Eveline Kobler: «Es lebe das Audio!»

Publiziert am 12. Oktober 2022 von Matthias Zehnder

Das 198. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Eveline Kobler, Leiterin der Wirtschaftsredaktion von Radio SRF. Sie sagt, als Radiofrau freue sie an der Digitalisierung vor allem, dass der Medienkonsum auch übers Ohr stattfindet: «Podcasts schiessen wie Pilze aus dem Boden». Wenn ihr «Informationsbedürfnis grad mal wieder grösser ist als mein Zeitbudget, nutze ich zudem die Möglichkeit, die Wiedergabegeschwindigkeit auf 1,25 oder 1,5 hochzuschrauben …» Sorgen machen ihr dabei Fake News: «Wenn Fakten plötzlich ‹verhandelbar› werden, sogar bis auf die politische Bühne, kann das breite Kreise enorm verunsichern.» Kobler ist überzeugt, dass Medien Orientierung geben könnten, «das wäre eine Chance». Schwierig wird es, «wenn ganze Bevölkerungskreise resignieren und sich aus der öffentlichen Debatte ausklinken.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen? 

Das Radio! Bei SRF1 oder SRF 4 News hole ich mir jeweils meine erste Portion News am Morgen. Auf dem Weg ins Büro knöpfe ich mir dann die «NZZ» und den «Tagi» vor.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Ich bin regelmässig auf allen drei Kanälen, selber aktiv bin ich aber vor allem auf Twitter. Dort verfolge ich besonders gern volkswirtschaftliche Debatten, zum Beispiel zur Geldpolitik oder zu den Finanzmärkten.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich arbeite nach wie vor ab und zu im Homeoffice. Vor allem Frühdienste lassen sich perfekt von zu Hause aus machen, inklusive Liveschaltungen ins Studio. Umso mehr schätze ich dann aber den Austausch mit Bürokolleginnen und -kollegen, wenn ich im Studio bin. 

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst, – war früher alles besser oder schlechter? 

Im Print-Bereich war die Vielfalt insbesondere bei regionalen und nationalen Themen früher natürlich schon grösser. Dafür gibt es heute sehr viele attraktive digitale Angebote. Mich als Radiofrau freut vor allem, dass der Medienkonsum auch übers Ohr stattfindet: Podcasts schiessen wie Pilze aus dem Boden, – es lebe das Audio!

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja, ich denke schon. Ob diese Worte auf Papier gedruckt oder primär elektronisch gelesen werden, ist zweitrangig. Der Bedarf an News und Einordnung besteht nach wie vor!

Was soll man heute unbedingt lesen?

Ich glaube nicht, dass es den ultimativen Tipp gibt, der für alle funktioniert. Unsere Interessen sind schlicht zu unterschiedlich und zu vielfältig – und das ist gut so. 

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich tue mich schwer damit, Bücher vor dem Ende wegzulegen. Bei meinem letzten, mässig guten Buch habe ich mitten drin dann einfach mal ein paar Dutzend Seiten übersprungen und weitergelesen. Es hat funktioniert: Die zweite Hälfte wurde dann noch richtig spannend!

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Am ehesten im Gespräch mit Freunden und Bekannten oder in der Kaffeepause im Büro beim Plaudern mit Kolleginnen und Kollegen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Da ich selber bei der Zeitungslektüre gern Papier in der Hand halte, hoffe ich, noch sehr lange! 

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Ersteres, fürchte ich. Wenn Fakten plötzlich «verhandelbar» werden, sogar bis auf die politische Bühne, kann das breite Kreise enorm verunsichern. Medien könnten Orientierung geben, das wäre eine Chance. Aber was ist, wenn ganze Bevölkerungskreise resignieren und sich aus der öffentlichen Debatte ausklinken: Sind Sie dann noch zugänglich für Medien?

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Ich höre und schaue sehr gern zeitversetzt, was mit der SRF-Play-App beispielsweise ja problemlos möglich ist. Und wenn mein Informationsbedürfnis grad mal wieder grösser ist als mein Zeitbudget, nutze ich zudem die Möglichkeit, die Wiedergabegeschwindigkeit auf 1,25 oder 1,5 hochzuschrauben…

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja, klar! Stammhörerin bin ich natürlich von unseren eigenen Formaten wie «Trend» oder «NewsPlus». Aber auch der «Geldcast» von Fabio Canetg von Swissinfo gefällt mir. Zudem klicke ich mich immer mal wieder quer durchs Podcast-Angebot, auch von anderen Medienhäusern oder Hosts. 

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Das ist ernüchternd. Und trotzdem müssen wir Medien unbedingt weiterhin versuchen, das Interesse dieser Gruppe für Nachrichten und Einordnungen zu wecken, indem wir sie in einer verständlichen Sprache auf ihren Kanälen ansprechen. Ich bin überzeugt, dass eine direkte Demokratie informierte Menschen braucht! 

