Elisabeth Pestalozzi: «Ich nehme die Qualitätsunterschiede von Medien heute deutlicher wahr»

Publiziert am 6. November 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Elisabeth Pestalozzi, Kommunikationsleiterin der Christoph Merian Stiftung CMS, über ihren persönlichen Mediengebrauch, ihren Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Sie sagt, es sei anspruchsvoller geworden, Qualitätsjournalismus zu machen. «Aus meiner heutigen Perspektive nehme ich die Qualitätsunterschiede von Medien und Medienschaffenden deutlicher wahr.» Ob Papier oder Screen spiele mittlerweile eine untergeordnete Rolle. «Was zählt, sind Qualität und Qualitätsbewusstsein; auf der Sender- und der Empfängerseite.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

«BaZ», «bz», «NZZ», Radio SRF, am Wochenende die Sonntagszeitungen.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Die Social Media Kanäle konsumiere ich im Laufe des Tages/Abends, unregelmässig regelmässig.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Auf den Online-Portalen der abonnierten Zeitungen und bei SRF, BBC und CNN.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder noch. Heute ist es sicher noch anspruchsvoller, Qualitätsjournalismus zu machen. Dazu gehören die Faktoren Geld, Zeit, Multimedialität und weniger klare Quellenlagen und definierte Zielgruppen. Umgekehrt erleichtern die technischen Möglichkeiten und die Zugänglichkeit zu Informationen die Medienarbeit wesentlich.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Aber sicher! Ob auf Papier oder dem Screen spielt eine untergeordnete Rolle. Was zählt, sind Qualität und Qualitätsbewusstsein; auf der Sender- und der Empfängerseite.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

«Anna Karenina» von Leo Tolstoi.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Eigentlich möchte ich sie zu Ende lesen, weil ich überzeugt bin, auch aus schlechten Büchern zu lernen. Und doch lege ich sie manchmal weg.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Gespräch mit Menschen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Keine Ahnung. Das breite Angebot noch ein paar Jahre, die Nischenprodukte etwas länger?

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Die grösste Gefahr scheint mir die unmittelbare Nähe von Fake News und ‹Wahrheit› oder sagen wir ‹Richtigkeit› zu sein. Auf welcher Basis lässt sich da eine Meinung bilden, was für das Leben in einer Demokratie unerlässlich ist? Wie behalten da Medien ihre Glaubwürdigkeit?

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Leider konsumiere ich SRF selten live, auch wenn ich im Hörgenuss einen klaren Unterschied zwischen live und zeitversetzt erkenne. Aber ich schätze das zeitversetzte Angebot und Sendungen im Podcast-Format ausserordentlich. Besser später informiert als gar nicht.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich höre die Podcasts von SRF-Sendungen wie dem «Echo der Zeit», dem «Tagesgespräch» oder der «Samstagsrundschau». Unterdessen gibt es neue, spannende Formate. Dazu fehlt mir leider meistens die Zeit.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Von der apolitischen und medial schlecht versorgten jungen Generation höre ich seit Jahren. Das ist natürlich für eine Demokratie verheerend. In meinem privaten Umfeld erlebe ich allerdings eine zunehmend polit-interessierte Jugend. Das freut mich enorm. Allerdings informiert sie sich vor allem über Social Media. Deshalb sollten die bisherigen Qualitäts-Medien Wege finden, ihre Inhalte dort publik zu machen. Das schaffen sie meiner Meinung nach noch zu wenig.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Wenn, dann in äusserst beschränktem Rahmen (Newszusammenfassung). Doch sollte der Journalismus zunehmend dafür da sein, Ereignisse zu erklären und einzuordnen, damit der/die Konsument/in in der Lage ist, eine eigene Meinung, Haltung zu entwickeln. Dafür braucht es journalistische Identifikationspersonen und -produkte. Das kann kein Computer leisten.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Unbedingt. In dieser schnellen und komplexen Zeit sind Erklärungen und Einordnungen ebenso wichtig wie Hintergründe und Recherchen. Ohne Journalismus gerät unsere Demokratie in Gefahr.

Beurteilst Du die Medien und den Journalismus anders, seit Du nicht mehr selbst berichtest, sondern andere über Dich und Deine Arbeit berichten?

Nein, mein Blick auf die Medien und ihre Bedeutung hat sich nicht gross verändert. Aus meiner heutigen Perspektive nehme ich die Qualitätsunterschiede von Medien und Medienschaffenden jedoch noch deutlicher wahr.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Leider selten.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Donald Trump hat Lügen salonfähig gemacht. Was soll daran gut sein?

Wem glaubst Du?

Glauben ist ein grosses Wort. Prägen lasse ich mich von stringenten Argumentationen und Menschen mit einem grossen Herz.

Dein letztes Wort?

Man kann nicht nicht kommunizieren – und das ist wunderbar so!


Elisabeth Pestalozzi
Elisabeth Pestalozzi (50) arbeitete während gut zwanzig Jahren bei der Abteilung Information von Radio SRF. Sie begann als Journalistin 1996 beim «Regionaljournal Basel Baselland». Später war sie u.a. Bundeshausredaktorin, Redaktionsleiterin von «Rendez-vous» und «Tagesgespräch» sowie stv. Chefredaktorin von Radio SRF. Seit 2018 leitet sie die Kommunikation der Basler Christoph Merian Stiftung.
www.cms-basel.ch


Basel, 6. November 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Ein Kommentar zu "Elisabeth Pestalozzi: «Ich nehme die Qualitätsunterschiede von Medien heute deutlicher wahr»"

  1. Immer wieder diese Frage nach den sogenannten „Fake News“: Sie sind für mich nur die Spitze vom Eisberg. Weit weniger durchschaubar aber umso wirksamer scheinen mir von sogenannten Wissenschaftlern als Wahrheiten autorisierte Botschaften.

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