Fabienne Sennhauser: «Faire Arbeitsbedingungen sind der Schlüssel zu gutem Journalismus»

Publiziert am 10. April 2024 von Matthias Zehnder

Das 276. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Fabienne Sennhauser, stellvertretende Chefredaktorin der «Zürichsee-Zeitung», Präsidentin des Zürcher Pressevereins und seit kurzem Co-Präsidentin des Schweizer Journalistenverbands Impressum. Sie sagt, als Journalistin falle es ihr schwer, «zu verstehen, dass viele meiner Freundinnen und Freunde – notabene viele davon studiert – keine bis kaum Qualitätsmedien konsumieren und entsprechend auch kaum den politischen Prozessen folgen (können)». Die Medien seien «schon immer eine dynamische Branche» gewesen. «Mit jedem technologischen Entwicklungsschritt hat sich unser Beruf verändert.» Viele Verlagshäuser hätten die Digitalisierung verschlafen und damit «sicher zur aktuellen Medienkrise beigetragen». «Mit der Entwicklung der KI kommen jetzt noch einmal gewichtige Veränderungen auf uns zu.» Wichtig sei, dass «die Vielfalt redaktioneller Information in unserem Land erhalten» werde. Denn: «Nur wenn genügend seriöse Informationsquellen verfügbar sind, können sich die Menschen eine freie Meinung bilden».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Frühstück gibt es bei mir ausschliesslich am Wochenende – dann aber immer mit dem Studium der Printausgaben von NZZ und «Sonntagszeitung» verbunden. Unter der Woche klicke ich mich zwischen Bett und Dusche durch die Pushs von «Zürichsee-Zeitung», «Tages-Anzeiger», «Blick», und SRF. Im Büro zum Kaffee blättere ich mich dann durch den «Tages-Anzeiger» und diverse weitere Regionalzeitungen.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, LinkedIn, YouTube, TikTok und BeReal?

Ich nutze Facebook zu Recherchezwecken. Nicht selten finden sich in den zahlreichen «Du bisch vo xy, wenn…»-Gruppen lokale Aufregerstories. Instagram bespiele ich selber mit Bildern aus Freizeit und Ferien. Auf YouTube schaue ich mir abends im Bett gerne Musicalausschnitte oder kurze Reportagen und Dokus wie jene des ZDF Formats 37 Grad an. LinkedIn nutze ich für berufliche Kontakte.  Auf TikTok und BeReal bin ich nicht.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Ich habe unzählige Tools und Fähigkeiten dazugewonnen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

«Früher hast du noch gar nicht gelebt», pflegt mir mein Vater immer zu sagen. Folglich wäre es unseriös, diese Frage zu beantworten.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Natürlich. Denn jedes geschriebene Wort ist so einzigartig wie sein Urheber/seine Urheberin auch. Jeder Text ist immer auch das Ergebnis einer Vielzahl an Stimmungen, Erfahrungen, Visionen, Ein- und Ansichten des Menschen, der ihn verfasst hat. Ich bin überzeugt, dass diese Individualität selbst den besten Algorithmen zu trotzen vermag.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Prinzipiell alles, was einen interessiert. Das Buch «Die Wut, die bleibt» von Mareike Fallwickl lege ich allen Menschen ans Herz. Selten habe ich mich als Frau so verstanden, ertappt, verstört und stark zugleich gefühlt.

Als Journalistin fällt es mir schwer, zu verstehen, dass viele meiner Freundinnen und Freunde – notabene viele davon studiert – keine bis kaum Qualitätsmedien konsumieren und entsprechend auch kaum den politischen Prozessen folgen (können).

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Letzteres. Wer weiss, vielleicht kann ich gerade deshalb einmal die Ein-Millionen-Frage beantworten. Spass bei Seite. Aber was ist schon ein schlechtes Buch? Ich lese derart viel – derzeit gerade drei Bücher in zwei Sprachen parallel – da kann einem ja nicht immer alles gefallen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Meist im Gespräch mit anderen und via Social Media.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Länger als wir es uns gerade vorstellen können.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Ich sehe sie lieber als Chance, weil es seriöse Journalistinnen und Journalisten braucht, die Fake News aufdecken und einordnen. Aber keine Chance ohne Gefahr…

