Elsbeth Gugger: «So schnell sterben Printmedien nicht aus»

Publiziert am 28. Juli 2021 von Matthias Zehnder

Die Fragebogeninterview-Sommerserie mit Schweizer Korrespondent:innen über ihre Mediennutzung – heute mit Elsbeth Gugger, Niederlande-Korrespondentin von Radio SRF. Sie hört selbst unter der Dusche Radio, sagt von sich, «ob zu Fuss unterwegs, im Fitnessclub oder beim Kochen: Ich höre ständig irgendwelche Podcasts» und gibt auch gleich ein paar spannende Podcast-Tipps. Sie sagt, auch in den Niederlanden gebe es eine Medienkonzentration. Die wichtigsten Zeitungen gehören mittlerweile einem belgischen Konzern. «Aber im Gegensatz zur Schweiz ist bei hiesigen Qualitätszeitungen (für die LeserInnen) kaum etwas davon zu merken.» Die Blätter seien eigenständig geblieben, «und ich werde nach wie vor mit sehr guten und seriös recherchierten Geschichten beglückt.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Das Radio. Morgens führen die ersten Schritte vom Bett zu den Kopfhörerstöpseln in meinem Arbeitszimmer. Die bleiben auch unter der Dusche und beim Zmorge im Ohr. Ich höre immer das «Radio 1 Journaal» auf dem niederländischen öffentlich-rechtlichen Sender «NPO Radio1». Das ist zwar über weite Strecken sehr anstrengendes Talkradio mit einem Anchor, der tagtäglich mit schlechten Verbindungen kämpft («Jungs, kriegt ihr diese Leitung wieder hin? Oder soll ich mit einem anderen Thema weitermachen?»), hat aber den Vorteil, dass sämtliche Themen besprochen werden, die gestern wichtig waren und heute wichtig werden (könnten).

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Instagram nutze ich privat, Facebook nur noch für meine Schrebergartengruppe, aber Twitter lasse ich inzwischen links liegen. Für meine Arbeit brauche ich diesen Kurzdienst nicht – wichtige Tweets stehen eh innert kürzester Zeit auf den Medienwebsites. So kann ich mir die widerwärtigen Kommentare der niederländischen Twitter-Community sparen. Ich lese Volkes Stimme lieber in einer etwas anständiger formulierten Version als Leserbrief in den Zeitungen.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Wie alle andern musste auch ich auf Zoom und Co. umstellen, wenn ich Töne brauchte. Das hatte den Vorteil, dass InterviewpartnerInnen viel schneller zu einem Gespräch bereit waren. Aber ich fand es sehr langweilig: Ich bin nicht Korrespondentin geworden um permanent im Büro zu hocken.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Beantworte ich diese Frage mit «alles besser» (was ich denke), fühle ich mich uralt. Aber die Zeitungslandschaft ist durch die Konzentrationen schon sehr eintönig geworden.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Unbedingt! Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass bei SRF die Nachrichten jemals auswendig vorgetragen werden! 😜

Was soll man heute unbedingt lesen?

Gute Bücher! Die Niederlande haben eine sehr reiche Literaturszene. Ich stecke grad mitten in «Bloed en Honing – ontmoetingen op de Balkan» (Blut und Honig – Begegnungen auf dem Balkan), einem literarischen Reisebericht meiner ehemaligen Bürokollegin Irene van der Linde. Sie war zusammen mit der Fotografin Nicole Segers an den europäischen Ostgrenzen unterwegs. Das sehr lesenswerte Buch (das von den meisten LiteraturkritkerInnen mit 5 Sternen gekrönt wurde!) vermittelt viele Denkanstösse – beispielsweise, dass all die Prozesse am Jugoslawien-Tribunal in Den Haag doch nicht das gebracht haben, was sich die internationale Gemeinschaft davon erhofft hatte.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Es gibt so viele gute Bücher, weshalb sollte ich ein schlechtes lesen?

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Überall: beim Zeitungslesen, beim Znacht mit FreundInnen, aber auch auf Reportagen. Häufig blühen Menschen nach einem Interview so richtig auf und erzählen spannende Zusatzgeschichten.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Der Markt wird wohl weiter ausgedünnt, aber so schnell sterben Printmedien nicht aus.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Diese gefährliche Entwicklung wird leider kaum aufzuhalten sein. Es ist äusserst wichtig, dass Kinder frühzeitig lernen, damit umzugehen. Aber in den Niederlanden ist das ein frommer Wunsch: Ein Schüler, dem ich ab und zu Nachhilfe in Deutsch gebe, erklärte mir vor kurzem, dass das Thema nirgendwo im Lehrplan vorkomme, weshalb sich keine Lehrerin und kein Lehrer gerufen fühle, mit der Klasse darüber zu sprechen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Die Morgenradiosendung höre ich live, alles andere (wie das «Echo der Zeit» oder die niederländische Tagesschau «Het Journaal») wenn es zeitlich passt.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ob zu Fuss unterwegs, im Fitnessclub oder beim Kochen: Ich höre ständig irgendwelche Podcasts. Hintergründiges wie «OVT», das niederländische Pendant zur «Zeitblende» von SRF, «Der Tag» vom HR oder «Asymmetrical Haircuts», ein Podcast über die Welt der Internationalen Strafjustiz.

