
Elena Stojkova: «Fake News sind en fertige Seich.»
Das 338. Fragebogeninterview, heute mit Elena Stojkova, ab 1. Juli 2025 stellvertretende Chefredaktorin der «Schaffhauser Nachrichten». Sie sagt, sie sei «grundsätzlich immer spät dran»: Sowohl bei Facebook als auch bei Instagram habe sie erst einen Account eröffnet, als die Plattformen schon begannen, «uncool zu werden». «Vielleicht folgt also bald ein TikTok-Account?» Fake News findet sie «gefährlich, nicht nur für die Medien»: «Qualitätsmedien können durch Entkräftung von Fake News zwar beweisen, dass sie Qualitätsmedien sind. Aber dass sie das müssen, ist schon fatal.» Sie findet, das Wort «Digitalisierung» sei zu klein geworden für all das, was sich in den Medien verändere. Es sei paradox und schwierig: «Während du zusiehst, wie eines deiner Produkte langsam stirbt, wird ein neues geboren. Und während du versuchst, das irgendwie zu managen, bleibt kaum Zeit, um das eine zu betrauern und sich über das andere zu freuen.» Trotzdem hat sie keine Angst vor der KI: «‹Langweilige›, reine Facts kann die Künstliche Intelligenz schon beschreiben. Aber doch nicht die wunderbaren Geschichten all der Begegnungen, die Journalistinnen und Journalisten haben.» Die Artikel, die sie am liebsten lese, seien die, «in denen es menschelt, nicht die, in denen es ‹maschinelt›».
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Ich weiss nicht, ob man das, was ich mache, frühstücken nennen soll. Ich knabbere im Büro morgens höchstens an einer Maiswaffel oder einer Birne. Währenddessen lese ich mit einer Hälfte des Hirns die neuesten Artikel der «Schaffhauser Nachrichten» und bin mit der anderen Hälfte bei den Inhalten, die das Team als nächstes produzieren wird.
Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?
Grundsätzlich bin ich immer spät dran: Sowohl bei Facebook als auch bei Instagram habe ich erst einen Account eröffnet, als die Plattformen begannen, bei einigen uncool zu werden. Vielleicht folgt also bald ein TikTok-Account?
Auf Instagram bin ich halb-aktiv – damit ich mich ab und an dem kleinen Rausch der Likes hingeben kann.
Ich liebe, was Medien auf Instagram machen, zum Beispiel die Tagesschau oder SRF News.
Die LinkedIn-Angeberei ist mir manchmal ein bisschen unheimlich, ganz selten mache ich aber trotzdem mit.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Komplett. Ich war 24, als ich in den Journalismus einstieg. Davor habe ich zwar Medien konsumiert, aber natürlich nicht in diesem Ausmass. Ich bin aber trotzdem sehr wählerisch geblieben, was Medien anbelangt.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Ich bin kein Fan vom Früher-war-alles-besser-Satz. Ich habe das «Früher der Medien in der Schweiz» nicht persönlich kennengelernt, aber es klingt nach mehr Berufsstolz, mehr Prestige, mehr Ressourcen, mehr finanziellen Mitteln. Und man hatte natürlich weniger Kanäle zu bespielen.
Viele wollen heute am liebsten gar nichts für journalistische Arbeit bezahlen, aber die von Journalistinnen und Journalisten produzierten Inhalte trotzdem lesen und ihre Meinung bei Medien platzieren.
