Elia Blülle: «Twitter ist eine Hassliebe»

Publiziert am 8. Februar 2023 von Matthias Zehnder

Das 215. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Elia Blülle, Journalist beim Onlinemagazin «Republik» und da Initiant des Klimalabors. Er sagt, dass er, wäre er nicht Journalist, wohl selbst in die Kategorie der News-Deprivierten fallen würde: «Wieso soll ich mir jeden Morgen alle schlechten Meldungen dieser Welt einflössen, wenn ich mich danach hilflos fühle?» Journalist:innen müssten darauf Antworten finden – «insbesondere in der Klimakrise». Auf Frage, ob Fake News eine Gefahr oder eine Chance für die Medien seien, sagt er, das sei, als würde man fragen: «Gehirntumor – Gefahr oder Chance?» Eine Medienförderung würde er nur befürworten, wenn sie «grösstmögliche Unabhängigkeit garantiert und die Marktmacht grosser Verlage politisch nicht künstlich zementiert».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Seit ich Journalist bin, lese ich nicht mehr zum Frühstück, sondern höre nur noch Musik.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Was ist Facebook? Instagram für den Voyeurismus. Und Twitter ist eine Hassliebe: Einerseits eine wichtige, oft sehr unterhaltsame Informationsquelle, andererseits holt Twitter nicht immer nur das Beste aus mir raus. Letzthin hat mir ein Freund gesagt, er hielte mich für ein «humorloses Arschloch», würde er mich nur von Twitter kennen.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Mir wurde noch einmal viel deutlicher bewusst, dass wir neben einer so akuten Krise wie der Covid-Pandemie auch die globale Klimakrise und das Artensterben als konstante Dimension in unserer ganzen Berichterstattung abbilden müssen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Keine Ahnung. Ich bin zu jung, um das beurteilen zu können.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Noch nie haben so vielen Menschen so viel Vielfältiges geschrieben wie heute. Also ja.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Die Zusammenfassung des neusten IPCC-Reports. Aktuell gerade «Cancel Culture Transfer: Wie eine moralische Panik die Welt erfasst» und «The New Climate War».  Alles von Elizabeth Kolbert und Anne Applebaum. Immer wieder Hanna Arendt und John Rawls fürs politische Verständnis. Und die Songtexte von Kendrick Lamar.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lese fast alle Bücher fertig. Meistens aus Furcht, irgendetwas zu verpassen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Youtube. Da falle ich regelmässig in Rabbit Holes. In letzter Zeit habe ich zum Beispiel gelernt, wie man Hunde für Agility trainiert, obwohl ich Hunde eigentlich gar nicht besonders mag, oder was es braucht, um als Laie ohne Hilfe einen Jumbotjet zu landen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Keine Ahnung. Prognosen sind nicht so mein Ding.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Das ist, als würde man fragen: Gehirntumor – Gefahr oder Chance?

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Nur noch für Live-Sport.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Meine neuste Entdeckung ist «If Books Could Kill» – ein Podcast über Flughafen-Bestseller, die unsere Herzen erobern und unseren Verstand ruinieren. Ansonsten immer «Sykora Gisler» und «Dritte Halbzeit», weil mich wenig so sehr entspannt, wie Menschen zuzuhören, die mit sehr grosser Ernsthaftigkeit über Fussball sprechen.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Wäre ich nicht selbst Journalist, würde ich wohl auch in die Kategorie der News-Deprivierten fallen. Und müsste ich begründen, wieso, würde ich ähnlich argumentieren wie Amanda Ripley in der Washington-Post: Wieso soll ich mir jeden Morgen alle schlechten Meldungen dieser Welt einflössen, wenn ich mich danach hilflos fühle? Wenn sich Kontrollverlust, Hilflosigkeit und Verzweiflung einschleichen? Auf diese Fragen müssen wir als Journalist:innen Antworten finden, – insbesondere in der Klimakrise.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Das Schreiben von generischen Kommentaren lässt sich sicherlich gut automatisieren. Die Recherche, das Gespräch, Humor, Empathie, Zweifel und Ambivalenz nicht.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Eine Befreiung. Die Digitalisierung hat das Gatekeeping mächtiger Medienhäuser und ihrer Verlegerschaft geschwächt. Das ermöglicht diversere und offenere Debatten.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ich habe vor einem Jahr mit grossen inneren Widerständen Ja gestimmt. Heute würde ich nur eine Förderung befürworten, die grösstmögliche Unabhängigkeit garantiert und die Marktmacht grosser Verlage politisch nicht künstlich zementiert.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Nur, wenn ich muss. Oder auf Reportage, – um dann stundenlang Kritzeleien zu entziffern.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er war ihr Frankensteins Monster. Und wie bitte soll ein faschistoider Politiker, der die Demokratie untergräbt, gut sein für die freie Presse und den Journalismus?

