Fiona Endres: «Wenn sich die Bevölkerung entwickelt, müssen sich die Medien mitentwickeln.»
Das 270. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Fiona Endres, Co-Leiterin von SRF Investigativ, der trimedialen Rechercheredaktion des Schweizer Radio und Fernsehen. Sie sagt, sie ertappe sich manchmal beim «Titel-Lead-Hoppen» und könne «kaum eine Story konsumieren, ohne über weiterführende Rechercheansätze nachzudenken». Als Historikerin «grümschle ich gerne in Archiven und amüsiere mich über die Berichterstattung vergangener Tage,» die manchmal doch nicht so anders sei als heute. Endres ist überzeugt, dass es noch lange gedruckte Medien geben wird. Bloss würde «die Funktion von Tageszeitungen tendenziell sicher noch mehr ins Digitale wandern». Im Hinblick auf junge Menschen fordert sie, dass die Medien «mit der Zeit gehen – und herausfinden, welcher Journalismus, welche News zum Zeitgeist passt und wie wir ein jüngeres Publikum erreichen». Der Mensch werde aber auch mit fortschreitender Technologie unersetzlich bleiben: «Wir sollten menschlichen Fähigkeiten Raum geben, die sich bisher nicht entfalten konnten», sagt sie – und hofft auf Entlastung durch die KI.
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Den «Global News Podcast» der BBC höre ich jeden Morgen im Zug, vorher lese ich in den Apps von NZZ, «TagesAnzeiger» und SRF News.
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, LinkedIn, YouTube, TikTok und BeReal?
YouTube vor allem längere Investigativ-Formate wie Strg+F, SRF Impact, Y-Kollektiv, Vox, Johnny Harris, Tataki (RTS). Social Media meist zu Recherchezwecken.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Mehr Audio und Visuelles als früher, und zielgerichteter. Ich schätze heute insbesondere gut kuratierte, knackige Informationen. Gleichzeitig spüre ich (leider) die déformation professionnelle einer Recherchejournalistin: Ich ertappe mich manchmal als Titel-Lead-Hopperin und kann kaum eine Story konsumieren, ohne über weiterführende Rechercheansätze nachzudenken.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Weder noch, eher anders. Früher waren Medien vielfältiger und mutiger, und die Aussagen von beispielsweise Behördenvertretern waren authentischer und interessanter. Heute werden Statements bis zur Inhaltslosigkeit gebügelt. Andererseits gab es früher mehr unkritische Verlautbarungen, heute ist man aufgeweckter und reaktionsfreudiger. Als ursprünglich Historikerin grümschle ich gerne in Archiven und amüsiere mich über die Berichterstattung vergangener Tage, die dann manchmal eben doch nicht so anders ist als heute. Die Themen sind neue, die Argumente – und wie sie transportiert werden – jedoch oft ähnlich wie heute.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Ja. Deshalb machen wir das hier schriftlich, oder?
Was soll man heute unbedingt lesen?
