Elodie Kolb: «Eine ästhetisch ansprechende Zeitungsseite schlägt jede Homepage.»

Publiziert am 12. März 2025 von Matthias Zehnder

Das 324. Fragebogeninterview, heute mit Elodie Kolb, freie Gesellschafts- und Kulturjournalistin. Sie sagt, seit ihrem Berufseinstieg lese sie «viel, viel mehr»; und zwar «mehr Artikel, die mich nicht nur persönlich interessieren, sondern die ich für relevant halte für die Entwicklung unserer Gesellschaft». Zudem habe sie «E-Papers zu schätzen gelernt: Eine inhaltlich gute und ästhetisch ansprechende Zeitungsseite schlägt jede Homepage». Sie lese selten wirklich schlechte Bücher und wenn, dann «kämpfe ich mich auch durch Fehlgriffe». Das sei eine schlechte Angewohnheit. «Aber manchmal tut es auch gut, sich einfach über etwas aufzuregen.» Sie werde wehmütig, wenn sie höre, «was für Ressourcen und Renommee Journalist:innen früher hatten». Sie glaube aber, es gebe «viele Journalist:innen, die trotz schwieriger Umstände mit viel Idealismus Journalismus machen. Das ist gut und wichtig.» Und was ist mit Donald Trump? Ist er gut oder schlecht für die Medien? «Schlecht!», sagt Elodie Kolb, «Ganz, ganz schlecht! Mit ihm wurde die Wahrheit subjektiv.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Zuerst mit nur halboffenen Augen im Bett und später beim Kaffee lese ich «bzBasel», «BaZ» und NZZ. Meistens gehört auch das «Bajour»-Briefing zu meiner morgendlichen Lektüre. Am Wochenende nehme ich mir Zeit für Wochenzeitungen und Magazine.

Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?

Soziale Medien haben wohl meist eher mich im Griff als ich sie – vor allem Instagram. Facebook und X nutze ich schon lange nicht mehr, Threads, BlueSky und Mastodon nutze ich (noch) nicht. YouTube und TikTok sporadisch. Mit LinkedIn beginne ich mich anzufreunden – und spiele Queens und Tango.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Ich lese viel, viel mehr; beziehungsweise nicht mehr nur Fiktion. Ich lese mehr Artikel, die mich nicht nur persönlich interessieren, sondern die ich für relevant halte für die Entwicklung unserer Gesellschaft. Und ich habe E-Papers zu schätzen gelernt: Eine inhaltlich gute und ästhetisch ansprechende Zeitungsseite schlägt jede Homepage.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Wenn ich höre, was für Ressourcen und Renommee Journalist:innen früher hatten, werde ich wehmütig. Aber trotz Krisen in der Branche bewegt sich, was die Diversität anbelangt, auf Redaktionen langsam etwas. Und ich glaube, es gibt viele Journalist:innen, die trotz schwieriger Umstände mit viel Idealismus Journalismus machen. Das ist gut und wichtig.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja. Ich lerne visuell: Ohne Schreiben und Geschriebenes würde nur wenig bei mir hängen bleiben.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Zeitungen, Magazine, Romane, Essays, Lyrik – aber eigentlich ist es egal was: Hauptsache lesen.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich kenne meinen Geschmack inzwischen ziemlich gut und lese selten wirklich schlechte Bücher. Aber ich kämpfe mich auch durch Fehlgriffe oder wirklich schlechte Texte bis zur letzten Seite durch, eine schlechte Angewohnheit. Aber manchmal tut es auch gut, sich einfach über etwas aufzuregen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Bei der Recherche, beim Lesen, beim Spazieren, beim Scrollen, bei Gesprächen mit Freundinnen und Fremden.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Solange Inserent:innen noch Werbung platzieren.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Sie sind eine Gefahr für den faktenbasierten Diskurs und damit auch für die Medien(wahrnehmung).

