Florian Raz: «Früher war mehr Lametta!»

Publiziert am 7. September 2022 von Matthias Zehnder

Das 193. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Florian Raz, Sportjournalist bei Tamedia mit Schwerpunkt Fussball. Er meint: «Es sagt alles über mein Alter und meinen Beruf aus, dass ich twitter-süchtig bin.» Raz kennt Roboterjournalismus von Nahem: «An jedem Champions-League-Abend werden reihenweise kleine Texte zu Spielen verfasst, die kein:e Autor:in gesehen hat.» Sorgen macht ihm, wie rechtskonservative Kreise seit langem versuchen, alles zur Meinung zu erklären: «Sogenannt ‹ausgewogener› Journalismus besteht dann daraus, dass heute A dies sagen darf und B morgen das Gegenteil schreiben kann.» Die Folge: «Alles ist Meinung, alles geht.» Raz befürchtet: «Ich glaube, wir Medienmenschen haben den richtigen Umgang damit immer noch nicht gefunden.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Frühstück ist ein grosses Wort! Unter der Woche bin ich mit Toastschmieren, Znünipacken und Kaffeemachen so ausgelastet, dass Medien keinen Platz haben. Die konsumiere ich vorher und nachher.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Bei Facebook bin ich seit 2019 weg. Instagram nutze ich für meinen Fussballpodcast «Dritte Halbzeit» als Nachrichten-App. Hier können mir vor allem die jüngeren Hörer:innen ohne Hemmschwelle schreiben. Es sagt alles über mein Alter und meinen Beruf aus, dass ich twitter-süchtig bin. Da habe ich mich so eingerichtet, dass ich die für mich perfekte Mischung an Fussball-Nerdtum, Weltpolitik und regionalen Neuigkeiten mitbekomme. 

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Als Konsument gar nicht. Als Journalist arbeite ich seither kaum mehr im Büro.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Früher war mehr Lametta! 

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Aber natürlich. Es ist die schnellste Art, Informationen aufzunehmen. Und die präziseste.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Ich mache anderen ungern Vorschriften.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Schlechte Bücher dürfen weg.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Podcast «Radiolab».

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Bis die heute 50-Jährigen keine mehr in der Hand halten können?

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Weltweit wird seit Jahrzehnten von rechtskonservativen Kreisen versucht, alles zur Meinung zu erklären. Darüber habe ich bei der «Basler Zeitung» mit Markus Somm gestritten. Sogenannt «ausgewogener» Journalismus besteht dann daraus, dass heute A dies sagen darf und B morgen das Gegenteil schreiben kann. Wo aber alles bloss noch Meinung ist, darf man so tun, als gäbe es keine objektiven Fakten mehr. Die Erde ist flach? Eine Meinung. 3 + 1 = 5? Auch eine Meinung. Meinen Sie etwas anderes? Schreiben Sie uns doch eine Replik!

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Radio höre ich noch im Auto. Live im Fernsehen schaue ich Fussballspiele und die Stürmung amerikanischer Kapitole.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich liebe Podcasts. «Radiolab» habe ich schon oben erwähnt. Wissenschafts-Themen in packende Geschichten verpackt. Ganz grosses Kino. 

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Dass wir Medienmacher:innen den Sprung ins digitale Zeitalter noch nicht geschafft haben. Und dass sich dort alternative Medienmenschen ihre eigenen Felder aufbauen, die mit journalistischen Standards häufig nichts am Hut haben. Wenn Menschen in unserer Gesellschaft nicht wissen, wie sie Quellen einschätzen sollen, haben wir ein Problem

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ja. Ein Beispiel aus meinem Feld: An jedem Champions-League-Abend werden reihenweise kleine Texte zu Spielen verfasst, die kein:e Autor:in gesehen hat. Bei denen also bloss das Resultat plus etwas Statistik in Worte gefasst wird. «Manchester City gewann zum 2000. Mal gegen Real Madrid. Karim Benzema erzielte sein 500. Tor.» Ein idealer Ort für Computer. Was sie nicht leisten können: kritische Recherchen, tolle Interviews, schön geschriebene Lesestücke, Einordnung, Witz. Ob jemand Texte vermisst, die auch Computer schreiben können, ist eine andere Frage.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Vielleicht zu beidem. Wer auf seinem sehr spezifischen Feld sehr gut oder sehr idealistisch ist, kann sich als einzelne:r Journalist:in schon mit ganz einfachen Methoden eine eigene Marke schaffen. Und wer als Medium sehr gross ist, kann plötzlich die ganze Welt mit seinen Geschichten beliefern. Das Problem ist, dass es auch Journalist:innen braucht, die über Dinge und Regionen schreiben, die keine kritische Masse erreichen. Und da sind wir in der Deutschschweiz wohl bereits an der Grenze. Von noch lokalerem Journalismus ganz zu schweigen.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja. Die Begründung steht eine Antwort weiter oben.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Trump ist die Personifizierung des oben beschriebenen Kulturkampfs. Alles ist Meinung, alles geht. Eine Idee, und sei sie noch so extrem, kommt garantiert in der Mitte der Gesellschaft an, wenn sie nur genug oft wiederholt wird. Ich glaube, wir Medienmenschen haben den richtigen Umgang damit immer noch nicht gefunden.

Wem glaubst Du?

Meiner Frau.

Dein letztes Wort?

Ente.


Florian Raz
Florian Raz (*1975) ist bei Tamedia Sportjournalist mit Schwerpunkt Fussball. Seit 2019 produziert und moderiert er den Podcast «Dritte Halbzeit». Den Einstieg in den Journalismus ermöglichen ihm 2001 der Zufall und der «Baslerstab» (RIP). Danach geht es zur «Basler Zeitung» und zur «TagesWoche» (ebenfalls RIP). Die Schuld dafür, dass es zwei Drittel seiner bisherigen Arbeitgeber nicht mehr gibt, weist er weit von sich.
https://www.tagesanzeiger.ch/podcast/podcast-dritte-halbzeit 


Basel, 7. September 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 190 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier:

https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/ 

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Ein Kommentar zu "Florian Raz: «Früher war mehr Lametta!»"

  1. Es ist nicht nur generell die Meinungsvielfalt, die eine Orientierung erschwert, sondern speziell auch noch die Vieldeutigkeit von Begriffen. Dazu nur ein einziges Beispiel von abertausend möglichen: Demokratie. Das Grundproblem scheint mir, dass wir uns zu Tode informieren lassen und nicht zu wissen scheinen, wo’s lang geht.

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