Evelyne Baumberger: «Junge informieren sich nicht nicht, aber anders»

Publiziert am 20. Dezember 2023 von Matthias Zehnder

Das 260. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Evelyne Baumberger, Theologin und Co-Leiterin von «RefLab». Sie sagt, seit der Pandemie sei das Klima auf Twitter/X toxisch geworden, «es macht wenig Spass, dort unterwegs zu sein. Seither bin ich viel mehr auf Instagram. Mal schauen, was jetzt mit Threads wird.» Auch wenn sie multimedial unterwegs ist, bricht Evelyne Baumberger eine Lanze für das Schreiben: «Geschriebene Worte lassen längeres, mäandrierendes Nachdenken zu, sowohl bei der Autorin als auch bei der Leserin.» So sei es möglich, beim Schreiben Pausen einzubauen, einen Text zu überarbeiten und kreativ zu gestalten. «Deswegen können geschriebene Texte präziser und dichter sein – auch wenn sie womöglich am Ende mündlich vorgetragen werden.» Trotzdem (oder vielleicht auch deshalb) nehme die Bedeutung von Social Media laufend zu: Da «werden markante und vertrauenswürdige (oder scheinbar vertrauenswürdige) Persönlichkeiten aber stärker wahrgenommen als Medienhäuser und Marken.» Und damit gehen manche Medien besser um – und manche schlechter.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich brauche jeweils eine Weile, um in die Gänge zu kommen, und habe verschiedene Morgenrituale. An Home-Office-Tagen gehört dazu eine Meditation mit einer App wie «Lebensliturgien» oder «Pray As You Go», während ich mit einem Tee und einer brennenden Kerze auf meinem Wohnzimmerteppich sitze. Danach bringt mich SRF 4 News auf den neusten Stand, wenn ich mir vor dem Start in die Arbeit noch ein Müsli mache.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, YouTube, TikTok und BeReal?

Auf Instagram bin ich sehr aktiv (@evelyne_baum), vor allem mit Stories. Dieser fast tägliche Kontakt mit Followern bildet den Boden für den Austausch über meine zweiwöchentlichen Videos fürs RefLab. Darin spreche ich jeweils in 3 bis 4 Minuten über spirituelle und theologische Themen und frage die Community, was sie darüber denken. Immer wieder stellen mir Menschen per Direktnachricht auch Fragen, die sie beschäftigen, oder vertrauen mir einen Teil ihrer Geschichte an. Das berührt mich sehr.

Twitter – sorry: X – (@evelyne_lynn) habe ich zwar noch nicht ganz verlassen, aber bin zumindest mit einem Fuss rüber zu BlueSky (evelynebaum.bsky.social) – und ganz neu auch bei Threads. YouTube nutze ich privat vor allem für Fitness – man findet dort aber ebenfalls meine RefLab-Videos.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Hier fällt mir leider nur ein Verlust ein: Bis 2020 war Twitter für mich eine Plattform, auf der ich mich mit tollen Menschen vernetzte, fürs Studium von der Theologie-Bubble profitieren konnte und tagtäglich Unterhaltung fand. Seit der Pandemie ist das Klima auf Twitter/X toxisch geworden, es macht wenig Spass, dort unterwegs zu sein. Seither bin ich viel mehr auf Instagram. Mal schauen, was jetzt mit Threads wird.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Die Vielfalt innerhalb der traditionellen Medien (Tageszeitungen) war früher grösser. Dafür gibt es heute unabhängige Plattformen und zumindest für den urbanen Raum auch lokale Medien wie die «Hauptstadt» in Bern: Als Zugezogene habe ich dadurch vieles kennengelernt und fühle ich mich über das, was in der Stadt läuft, sehr gut informiert.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Immer. Geschriebene Worte lassen längeres, mäandrierendes Nachdenken zu, sowohl bei der Autorin als auch bei der Leserin. Sie erlauben beim Schreiben Pausen, Überarbeitungen und kreative Textgestaltung. Deswegen können geschriebene Texte präziser und dichter sein – auch wenn sie womöglich am Ende mündlich vorgetragen werden.

Was soll man heute unbedingt lesen?

