Esther Keller: «Unter Zeitdruck leidet zumeist die Qualität»

Publiziert am 25. September 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Esther Keller, Autorin und Kommunikationsberaterin, über ihren persönlichen Mediengebrauch, ihren Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Sie sagt: «Ich gehöre nicht zu den Menschen, die ab Minute 1 eines Ereignisses ständig Updates haben wollen.» Meistens steige die Qualität der Berichterstattung mit dem zeitlichen Abstand. Professioneller Journalismus hat für sie auf jeden Fall Zukunft: «Je mehr Informationen auf allen Kanälen auf uns einprasseln, desto mehr brauchen wir kompetente Menschen, welche die Informationen gewichten und einordnen.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Für meine politische Arbeit lese ich am Handy oder auf dem Tablet beide Regionalzeitungen, also sowohl die «bzBasel» wie auch die «BaZ». Am Wochenende schätze ich Zeitungen in Papierform, besonders gerne die «NZZ am Sonntag». Der Vorteil der «physischen» Zeitung ist, dass man sie mit Freunden gemeinsam lesen und Teile austauschen kann – und so ins Diskutieren kommt.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Facebook nutze ich geschäftlich, für meine politische Arbeit sowie für die Vereine, in denen ich engagiert bin. Dasselbe gilt für LinkedIn. Twitter und Instagram nutze ich (noch) nicht. Privat nutze ich Social Media kaum, weil ich meine Freizeit lieber offline mit Freunden und beim Sport verbringe.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Ich gehöre nicht zu den Menschen, die ab Minute 1 eines Ereignisses ständig Updates haben wollen. Meistens steigt die Qualität der Berichterstattung mit dem zeitlichen Abstand. Insofern lese ich – zumeist online – die erste Berichterstattung, warte dann aber gerne ab, bis die Vermutungen, die schnell geäussert werden, zugunsten der Fakten weichen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Ich denke, dass sich – aller Unkenrufe zum Trotz – die Qualität verbessert hat. Ganz schlicht dadurch, dass man dank des Internets bessere Möglichkeiten zur Recherche hat. Was man früher über mehrere Tage hinweg, in langen Telefonaten und Archivbesuchen klären musste, lässt sich heute in wenigen Stunden oder gar Minuten finden. Es gibt aber durchaus Dinge, die man kritisch beobachten muss. So beispielsweise der hohe Druck, jeweils das erste Medium zu sein, das News hat. Unter Zeitdruck leidet zumeist die Qualität. Und die Glaubwürdigkeit der Medien ist ein Gut, mit dem wir nicht zu leichtfertig umgehen sollten.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Unbedingt, ja. Menschen lieben Geschichten, sei das als Film oder als Text. Wir verändern uns aber in unserem Leseverhalten. Wir sind nicht mehr so geduldig mit komplizierten Texten, weil wir es mögen, wenn uns komplexe Sachverhalte auf einfache Weise erklärt werden. Das wiederum ist eine hohe Kunst.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Ein Text, der mich immer wieder beeindruckt, ist der Essay «Wie wäre es, gebildet zu sein?» vom Schweizer Philosophen Peter Bieri. Er legt die Wichtigkeit der Bildung in verschiedenen Facetten des menschlichen Daseins dar, auf einfache und eindrückliche Weise. Ich kann jeder und jedem nur empfehlen, dem Text mal einige Minuten zu widmen.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Die kann ich sehr schnell und mühelos weglegen, so wie ich auch Filme mittendrin unterbrechen kann, wenn sie mich nicht überzeugen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Austausch mit Menschen. Wenn ich Menschen treffe – bei Anlässen oder beim Sport – versuche ich die Ebene des Small Talks schnell zu verlassen, um wirklich etwas über sie zu erfahren. So eröffnen sich neue Welten.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Die Zahl der gedruckten Zeitungen wird weiterhin abnehmen, aber ich bin überzeugt, dass sie auch in zehn oder zwanzig Jahren noch eine Rolle spielen werden. Gerade in Zeiten, in denen sich alles digitalisiert, gibt es den Wunsch nach «realen» und anfassbaren Dingen. Eine Zeitung spürt, riecht und hört man. Das hat eine Qualität.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Wer meint, dass Fake News eine neue Erscheinung seien, soll einen Blick in die Geschichtsbücher werfen. Wichtig heute – wie schon immer – ist, dass Zeitungen eine möglichst objektive Berichterstattung bieten.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Radio höre ich zuweilen zuhause. Fernsehen schaue ich nur noch «on demand». Ganz auf Fernsehen verzichten möchte ich auf keinen Fall. Man kann sich ein besseres Bild von Menschen machen, wenn man sie hört und sieht.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Vor allem in den Ferien, ja. Ich mag den «HBR IdeaCast», bei dem jeweils mit einer spannenden Persönlichkeit aus der Wirtschaft ein aktuelles Thema diskutiert wird.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ich erlebe die heutigen Jugendlichen und jungen Menschen als interessiert. Es sind die Kanäle, über die sie News beziehen, die sich ändern. Darauf müssen wir zu reagieren wissen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ein Teil der Nachrichten – beispielsweise Resultate aus dem Sport oder Abstimmungsresultate – lassen sich sicherlich automatisieren. Es wird aber noch sehr lange Fachwissen, ein gutes Beziehungsnetz und menschlichen Verstand brauchen, um komplexe Themen zu analysieren und damit einen echten journalistischen Mehrwert für das Publikum zu generieren.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ganz klar ja. Je mehr Informationen auf allen Kanälen auf uns einprasseln, desto mehr brauchen wir kompetente Menschen, welche die Informationen gewichten und einordnen.

