-Stiftung «Investigate» und Mitinitiant der Jugendmedienwoche «YouNews». Er ist zudem Vorstandsmitglied im Verein «Qualität im Journalismus».
https://www.srf.ch/sendungen/tagesschau


Basel, 26. Februar 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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