Alles, worauf man neugierig ist.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Mein Alltag besteht zu einem grossen Teil aus dem Lesen verschiedener Textsorten. Im Privaten wähle ich gezielt aus. Ich lege jedes Buch weg, wenn ich nicht über die ersten fünf Seiten komme.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Von den tollen Journalist:innen im Team von SRF Investigativ, die sich mit Enthusiasmus und Herzblut in Themenfeldern bewegen, die mir persönlich neu sind.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Gedrucktes wird es sicher noch lange geben. Zu schön ist das Streicheln einer schön gestalteten Story auf Papier. Die Funktion von Tageszeitungen wird tendenziell sicher noch mehr ins Digitale wandern.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Wichtig ist, dass Ressourcen da sind, sie zu identifizieren und journalistisch einzubetten. Dann sind sie eine Chance. Ausgewogene Einordnung und faktenbasiertes Hinterfragen werden mit steigender Informationsflut immer wichtiger.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Konsumiere ich in Live-Situationen. Sonst nur on-demand.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Sehr oft. Das «Echo der Zeit» höre ich täglich auf dem Heimweg. Kürzlich entdeckt habe ich «Inside Tesla» (Stern Investigativ), «Buried» (Ein Umweltskandal von BBC). Spannend fand ich unter anderem: «The Trojan Horse Affair» (New York Times), «The Outlaw Ocean», «Cold Front» von DR, «Cui Bono: Der Drachenlord» und «WTF happened to Ken Jebsen». Eine meiner regelmässigen Lieblingspodcasts sind «The Darknet Diaires», «HARDtalk» (BBC), «The Tip Off», «Al Jazeera Investigates», «Sternstunde Philosophie», «Newsplus Hintergründe» und der «Apropos»-Podcast von Tamedia.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Es bedeutet, dass wir als Branche etwas ändern müssen. Als Journalistinnen sind wir legitimiert und beauftragt durch die Bevölkerung. Wenn sich diese entwickelt, müssen sich die Medien mitentwickeln. Wir müssen mit der Zeit gehen – und herausfinden, welcher Journalismus, welche News zum Zeitgeist passt und wie wir ein jüngeres Publikum erreichen.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Obwohl Automatisierung bereits präsent ist, bleibt die menschliche Fähigkeit zur Erfassung komplexer Emotionen und nuancierter Perspektiven unersetzlich. Automatisierung mag repetitive Aufgaben erleichtern, doch die menschliche Intuition und kritische Analyse sind entscheidend für eine ausgewogene und tiefgreifende Berichterstattung. PS: Diese Antwort wurde mit ChatGPT erstellt und unterscheidet sich wohl nicht grundlegend von den Antworten anderer Interviewgäste. Vielleicht sind wir Menschen gar nicht so originell, wie wir es von uns selbst denken. Und doch teile ich die «Meinung» von ChatGPT: Menschliche Fähigkeiten werden auch mit fortschreitender Technologie unersetzlich bleiben. Wir sollten menschlichen Fähigkeiten Raum geben, die sich bisher nicht entfalten konnten, weil wir unsere mentale oder zeitliche Kapazität für Aufgaben brauchten, die heute vielleicht künstliche Intelligenz übernehmen kann. Das Wie und Was sind dabei essenzielle Fragen. Wir dürfen die Beziehung Mensch-Technologie ständig weiterentwickeln, fördern oder gegebenenfalls einschränken. Eine lebendige Debatte rund um diese Fragen finde ich zentral.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Das wäre, wie wenn Du eine Steinzeitfrau das gleiche über Feuer fragen würdest. Es kann Tod oder Befreiung bedeuten. Je nachdem, wie man damit umgeht.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Medien haben und werden auch in Zukunft eine wichtige Rolle in der Gesellschaft einnehmen. Eine Förderung von Aufgaben, die Ressourcen brauchen, wie die tiefgründige Recherche oder die Ausbildung von Journalist:innen ist demnach ein Investment in eine funktionierende Gesellschaft.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ja. Viele Post-Its und Postkarten.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Für mich ist nicht eine Person gut oder schlecht für die Medien. Es gibt keinen Darth Vader, dem alle ausgeliefert sind. Die Frage ist, welche Geschichten die Medien daraus machen und wie das Publikum damit umgeht. Populistische und faktenfreie Aussagen sind eine Herausforderung für Medien und Gesellschaft, egal von wem sie stammen.
Wem glaubst Du?
Meinem Grossmami.
Dein letztes Wort?
Ich wünsche mir weiterhin Neugier, Debattenfreudigkeit, Versöhnlichkeit und Zusammenarbeit für unsere Branche. Wir haben Herausforderungen zu meistern, die wir nur gemeinsam angehen können.