Beurteilst Du die Medien und den Journalismus anders, seit Du die Seiten gewechselt hast und als Politikerin selbst Objekt der Berichterstattung bist?

Tatsächlich versteht man nach dem Seitenwechsel besser, weshalb die Beantwortung von Medienanfragen mehr Zeit braucht als sich das ein Journalist wünscht. Die interne Abstimmung ist wichtig, auch um die eigenen Mitarbeitenden nicht vor den Kopf zu stossen. Je grösser das Unternehmen, desto länger dauert normalerweise dieser Prozess.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, sehr gerne sogar. Notizen mache ich häufig von Hand. Und Briefe schreiben finde ich etwas sehr Schönes und Persönliches.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Donald – wer? Nein, im Ernst, ich versuche mich beim Lesen der Berichterstattung über ihn auf das Nötigste zu beschränken. Zu viel ärgern ist ungesund.

Wem glaubst Du?

Ich glaube vielen Menschen, aber ich bin mir dabei immer bewusst, dass ihre Sichtweise durch ihre Erfahrungen geprägt ist und nicht die einzig richtige ist.

Dein letztes Wort?

Wenn ich mir heute etwas wünschen dürfte, so wäre es, dass wir es dank der Digitalisierung – ironischerweise – schaffen, innerhalb der Gesellschaft mehr in Kontakt miteinander zu kommen. Menschen sind keine Einzelgänger, schöne Begegnungen machen glücklich und helfen dabei, Vorurteile abzubauen.


Esther Keller

Esther Keller arbeitete als Moderatorin und Redaktorin für Telebasel, bevor sie Mediensprecherin bei Novartis und später selbständig wurde. 2014 erschien ihre Biografie über den Kunstsammler Ernst Beyeler. Die sportbegeisterte Baslerin ist zudem Co-Präsidentin des NLA-Volleyclubs Sm’Aesch Pfeffingen sowie von Beachvolley Uptown Basel. Seit 2019 sitzt sie für die Grünliberalen im Basler Grossen Rat.

www.esther-keller.ch


Basel, 25. September 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Ein Kommentar zu "Esther Keller: «Unter Zeitdruck leidet zumeist die Qualität»"

  1. Es sind Nationalratswahlen. Für die GLP will Esther Keller nach Bern. Auf der GLP-Liste neben Katja Christ (Anwältin), David Wüest-Rudin (Unternehmensberater) und Dieter Burkhard (Business Engineering Manager).
    Und just vor diesen Wahlen kommt E. Keller bei MZ gross raus.
    Mit diesem Fragebogen hätte man besser bis nach den Wahlen gewartet.
    Oder muss man/will sich Esther Keller bewusst zum Gewählt werden so/auf allen Kanälen präsentieren?
    Kein subtiles Timing, welches nicht zu einer unabhängigen Plattform passt. Oder vielleicht ist alles auch nur Zufall. Dann ist es halt so.

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