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Gewisse Routine-Arbeiten wie Kurzmeldungen, ja. Aber die Denkarbeit, die Recherche, die Einordnung, das Interpretieren von Daten und Informationen? Da bin ich zuversichtlich, dass es für diesen spannenden und anspruchsvollen Teil des Journalismus weiterhin Menschen aus Fleisch und Blut braucht. 

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Digitalisierung ermöglicht es immer mehr Menschen (und Organisationen), selber Newsinhalte zu publizieren und zu kommentieren. Ich bin aber überzeugt, dass Medien weiterhin eine zentrale Rolle in diesem öffentlichen Diskurs spielen werden. Dank ihrer Unabhängigkeit können sie glaubwürdig auftreten. 

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Wenn immer weniger Menschen bereit sind, zum Beispiel für Print zu bezahlen, denke ich, lohnt es sich für eine Gesellschaft, eine gut funktionierende Medienlandschaft zu erhalten. Hier braucht es Lösungen.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Oh ja, sehr oft! Ich kritzle zum Beispiel To-do-Listen auf Fresszettel. Oder ich schreibe in einem Mindmap erste Gedanken zu den möglichen Folgen eines News-Ereignisses auf, um meine Gedanken zu strukturieren, bevor ich für einen Radio-Beitrag oder Online-Text in die Tasten greife.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schlecht. Stichwort: «Alternative Fakten». Das ist Gift für einen funktionierenden Dialog in einer Gesellschaft, weil es das Misstrauen schürt, – auch Medien gegenüber.

Wem glaubst Du?

Menschen, denen ich vertraue, die glaubwürdig, integer und authentisch auftreten. 

Dein letztes Wort?

Medien werden oft die ‘vierte Gewalt’ genannt. Das verdeutlicht, wie wichtig es ist, kritische Beobachter der Politik und der Wirtschaft zu haben. Ich bin überzeugt, dass diese Rolle weiter gefragt ist. Ob die Erkenntnisse analog, digital, live oder zeitversetzt verbreitet und konsumiert werden, ist zweitrangig.


Eveline Kobler
Eveline Kobler hat Staatswissenschaften an der HSG studiert. Nach Abschluss des Studiums ist sie 2003 eher zufällig in den Wirtschaftsjournalismus gerutscht, zuerst bei der Nachrichtenagentur AWP, und seit 2007 bei Radio SRF. Seit 2016 leitet sie die Wirtschaftsredaktion von Radio SRF. Zudem gehört sie zum Moderationsteam der Samstagsrundschau von Radio SRF. Anfang 2023 wechselt sie in die Privatwirtschaft.
https://www.srf.ch/news/wirtschaft


Basel, 12. Oktober 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 190 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier:

https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/ 

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4 Kommentare zu "Eveline Kobler: «Es lebe das Audio!»"

  1. Anderes als „Fake News“ zu etikettieren, würgt jeden Diskussionskultur ab.
    Jemand, der an „der Impfung“ zweifelte, dem wurde das Etikett „Schwurbler“ angeheftet und jedes Gespräch im Keim erstickt.
    Jemand, welcher jetzt z.Z. das Wort „Frieden“ in den Mund nimmt, den wird ultraschnell das Etikett „Russen-Freund“ angeheftet. Deshalb will Biden beim Gipfel auf Bali (Treffen) nicht mit Russland sprechen. „Ich sehe keinen Grund zum Gespräch mit Putin“. Aber: Zum Reden gibt es immer einen Grund. Etikettenangst vor den Medien. Doch damit gehen wir zu Grunde.
    Und SRF empfinde ich sehr gut im (mit-) etikettieren.
    Wünsche Eveline Kobler guten Start im neuen Wirkungskreis. Und das die Landung von der „Frottee-Anstalt-SRF“ ins „Big-Strong-Privat-Business“ für sie nicht zu hart wird.

    1. „Anderes als „Fake News“ zu etikettieren, würgt jeden Diskussionskultur ab.“
      Leider hat Donald Trump „Fake News“ zum politischen Kampfbegriff gemacht. Doch Fake News meint schlicht Desinformation, also in manipulativer Absicht verbreitete Falschnachrichten. So gesehen ist es nicht die Etikettierung einer Meldung als Fake News, die die Diskussion abbricht, sondern umgekehrt: Das Verbreiten von Fake News würgt Diskussionen ab. Dazu dienen Fake News.

  2. Gibt es eigentlich das Gegenteil von Fake News? Sind das vielleicht Goodwill News? Oder etwa Badwill News? Oder halt doch Not News? Und nebenbei gefragt: Ist wohl die Podcast-Invasion ein Angriff auf die Gehirne, die damit – nach dem Motto „sich zu Tode informieren macht Spass“ – extrem unterhaltend lahm gelegt werden?

    1. Vielleicht ist es mal wieder Zeit für die Definition von Fake News: Das sind in manipulativer Absicht verbreitete Falschmeldungen. Fake News sind also nicht nur falsch, sondern dienen auch der Manipulation. Anders gesagt: Fake News ist Desinformation. Das Gegenteil davon sind schlicht Nachrichten.

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