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Wenn ich Radio höre oder fernsehe, dann nicht linear, sondern zeitversetzt als Podcasts.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja, ich höre viele Podcasts. Aus mir nicht ganz nachvollziehbaren Gründen am liebsten True Crime. Den Besten machen Paulina Krasa und Laura Wohlers «Mordlust». Ansonsten «Die sogenannte Gegenwart» und «Tatort Kunst».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Es ist ein Problem. Ich denke, es gibt noch Luft nach oben für fundierte Inhalte und Formate für diese Zielgruppe. Und mich würde interessieren, wie diese Statistik vor 50 Jahren ausgesehen hat.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Nein. Journalismus heisst, emphatisch auf Menschen zu gehen, Informationen hinterfragen und noch ungestellten Fragen nachgehen: Alles Dinge, die Roboter meines Wissens nicht können.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Ein neues Medium hat immer einen nachhaltigen Einfluss auf die Gesellschaft: Als die Eisenbahn in ihrer Anfangszeit mit 30km/h durch die Gegend tuckerte, litten Passagiere offenbar an Übelkeit. Ich glaube das Wichtigste ist, sich dem Neuen trotz Unwohlsein zu stellen. Die Digitalisierung führt sicher nicht zum Tod der Medien, aber vielen macht die Digitalisierung immer noch Bauchweh. Dabei gäbe es viele Möglichkeiten und Ideen für innovativen Journalismus im Netz.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja. Wenn der Journalismus eine Voraussetzung für Demokratie ist, dann gehöre dieser zur Infrastruktur. Das schreibt Roger de Weck in seinem Essay «Das Prinzip Trotzdem». Und dann müsse der Staat diese auch mitverantworten, das finde ich nachvollziehbar. Aber wie eine nachhaltige, zukunftsgerichtete Medienförderung, die Unabhängigkeit gewährt und die zugleich die verschiedenen Outlets miteinbezieht, aussehen könnte, weiss ich nicht.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Natürlich. Notizen, Todolisten, Tagebücher und Anmerkungen in Büchern.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schlecht! Ganz, ganz schlecht! Mit ihm wurde die Wahrheit subjektiv.

Wem glaubst Du?

Menschen, die nicht verallgemeinern. Pauschalisierungen sind ein grosses Problem.

Dein letztes Wort?

Lest, denkt und sprecht miteinander.


Elodie Kolb
Elodie Kolb hat Medienwissenschaft, Deutsche Philologie (BA) und Literaturwissenschaft (MA) an der Uni Basel studiert. Parallel dazu hat sie erste journalistische Erfahrungen auf der Redaktion von «20 Minuten» in Basel gesammelt. Danach wechselte sie zur «bzBasel», wo sie rund drei Jahre blieb. Aktuell schreibt die 27-Jährige frei zu Gesellschafts- und kulturellen Themen. Ausserdem engagiert sie sich seit März 2025 im Vorstand der Jungen Journalistinnen und Journalisten Schweiz.
https://www.elodiekolb.ch


Basel, 12.03.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: Elena Kropf

Seit Ende 2018 sind über 300 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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Ein Kommentar zu "Elodie Kolb: «Eine ästhetisch ansprechende Zeitungsseite schlägt jede Homepage.»"

  1. Die „Wahrheit“ – war sie nicht immer schon subjektiv?
    Auch wenn ich in die EU schaue, wird mir schlecht. Vor der Wahl D-Kanzler-Merz: Keine neuen Schulden, weniger Steuern und die sehnlichst erwartete Asylwende propagiert. Wenige Stunden nach der Wahl ein gigantisches Infrastruktur-Sondervermögen (so sagt man jetzt Schulden) und eine Ausnahmeregelung in der Schuldenbremse um nie dagewesene Schulden aufzunehmen. Die Asylwende wird aufgeweicht. Eine Absage an eine Konsolidierung des Staatshaushalts und bittere Enttäuschung (Unwahrheit) vieler Wähler…
    Leider nie nie nie wird Wahrheit wahr.
    Die Welt ist kein Ort der Wahrheit. Und: Die Welt ist kein Ort der Gerechtigkeit. Doch bedenke: Nicht immer zu deinen Ungunsten…

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