Freitags freue ich mich immer auf «De Stemming van Vullings en Van der Wulp», einen sehr witzig gemachten Podcast mit zwei ausserordentlich gut informierten Journalisten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, die gemeinsam alles besprechen, was sich in der vergangenen Woche im Regierungsviertel in Den Haag – und nicht zuletzt hinter den dortigen Kulissen – abgespielt hat. Sie nehmen dabei kein Blatt vor den Mund, kritisieren fröhlich Kabinett und König und schämen sich überhaupt nicht, ihre Meinung kund zu tun.

Und ich mag Krimis, insbesondere den SRF «Krimi Podcast» mit Susanne Janson und Wolfram Höll. (Ich bin den beiden ewig dankbar, dass sie Dickie Dick Dickens wieder ausgegraben haben!)

Das Highlight des bisherigen Jahres war aber definitiv die «Prissy-Edition» auf dem WDR – Scarlett O’Hara verknüpft mit der Black-lives-matter-Debatte. Genial!

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Nichts Gutes! Aber es gibt ja auch noch die anderen 45 Prozent.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Natürlich nicht. Die Strategie des Herrn Supino ist einzig und allein auf Gewinn ausgerichtet. Ein Mann, der selbst die Wasserspender aus seinen Redaktionsräumen wegsparen lässt, wird hemmungslos Roboter einsetzen, wenn er damit noch mehr Stellenprozente abbauen kann.

Das Thema wird natürlich auch in den Niederlanden diskutiert. Auch hier gibt es eine Medienkonzentration: Die wichtigsten Zeitungen gehören mittlerweile einem belgischen Konzern. Aber im Gegensatz zur Schweiz ist bei hiesigen Qualitätszeitungen (für die LeserInnen) kaum etwas davon zu merken. Die Blätter sind eigenständig geblieben, und ich werde nach wie vor mit sehr guten und seriös recherchierten Geschichten beglückt. Viele kommen übrigens dank den Recherche-Desks zustande, für die es hier immer noch Gelder gibt.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Wovor sollte der Journalismus befreit werden müssen?

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Selbstverständlich! Gute, sauber recherchierte Infos wird es auch in Zukunft brauchen. Das ist in einer Demokratie unabdingbar. Abgesehen davon: Ich glaube nicht, dass es je gelingen wird, einen Roboter zu bauen, der hochkomplexe Zusammenhänge einzuordnen vermag und ausgewogen über Fakten berichten kann.

Schreibst du manchmal noch von Hand?

Nur noch Trauerkarten. Und natürlich mache ich Notizen von Telefongesprächen und an Pressekonferenzen – um mich nachher über mein unleserliches Gekritzel zu ärgern.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

In den Niederlanden mit ihrem traditionell sehr starken transatlantischen Band war seine mediale Omnipräsenz unerträglich. Es ist ein Segen, dass mir sein Konterfei nicht mehr täglich begegnet.

Wem glaubst Du?

Meinem Mann, meinem engsten Freundeskreis, anständigen Medien und ziemlich oft auch den Behörden.

Dein letztes Wort?

Durchhalten!


Elsbeth Gugger
Elsbeth Gugger stieg in den 1980er Jahren quer bei Radio ExtraBE ein. Später wechselte sie zu Radio Förderband und schliesslich zur Nachrichtenagentur sda. Dann kam die EWR-Abstimmung und sie wollte wissen, ob es wirklich so schlimm ist, in der EU zu wohnen. Ist es nicht! Seit nun bald 30 Jahren lebt sie glücklich und zufrieden als Niederlande-Korrespondentin in Amsterdam. Sie arbeitet zur Hauptsache für Radio SRF.
https://www.srf.ch/radio-srf-1/radio-srf-1/elsbeth-gugger-unsere-frau-in-den-niederlanden


Basel, 28. Juli 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:
www.matthiaszehnder.ch/abo/

 

 

3 Kommentare zu "Elsbeth Gugger: «So schnell sterben Printmedien nicht aus»"

  1. Erschreckend: „Morgens führen die ersten Schritte vom Bett zu den Kopfhörerstöpseln in meinem Arbeitszimmer. Die bleiben auch unter der Dusche und beim Zmorge im Ohr…..“
    Wie unterschiedlich Menschen doch sind: Ich freue mich, am Morgen erwachen zu dürfen, all meine Sinne spüren zu dürfen, Ruhe zu erleben, den Vögeln ihren Morgengesang erleben zu dürfen, dankbar erkennen, das ein neuer Morgen kommt den ich erleben darf.
    Mit Stöpseln…. wie ruppig im Vergleich dies tönt. Wie wird ein Mensch dadurch verändert und (um-)geformt; wo bleibt die Reflexion, die Besinnung; gerade auch von Medienschaffenden dadurch?…. Dies und noch mehr frägt sich ein verwunderter Thomas Zweidler.

    1. Nun, lieber Herr Zweidler, es können nicht alle Menschen dem Luxus frönen, am Morgen den Vögeln zuzuhören. Die Frau ist freischaffende Korrespondentin, also muss sie auf dem Sprung sein und sich gut informieren. Mir geht es ähnlich: Ich beginne den Tag auch mit Nachrichten, allerdings nicht unter der Dusche, sondern beim Joggen. Die Dusche kommt erst später…
      Gut gibt es die Medienschaffenden noch, die sich zuerst informieren und danach erst reflexiv eine Meinung bilden.

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