In Bern: die «Hauptstadt».
Als Skitourengeher:in: das SLF-Lawinenbulletin.
Zu Weihnachten: die ganz traditionelle Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Das japanische Wort «Tsundoku» bezeichnet die Angewohnheit, ständig neue Bücher zu kaufen, die sich dann ungelesen zu Hause im Regal ansammeln. Story of my life – bis ich Anfang 2023 «Verbunden» von Anna Miller las. Seither hat das Smartphone am Abend nichts mehr in meinem Wohnzimmer verloren und ich bin (endlich!) eine Freizeit-Leserin geworden. Wenn ich aber in ein Buch einfach nicht reinkomme, lege ich es dennoch weg – es gibt genügend gute.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In Zeitschriften und beim Stöbern in fremden Bücherregalen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Vermutlich noch lange, wenn auch vielleicht nur noch in Cafés und für ein immer kleiner werdendes Publikum. Ich muss zugeben, dass auch ich gedruckte Zeitungen nur unregelmässig lese.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Ich halte sie klar für eine Gefahr. Vielen Menschen fehlt das Bewusstsein dafür, dass sie Medien kritisch hinterfragen müssen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

TV konsumiere ich praktisch nie, mit Ausnahmen etwa bei den Bundesratswahlen (wobei es dann natürlich das online-Streaming ist). Radio: beim Kochen oft «Rendez-vous» oder «Echo der Zeit».

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja – ausnahmslos jede Folge höre ich von «Holy Embodied», dem RefLab-Podcast rund um Körper und Spiritualität. Laufpodcasts wie «Runskills» gehören zu meinem Alltag, Unterhaltendes wie «Zivadiliring», je nach Gästen auch Gespräche wie «Alles gesagt?» oder «We Can Do Hard Things». Regelmässig gibt’s auch eine Folge «SRF Input» und «NZZ Akzent». Mein eigener Podcast zu spirituellen Themen heisst «Unter freiem Himmel» (Spotify/Apple Podcasts).

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Junge informieren sich nicht nicht, aber anders: Die Bedeutung von Social Media nimmt laufend zu, dort werden markante und vertrauenswürdige (oder scheinbar vertrauenswürdige) Persönlichkeiten aber stärker wahrgenommen als Medienhäuser und Marken. Dabei gehen manche Medien besser, manche schlechter mit.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Wenn es um reine Informationsaufbereitung geht, ja. Auch Informationsauswertung zum Beispiel über Datenanalysen kann erleichtert werden. Fundierte Auswertungen, Einordnungen und Meinungen möchte ich aber auch in Zukunft von Menschen lesen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Aufklärender, kreativer, demokratiefördernder Journalismus wird meines Erachtens immer wichtig bleiben. Dass er heute vor allem in digitalen Medien stattfindet und die Digitalisierung auch die Produktionsprozesse durchdringt, ist einfach eine Tatsache.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Um diese Frage zu beantworten, fehlt mir das nötige Hintergrundwissen. Ich halte aber die Ausbildung von Journalist:innen sowie die Förderung der Medienkompetenz in der Bevölkerung für Aufgaben von nationaler Relevanz.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja: Tagebuch, Post-its und hin und wieder ein Kartonschild für eine Klimademo.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schlecht ­– aber nicht (nur) für die Medien, sondern als Katalysator für menschenverachtende Haltungen und Politik weltweit.

Wem glaubst Du?

Theologisch lässt sich «glauben» auch mit «vertrauen» übersetzen, das gefällt mir gut. Ich vertraue meinen Liebsten, meinem Bauchgefühl und dem Leben.

Dein letztes Wort?

Raus in die Natur hilft. Immer.


Evelyne Baumberger
Evelyne Baumberger ist Theologin und Co-Leiterin des RefLab, dem digitalen Lagerfeuer für spirituelle Nomad:innen. Zur Theologie kam sie über Umwege; davor studierte sie erst Kunst- und Designtheorie und arbeitete als Journalistin unter anderem bei der Kulturredaktion der «Aargauer Zeitung».
https://www.reflab.ch/


Basel, 20. Dezember 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: Corinne Gygax.

Seit Ende 2018 sind über 250 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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