Aber: Wir haben mehr Spielraum, um Geschichten auf ganz verschiedene Arten zu erzählen. Wir können mehr Menschen auf verschiedenen Wegen erreichen. Der Beruf ist undankbarer geworden, aber er bleibt für mich der coolste Beruf, den es gibt.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Ja! Wie traurig wäre eine Welt ohne geschriebene Worte – Gedanken, die mindestens zweimal gedacht wurden. Oder geschliffen. Oder gar perfektioniert.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Geschriebenes, das Menschen empfehlen, die man für unglaublich schlau hält.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Noch vor wenigen Jahren hätte ich ein Buch niemals weggelegt, ohne es fertig gelesen zu haben. Zu gross war die Angst, zu verpassen, dass das Buch doch noch spannend wird. Zu unbefriedigend das Gefühl, ein Buch im Regal stehen zu haben, ohne jede Seite umgeblättert zu haben. Heute ist das anders. Die «Fear of missing out» wird weniger. Überzeugt mich das Buch nach 30 Seiten nicht, lege ich es weg und nehme es auch nicht wieder zur Hand. Dieses Schicksal hat mittlerweile einige meiner Bücher im Regal ereilt.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
In Gesprächen. Oft in denjenigen, die ich für die Arbeit führe.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Darüber mache ich mir eh schon zu viele Gedanken. Ich gebe der gedruckten Tageszeitung schon noch ein bisschen Zeit. Und wenn diese Zeit vorbei ist, haben wir hoffentlich schon längst ein paar krasse Ideen für die Probleme, die das verursachen wird.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Fake News sind en fertige Seich und gefährlich, nicht nur für die Medien. Sie schaden uns, auch, weil viele Menschen nicht unterscheiden können zwischen gut und nicht Recherchiertem. Das setzt vielen Medien einen Stempel auf, den sie nicht verdienen, oder zieht sie mit in den Abgrund. Qualitätsmedien können durch Entkräftung von Fake News zwar beweisen, dass sie Qualitätsmedien sind. Aber dass sie das müssen, ist schon fatal.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Radio-Sendungen höre ich gezielt nach. Den Fernseher habe ich vielleicht vor acht Monaten das letzte Mal eingeschaltet – vielleicht waren es auch achtzehn.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Es gibt Phasen, da höre ich ungesund viele Podcasts. Und dann mag ich es, entertaint zu werden. Ich mag «Zivadiliring». Aber auch einige Folgen von «Hotel Matze» (zum Beispiel die mit Iris Berben). Ansonsten mag ich «International» von SRF.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Dass bedeutet, dass wir dafür kämpfen müssen, dass es nicht mehr so ist. Das ist schwierig und anstrengend, manchmal aber auch motivierend und kreativitätsfördernd, wenn man Erfolge im Kleinen sieht.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
«Langweilige», reine Facts kann die Künstliche Intelligenz schon beschreiben. Aber doch nicht die wunderbaren Geschichten all der Begegnungen, die Journalistinnen und Journalisten haben. Die Artikel, die ich am liebsten lese, sind die, in denen es menschelt, nicht die, in denen es «maschinelt».
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Stellen sich Journalistinnen und Journalisten diese Frage noch? Das Wort «Digitalisierung» ist zu klein geworden für all das, was sich verändert. Aber um die Frage trotzdem zu beantworten: beides und nichts davon. Das ist ja das Paradoxe und Schwierige daran. Während du zusiehst, wie eines deiner Produkte langsam stirbt, wird ein neues geboren. Und während du versuchst, das irgendwie zu managen, bleibt kaum Zeit, um das eine zu betrauern und sich über das andere zu freuen, denn es gibt in Sachen News niemals eine Pause, ganz egal, wie und wo sie erzählt werden.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Ja! Es gäbe so viele Möglichkeiten, gut recherchierte Geschichten oder Talente, die Lesens-, Sehens- oder Hörenswertes produzieren, zu fördern, ohne die Unabhängigkeit der Medien zu gefährden.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ständig. Es hat so etwas Persönliches und manchmal sogar Kunstvolles.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Ich bilde mir natürlich Meinungen über Menschen und Ereignisse, aber versuche mich dagegen zu wehren, Menschen und Ereignisse danach zu beurteilen, ob sie gut oder schlecht für die Medien sind. Es stumpft ab, wenn man sich über Negatives freut, weil es Klicks gibt.
Wem glaubst Du?
Alles? Niemandem. Vieles? Fast allen.
Dein letztes Wort?
Wenn ihr news-müde seid, sprecht mit eurer Journalistin oder eurem Journalisten des Vertrauens. Wenn ihr keinen solchen Kontakt habt, findet einen.
Elena Stojkova
Elena Stojkova hat an der Universität Zürich Germanistik und Russische Sprach- und Literaturwissenschaften studiert. Bei den «Schaffhauser Nachrichten» hat sie während des Studiums vor allem sonntags im Korrektorat gearbeitet, seit 2018 auf der Redaktion. «Ich war eigentlich auf dem Weg, Gymi-Lehrerin zu werden, habe dann aber journalistische Luft geschnuppert und bin geblieben», sagt sie. Elena Stojkova hat Fernsehsendungen moderiert und zusammen mit einem Arbeitskollegen einen Podcast produziert. Seit 2022 ist sie Mitglied der Redaktionsleitung, ab 1. Juli 2025 stellvertretende Chefredaktorin der «Schaffhauser Nachrichten».
Basel, 18.06.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Bild: Melanie Duchene
Seit Ende 2018 sind über 330 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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