Wem glaubst Du?

Fast allen. Das hat mich bisher meistens weitergebracht als ständiges Misstrauen.

Dein letztes Wort?

https://www.youtube.com/watch?v=BABM3EUo990


Elia Blülle
Elia Blülle (29) ist seit 5 Jahren Journalist beim Onlinemagazin «Republik». Blülle hat  an der Universität Zürich Philosophie und Politikwissenschaften studiert. Er berichtet vor allem über Klimapolitik und beschäftigt sich mit der Bewältigung von globalen Krisen. Ausserdem ist er Teil des Reporter:innen-Forums und hat hat das «Climate Journalism Network Switzerland» mitbegründet. Bei der «Republik» hat er das Klimalabor initiiert.
https://www.republik.ch/willkommen-zum-klimalabor


Basel, 8. Februar 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Ein Kommentar zu "Elia Blülle: «Twitter ist eine Hassliebe»"

  1. …..Wieder mal jemand von der “ Republik“…..
    Fehlt nur noch Anna Dreussi…..
    Doch die kommt sicher auch noch beim Fragebogeninterview….
    Denn/Auch wenn das viel zu hoch gehängte Online-Magazin „Republik“ aus Zürich von sich selbst behauptet: „Wir sind nützlich“ spielt es doch meist eine miese Rolle unserer Gesellschaft. Auf diese Art von „Dienstleistungen für interessierte Menschen in einer komplexen Welt“ könnte ich verzichten. Und weiter: „Wir recherchieren, fragen nach und ordnen ein“. „All dies mit Fakten und Zusammenhängen.“ Die Mitarbeitenden der „Republik“ sind nach eigenem Verständnis angetreten, um einen “besseren und saubereren Journalismus-Auftrag“ zu betreiben. Sie sehen das Magazin gar als dar „Referenzobjekt für Schweizer Journalisten“!!!!
    DOCH: Jetzt schrieb die in Berlin wohnhafte Anna Dreussi für die „Republik“ einen Beitrag über die „Albisgüetli-Tagung“ der grössten Schweizer Partei, der SVP. „Schon der erste Besucher habe ausgesehen, als würde er Traktorenöl frühstücken, seine Ehefrau hassen und ein dafür verliebt sein in einen der reichsten Männer der Schweiz“. Die Reporterin wollte zuvor „irgendetwas anziehen, das so alt und hässlich ist wie der Schweizer Populismus“. Vor dem Saal, so die Autorin, „schenken alte Männer spanischen Weisswein aus“, der „beissend sauer schmeckt.“
    Autroin Dreussi sieht „Bäuche, die sich über den Hosenbund wölben“, und „Nasen, die rot aus ihren fetten Gesichtern ragen“. Weiter: „Die Teilnehmer träumen von Toten an den EU-Aussengrenzen“. Und die Autorin hat die Hoffnung, „dass das Albisgüetli in einem Meer aus Bier versinkt“. Weiter: „Wir kotzen dem Nachbarn ein Sixpack Feldschlösschen ins Gebüsch“, so die „Republik“.
    Für die „Republik“ säuft also das SVP-Mitglied Traktorenöl, hasst seine Frau und kotzt dem Nachbarn ins Gebüsch.
    Soweit Zeilen aus dem Referenzobjekt für Schweizer Journalisten.
    Na Bravo und „Gute Nacht“.
    Die „Albisgüetli“- Tagung besuchten exakt tausend normale Bürgerinnen und Bürgern, die tagsüber arbeiten, den Sozialsaat finanzieren und Steuern zahlen.
    Im Gegensatz zur Republik, die Millionen von Einnahmen an der Schenkungssteuer vorbeischmuggelte!
    Die „Republik“-Schreibe beachte ich nicht mehr! Kein Verlust! Deshalb als Ausgleich für den Fragebogen: Es darf durchaus auch mal jemand von der „Weltwoche“ sein. Welch wohltuender Ausgleich wäre das. Oder ist die „Ideologie“ wirklich so stark….

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