Fiona Endres
Fiona Endres (34) ist seit 2021 Co-Leiterin von SRF Investigativ, der trimedialen Rechercheredaktion des Schweizer Radio und Fernsehen. Vorher war sie unter anderem bei der «Rundschau» und bei Tamedia als Reporterin tätig. Ihre Rechercheschwerpunkte sind Umwelt, Geheimdienste und Geldflüsse. Endres hat in Fribourg und Utrecht (NL) Medien und Geschichte studiert. Sie ist Vorstandsmitglied des Schweizer Recherche-Netzwerkes für Journalist:innen und lehrt Verifikation und Online-Recherche an der Journalistenschule MAZ.
https://fionaendres.ch
Basel, 28. Februar 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Seit Ende 2018 sind über 260 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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2 Kommentare zu "Fiona Endres: «Wenn sich die Bevölkerung entwickelt, müssen sich die Medien mitentwickeln.»"
Dass sich „die Bevölkerung entwickelt“, scheint mir insbesondere mit Blick auf die sogenannte westliche „Zuvielisation“ immer mehr nur noch eine Beschwörungstheorie, die beweisen soll, was zu beweisen war. Und dies nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht. So wird – und dies auch noch dumpfbacken historisch unterfüttert – beispielsweise gemeint: Vis pacem para bellum. Dabei ist doch der Spruch mit dem Krieg, der sich durch Krieg verhindern lassen soll, in etwa auf einem einem ähnlichen Niveau, wie wenn beispielsweise gebetsmühlenartig behauptet wird, das Bauen von Autobahnen würde zu weniger Verkehr führen. Das kolossal Dumme an solchen Narrativen ist, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung sowie ihrer Medien und ihrer Politik so denkt und entsprechend handeln will: wie ich es alltäglich und immer noch mehr bis zum Geht-nicht-mehr medial erfahre und leibhaftig erlebe.
Freude über „Hobby-Journalist“-Autor U. Keller:
Wahre Worte, mahnende Worte, harte Worte, philosophisch sanft verpackt, Sätze nicht geschrieben, sondern komponiert. Man spürt: Mit Herz, Hand, Bauch, Verstand, mit Arbeit, mit Schweiss, mit Bodenhaftung, mit Naturachtung, mit Körper, Seele und Geist. Formidabel…
Perplexe Verwunderung über Profi-Journalistin F. Endres: Kann man in den News-Rooms, umgeben von WLAN und 1001 Handy-Funkwellen, Routers und Repeaters, beim Konsumieren von: Strg+F, SRF Impact, Y-Kollektiv, Vox, Johnny Harris, Tataki (RTS), «Inside Tesla» (Stern Investigativ), «Buried», «The Trojan Horse Affair» (New York Times), «The Outlaw Ocean», «Cold Front» von DR, «Cui Bono: Der Drachenlord» ,«WTF happened to Ken Jebsen», «The Darknet Diaires», «HARDtalk» (BBC), «The Tip Off», «Al Jazeera Investigates», «Sternstunde Philosophie», «Newsplus Hintergründe», „Apropos»-Podcast“ u.v.m. noch klar denken. Ist der Mensch fähig, dies alles zu verarbeiten. Kommt da überhaupt noch Output mit Erdung raus…. Oder ist Zuviel nicht einfach Zuviel… Es macht mir Angst vor solchen Zeitgenossen.
Und von just Jenen erhalten wir unsere „geordneten“ Informationen? Kaum vorstellbar. Übermenschen gab es immer – doch oft fielen sie tief oder zahlten im Alter mit der Gesundheit.
Ein Walliser Poet, Liedermacher, Autor, Philosoph und Mensch mit 13 Sternen (wie das Walliser Wappen) und mindestens 13 Herzen bringt den Info-Internet-Weltenunruhe-Wahn mit einfacher Gittarre und Stimme so auf den Punkt, dass man wieder wohltuend und gesund in sich selbst Ruhen kann. Infogigasprech aus – Seelenklang an:
https://tvoberwallis.tv/wp-content/uploads/Im-Internet.wav