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich verfolge so gut wie jede Sportart – und das am liebsten live im Fernsehen. Bei den Spielen der Fussballnationalmannschaft setzte ich mich dank Kathrin Lehmann aber auch gerne mal vors Radio.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich höre ständig Podcasts! Ich bin ein True Crime-Junkie. «Zeit Verbrechen», «ARD Crime Time», «Dritte Gewalt» und der neue Tagi-Podcast «Unter Verdacht» suchte ich beim Autofahren. Im Sport höre ich gerne leichtere Kost wie die «Comedymänner», oder den «Podcast am Pistenrand». Beim Haushalten verliere ich mich gerne in den Gesprächen von «Persönlich». Abends beim Kochen informiere ich mich gerne dank «Echo der Zeit» und dem «Journal en français facile» über aktuelle Themen.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Dass wir noch nicht die (Erzähl-)Formate gefunden haben, die zum Zeitgeist der nachrückenden Generationen passen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Teilweise ist das sicherlich möglich und führt im Idealfall dazu, dass wir Journalistinnen und Journalisten damit mehr Kapazität für Recherchen, Interviews und Reportagen vor Ort haben. Wichtig ist, dass transparent ausgewiesen wird, wo künstliche Intelligenz am Werk war.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Medien sind und waren schon immer eine dynamische Branche. Mit jedem technologischen Entwicklungsschritt hat sich unser Beruf verändert. Die zu lange verschlafene Digitalisierung hat sicher zur aktuellen Medienkrise beigetragen. Daraus haben die Verlagshäuser sicherlich gelernt. Mit der Entwicklung der KI kommen jetzt noch einmal gewichtige Veränderungen auf uns zu. Und Veränderung bedeutet Leben, um im Pathos der Frage zu bleiben.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja, denn nur so kann die Vielfalt redaktioneller Information in unserem Land erhalten werden. Und nur wenn genügend seriöse Informationsquellen verfügbar sind, können sich die Menschen eine freie Meinung bilden – übrigens ein Grundgesetz.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ständig. Alle Notizen bei meinen Recherchen sind von Hand geschrieben, ich führe eine gute alte Papieragenda und ich schreibe tatsächlich auch noch Postkarten aus den Ferien.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Auch hier gibt es für mich, wie bei den Fake News, kein Entweder-oder.

Wem glaubst Du?

Wissen ist besser als glauben. Manchmal täte es aber gut, etwas mehr auf das Bauchgefühl und weniger auf den Kopf zu hören.

Dein letztes Wort?

Ich beobachte mit grosser Sorge, wie schnell die Zahl der Kolleginnen und Kollegen auf den Redaktionen abnimmt, wie alle immer mehr und immer anspruchsvollere Aufgaben übernehmen müssen und mehr Lohn gibt es Ende Jahr für sie meist trotzdem nicht. Doch angemessene Löhne und faire Arbeitsbedingungen sind der Schlüssel zu gutem Journalismus – und davon profitieren letztlich alle, die Medienhäuser, die Journalistinnen und Journalisten und ganz besonders die Leserinnen und Leser.


Fabienne Sennhauser
Fabienne Sennhauser (31)verfügt über einen Bachelor-Abschluss in Soziologie und Kulturwissenschaften der Universität Luzern. Ihre journalistische Laufbahn startete sie ab 2013 im Resultateteam der Sportredaktion der «Neuen Zürcher Zeitung» und als Bloggerin für «Zentralplus». Seit 2015 ist sie für Tamedia, namentlich die «Zürichsee-Zeitung» tätig. Aktuell vereint sie dort die Funktionen der stellvertretenden Chefredaktorin und der Leiterin des Newsdesk. Per 1. Juni wird sie jedoch ins Zürich-Ressort des Tages-Anzeigers wechseln. Sie wird dort als regelmässige Blattmacherin die Berichterstattung des Ressorts verantworten. Fabienne Sennhauser ist Präsidentin des Zürcher Pressevereins (ZPV) und Co-Präsidentin von Impressum.
https://www.zsz.ch/


Basel, 10. April 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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3 Kommentare zu "Fabienne Sennhauser: «Faire Arbeitsbedingungen sind der Schlüssel zu gutem Journalismus»"

  1. Frau Sennhauser: „Es falle ihr schwer, zu verstehen, dass viele meiner Freundinnen und Freunde – notabene viele davon STUDIERT – keine bis kaum Qualitätsmedien konsumieren….“
    Tja, so ist das Leben. Aber wenigstens wissen wir jetzt alle, dass Sie (und auch ihr Freundeskreis) „Gschtudierti“ sind.
    Dann kann ich ja noch dazufügen: „Ich bin unstudiert UND konsumiere sogar Qualitätsmedien“….
    Auch das kanns geben im Leben.
    Zudem: In der Bibel lernte ich mal, alle Menschen seien gleich….
    Mein Ausbildner (unstudiert) sagte (beim Abschluss): So, jetzt fertig „Welpenschutz“. Jetzt wirds hart, Konkurenz, schuften…
    Frau Sennhauser (studiert) will: Faire Arbeitsbedingungen UND staatliche Förderung ihrer Arbeit…
    So kleine Nuancen, Differenziertheiten, welche mir beim Querlesen dieses Interwievs auffielen.
    Die Kastengesellschaft dreht sich jung und munter weiter….
    Sollen aber gar nichts; gar gar nichts bedeuten….

    1. Ach Herr Zweidler. Sie sollten mal Ihren Büezerkomplex ablegen. Ich nehme mal an, dass Fabienne Sennhauser mit dem Verweis auf den Ausbildungsgrad ihrer Freundinnen und Freunde lediglich ausdrücken wollte, dass die sich a) Qualitätsmedien leisten könnten und man b) von ihrer Ausbildung her auch erwarten könnte, dass sie Willens und in der Lage sind, eine Zeitung zu lesen. Wenn nicht einmal mehr die Intellektuellen im Land Zeitungen lesen, dann haben wir ein Bildungsproblem.

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