Felix E. Müller: «Nicht die Digitalisierung bedroht die Medien»

Publiziert am 22. April 2020 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Felix E. Müller, Senior Advisor der «NZZ», über seinen persönlichen Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Er sagt, die Agilität der Medienunternehmen habe massiv zugenommen. «Aber ihre finanzielle Verfassung ist vielfach prekär.» Dabei bedrohe nicht die Digitalisierung die Medien: «Es sind die Internetgiganten im Silicon Valley, die die Existenz der klassischen Medienanbieter in Frage stellen.» Er klagt zudem, viele Medien seien «Trump-süchtig geworden».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Auf Papier «NZZ» und «Tages-Anzeiger», digital «Blick», «Financial Times» und «Washington Post».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Keine Liebesaffäre! Sporadisch auf Facebook anzutreffen.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich lese mehr. Und ich lese Wirtschaftsnachrichten intensiver, weil ich befürchte, dass sich eine schwere Rezession anbahnt.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Es war vor allem anders: Den Verlagen ging es gut, sie glaubten an den Journalismus. Aber zuweilen waren sie satt und träge. Umgekehrt ist die heutige Dichte und Verfügbarkeit von Information phänomenal. Die Agilität der Medienunternehmen hat massiv zugenommen. Aber ihre finanzielle Verfassung ist vielfach prekär.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja, unbedingt. Aber nur noch bei einem Teil der Bevölkerung. Die Verarbeitung geschriebener Information erfordert mehr Reflexionsvermögen als zum Beispiel Video-Tutorials.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Karl Popper «Die offene Gesellschaft und ihre Feinde» sowie «Die schönsten Skitouren der Schweiz (SAC-Verlag).

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich kann sie sehr gut weglegen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Meistens auf etablierten Informationsplattformen im angelsächsischen Raum, insbesondere den USA.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Mindestens noch zehn Jahre.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Sie sind eine Chance für die klassischen Medienanbieter, aber eine Gefahr für die Gesellschaft.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Klassisches TV nutze ich nur wenig, Radio deutlich häufiger als Begleitmedium beim Autofahren oder Kochen.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Nein, höre ich nicht.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Medien können auch diese Gruppe erreichen, mit anderen Angeboten als klassischen News. Hier liegt also durchaus eine ökonomische Chance. Aber aus staatsbürgerlicher Optik muss man das bedauern. Leider sind unsere politischen Prozesse so komplex geworden, dass sich die Hälfte der Stimmbürger und Stimmbürgerinnen längst ausgeklinkt hat.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Nur ein Stück weit, etwa im Sport oder in der Wirtschaftsberichterstattung. Den kreativen Ansatz, die originelle Lösung, die überraschende Perspektive kann ein Roboter jedoch nie liefern. Man müsste ihn ja vorher entsprechend programmiert haben.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Nicht die Digitalisierung bedroht die Medien. Denn diese ist auch eine Chance für den Journalismus. Es sind die Internetgiganten im Silicon Valley, die die Existenz der klassischen Medienanbieter in Frage stellen. Ich halte diese aber für unverzichtbar, weil sie Verlässlichkeit der Information garantieren.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Schon, aber aus ökonomischen Gründen eine viel eingeschränktere.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Nur noch selten.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er ist natürlich sehr gut für die Medien, weil er Stoff liefert. Aber dadurch stellt er auch eine Gefahr dar. Viele Medien sind Trump-süchtig geworden. Und in der Behandlung des Themas einfallslos.

Wem glaubst Du?

Je nach dem.

Dein letztes Wort?

Ich liebe Dich.


Felix E. Müller
Felix E. Müller (*1951) wuchs in Winterthur auf, studierte Germanistik, Musikwissenschaften und Mathematik, doktorierte 1978, spielte Handball in der Nationalliga A, stieg beim «Züri-Leu» in den Journalismus ein, wechselte zur «Weltwoche», war dort am Schluss Chefredaktor a.I., ging zur «NZZ» und war Mitbegründer und erster Chefredaktor der «NZZ am Sonntag». Seit Ende 2017 ist er Senior Advisor der «NZZ».
www.nzz.ch


Basel, 22. April 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Ein Kommentar zu "Felix E. Müller: «Nicht die Digitalisierung bedroht die Medien»"

  1. Die NZZ. Die Zeitung für die Oberen. Für die Elite. Für die Wirtschaft. Für die Börse.
    Die „Aboberater“, welche immer frech anrufen, schwadronieren immer von „Allumfassend“, von „Interessant“ und von „Relevant“ – sei die NZZ.
    Corona entlarvt.
    Neulich wieder: Ein NZZ-Bericht über die Abschlussprüfungen unserer Jugend: Matur, Gymnasial und Universitäten. Ihre Probleme. Ihre Sorgen. Ihre Abschlüsse.
    Dass aber auch unsere Berufsschulen enorme Mühe haben die theoretischen Prüfungen zu organisieren, dass die praktischen Prüfungen der Coiffeure, der Verkäufer, der Reisebüroangestellten usw. kaum durchzuführen sind und die Branchen, die Berufsschulen und die Lehrbetriebe vor kaum lösbare Probleme stellen – kein Wort darüber.
    Ist nicht erwähnenswert. Dieses untere Pöbel ohne akademischen Titel ist bei der NZZ keine Zeile wert. Unwichtig. Was ist schon ein Laib Brot gegenüber einem „elektronischen-Künste-Abschluss“?
    Weshalb ein primitiver Verkäufer – Fachrichtung Bewirtschaftung, welcher im Migros die Milch auffüllt, erwähnen?
    NEIN – die NZZ schwebt in anderen Welten, auf anderen Planeten.
    Die Zeitungskrise hat viele Ursachen. Bei der NZZ ist eine davon sicher ihr Dünkel, ihr Herablassen, ihr elitäres Gehabe.
    Wann begreifen die Herrenmenschen an der Zürcher Falkenstrasse dies? Corona als Wandel? Dies (hinter)fragt und empfindet alles Thomas Zweidler.

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