Felix Reich: «Journalismus hat für mich mit einer Haltung und Werten zu tun»
Das 209. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Felix Reich, Redaktionsleiter der Zeitung «reformiert.» in Zürich. Er vermisst von früher «Sorgfalt und Wertigkeit, etwa indem man sich ein Korrektorat leistete, das diesen Namen verdiente». Auch sei früher «der Wille zu einer qualitativ hochstehenden Gestaltung und Fotografie» grösser gewesen. Trotzdem ist Reich überzeugt, dass das geschriebene Wort «immer Zukunft» habe, «weil es überdauert. Die Frage ist nur, ob es auch gelesen wird.» Auf jeden Fall habe das geschriebene Wort «Gegenwart, wenn es die Menschen anspricht und berührt.» Reich glaubt, dass wir «mehr Hoffnungsgeschichten» im Journalismus brauchen. «Hoffnungsgeschichten zeichnen nichts weich, denn sie beschreiben die Welt, wie sie ist. Aber sie erzählen auch, wie sie sein könnte mit etwas mehr Demut und Nächstenliebe.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Das Frühstück gehört meinen drei Töchtern und meiner Frau, da haben keine Medien Platz. Abonniert habe ich auf Papier die «NZZ» und den «Spiegel». Daneben konsumiere ich nach Lust und Laune Online-Medien. Regelmässig «Tagi», «Republik», «WOZ».
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?
Facebook nutze ich für die Verbreitung von Artikeln und Podcasts. Bei Instagram bin ich dabei, aber ich glaube, der Algorithmus mag mich nicht. Bei Twitter bin ich nicht.
Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?
Die Pandemie hat an meinem Medienkonsum nichts geändert.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Natürlich weder noch. Von früher vermisse ich eine Sorgfalt und Wertigkeit, etwa indem man sich ein Korrektorat leistete, das diesen Namen verdiente. Auch schienen mir der Wille zu einer qualitativ hochstehenden Gestaltung und Fotografie sowie die Aufmerksamkeit im Umgang mit der Sprache insgesamt grösser. Heute schätze ich die Vielfalt der Formen und die medialen Möglichkeiten, die Experimentierfreude und die Notwendigkeit, sich wirklich mit seinem Publikum auseinandersetzen zu müssen.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Wenn das Wort geschrieben ist, hat es doch immer Zukunft, weil es überdauert. Die Frage ist nur, ob es auch gelesen wird. Auf jeden Fall hat das geschriebene Wort Gegenwart, wenn es die Menschen anspricht und berührt.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Die Bibel und das «reformiert.» natürlich! Und ganz viele gut recherchierte Artikel und unzählige Bücher. Kurz: Man sollte einfach unbedingt lesen.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Wirklich schlechte Bücher lege ich weg. Ausser sie sind schlecht und gut gemacht, so dass ich sie doch zu Ende lesen muss. Dann kann ich es fast geniessen, dass ich mich so über das Buch aufregen muss. Eine Chance gebe ich jedem Buch, das ich beginne, durch das erste Viertel kämpfe ich mich eigentlich immer.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
In Gesprächen und manchmal in den sozialen Medien. Und oft in der Literatur.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Solange die Maschinen in den grossen Druckereien noch laufen und nicht für viel Geld ersetzt werden müssen.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass Fake News doof und gefährlich sind.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Mit Ausnahme vereinzelter Fussballspiele und der Serie «Tschugger» schaue ich eigentlich kaum Fernsehen. Radio höre ich nicht linear, aber viel Deutschlandfunk über die entsprechende App oder als Podcasts. Ich bin seit Jahren ein grosser Fan dieses Senders. Zum Beispiel der Sendungen «Andruck», das Magazin für politische Literatur, und das Kulturmagazin «Fazit». Einfach grossartig und für meine eigene Arbeit immer wieder inspirierend.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Zum Kochen höre ich gerne Fussballpodcasts. Was der «Rasenfunk» macht, finde ich super. Und die Podcasts vom «RefLab», wo ich mitmachen darf, sind meistens auch sehr gut.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?
Weil ich den Kulturpessimismus scheue, hoffe ich, dass das eine Phase ist und die Neugier darauf, was in der Welt passiert, später einsetzt. Aber vielleicht ist das naiv. Wenn die News-Deprivation tatsächlich anhält, ist das nicht nur für die Medien, sondern insbesondere für die Demokratie problematisch.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Automatisieren lässt er sich bestimmt. Für mich ist das dann aber nicht wirklich Journalismus, sondern ein Nachrichten-Ticker. Journalismus hat für mich mit Recherche und mit einer Haltung und Werten zu tun, hinter denen Menschen stehen und für die Menschen geradestehen müssen.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Ich glaube nicht, dass sich der Journalismus von etwas befreien muss, er kann schon jetzt relativ frei sein. Und dass er stirbt, hoffe ich natürlich nicht.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Wenn die Medienvielfalt einigermassen erhalten bleiben soll: Ja.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ich schreibe viel von Hand. Notizen während Interviews, Ideen, Artikelskizzen, Drehbücher für Podcasts und Gedankensplitter halte ich in diversen Notizbüchern fest. Und persönliche Briefe schreibe ich immer von Hand.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Das scheint mir nicht die entscheidende Frage. Seine Haltung und seine Politik waren und sind nicht gut für Amerika und die Welt. Und doch waren sie ein Exportschlager. Das macht mir schon Angst.
Wem glaubst Du?
Aufrichtigen Menschen.
Dein letztes Wort?
Wir brauchen mehr Hoffnungsgeschichten, auch im Journalismus. Hoffnungsgeschichten zeichnen nichts weich, denn sie beschreiben die Welt, wie sie ist. Aber sie erzählen auch, wie sie sein könnte mit etwas mehr Demut und Nächstenliebe.
Felix Reich
Felix Reich (* 1977) ist in Marthalen und Winterthur aufgewachsen und hat in Zürich und Berlin Germanistik, Geschichte und Komparatistik studiert. Nach freier Mitarbeit insbesondere für den Kulturteil stiess er 2002 zum «Landboten», wo er zuletzt den Bund «Stadt Winterthur und Kultur» leitete. Seit 2012 ist er Redaktionsleiter der Zeitung «reformiert.» in Zürich. Er lebt mit seiner Frau und seinen drei Töchtern in Zürich-Wiedikon.
https://reformiert.info/ https://www.reflab.ch/category/podcasts/stammtisch/
Basel, 28. Dezember 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Bild: Reto Schlatter/reformiert.
Seit Ende 2018 sind über 200 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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Ein Kommentar zu "Felix Reich: «Journalismus hat für mich mit einer Haltung und Werten zu tun»"
Schade: die Einleitung zu diesem Interview hat viel Substanzielles versprochen, was dann aber die Antworten nicht gehalten haben (vielleicht lag/liegt es an den Fragen?).