Dominique Strebel: «Staatstreue hat mitunter den kritischen Blick verstellt»

Publiziert am 21. September 2022 von Matthias Zehnder

Das 195. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Dominique Strebel, Chefredaktor des «Beobachter». Er sagt, die Coronakrise habe bei ihm zu einer «geschärft kritischen Haltung gegenüber zu viel Verantwortungsethik im Journalismus» geführt. Er ist überzeugt, dass auch Autorentexte von künstlicher Intelligenz verfasst werden können. Wichtig sei dabei «die transparente Information». Ob es den Lesern gefällt, sei eine andere Frage: «Bei Kolumnen, Reportagen oder Porträts zweifle ich, ob das je Anklang finden wird. Menschliches wollen Menschen von Menschen lesen.» Faktenbasierte Information ist für Strebel ein öffentliches Gut wie saubere Luft oder sauberes Wasser. «Demokratie-relevanter Journalismus lässt sich am Markt teilweise nicht mehr finanzieren, wird also zu Service Public.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

«NZZ» und «Tages-Anzeiger».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Twitter ist meine Bubble – journalistisch und juristisch. Facebook ist für Reichweite 40+. Von Instagram berichten meine Trendscouts (meine Töchter). 

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Mehr Dashboards, mehr Datenstories, mehr Podcasts. Und eine geschärft kritische Haltung gegenüber zu viel Verantwortungsethik im Journalismus. Staatstreue hat mitunter den kritischen Blick verstellt.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Bei dieser Frage passe ich. Erinnerung verzerrt die Wahrnehmung. 

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Unbedingt!

Was soll man heute unbedingt lesen?

Daniel Kahnemann («Schnelles Denken, langsames Denken»), «The Atlantic», «Reportagen», «WoZ», «Neue Narrative», «NZZ» und «Titeuf».

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich glaube lange an das Gute eines Buches. Und wurde oft belohnt. Also: zu Ende lesen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

An Einladungen; auf Twitter; im Gespräch mit der Toggenburger Bauernfamilie, die uns seit 19 Jahren ein Haus vermietet; in Bewerbungsgesprächen; am Ringier Product Lab und wenn ich im Lift stecken bleibe.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Bis die Rotationspressen von Tamedia und Ringier ersetzt werden müssen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Chance für Medien (und eine Gefahr für Demokratie und Gesellschaft).

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Aus meinem Alltag verschwunden. Ausser an Fussball-EM und -WM.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja. «Alles gesagt» von der «Zeit».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

News müssen auch auf TikTok, YouTube und Instagram (mein Ex-Kollege Beat Rüdt hat da spannende Zahlen gesammelt). Und Medienkunde muss in der Schule Pflichtfach sein (genau wie Staatsbürger:innenkunde übrigens auch).

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ja. Reto U. Schneider hat im «NZZ Folio» unlängst gezeigt, dass selbst Autorentexte von KI verfasst werden können («Der Computer holt uns ein»). Wichtig ist die transparente Information. Es braucht den Zusatz: «Dieser Text wurde von künstlicher Intelligenz geschrieben». Bei einem Teil der Sport-, Wirtschafts- und Politberichterstattung (Spiel-, Börsen- und Abstimmungsresultate) wird das bereits akzeptiert. Bei Kolumnen, Reportagen oder Porträts zweifle ich, ob das je Anklang finden wird. Menschliches wollen Menschen von Menschen lesen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Zur Befreiung. Da hat Journalismus gar keine Wahl. Er wird zur Freiheit gezwungen. Paradox, aber Tatsache. Aber daneben hat auch Print eine Zukunft. Print lebt. Immer wieder.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja. Faktenbasierte Information ist ein öffentliches Gut wie saubere Luft oder sauberes Wasser. Demokratie-relevanter Journalismus lässt sich am Markt teilweise nicht mehr finanzieren, wird also zu Service Public.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja. To-do- und Not-to-do-Listen, Tagebuch, Jahresrückblicke, Postkarten, Briefe oder Gesprächsnotizen.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Gut für Medien (und schlecht für Demokratie und Gesellschaft).

Wem glaubst Du?

Divers zusammengesetzten Teams, die konstruktiv streiten können.

Dein letztes Wort?

Dieser Text wurde nicht von künstlicher Intelligenz geschrieben.


Dominique Strebel
Dominique Strebel bezeichnet sich selbst als «juristisch-journalistischen Hybrid». Die analytische Schärfe des Rechts begeistert ihn genauso wie die packende Schreibe von Journalist:innen. So vagabundierte er zwischen diesen Welten – als SRF-Bundesgerichtskorrespondent, «Plädoyer»- und «Beobachter»-Redaktor, Mitarbeiter von «NZZ am Sonntag», «Tages-Anzeiger», SRF Data, «Republik», als Studienleiter am MAZ, Buchautor und Blogger (Recht brauchbar). Heute ist Dominique Strebel Chefredaktor des «Beobachter».
https://www.beobachter.ch/


Basel, 21. September 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: Paul Seewer/Beobachter

Seit Ende 2018 sind über 190 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier:

https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/ 

Wenn Sie kein Fragebogeninterview verpassen möchten,  abonnieren Sie einfach meinen Newsletter. Das kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen «Medienmenschen» sowie den aktuellen Wochenkommentar, einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:

www.matthiaszehnder.ch/abo/

2 Kommentare zu "Dominique Strebel: «Staatstreue hat mitunter den kritischen Blick verstellt»"

  1. Dominique Strebel: «Staatstreue hat mitunter den kritischen Blick verstellt».
    Wow – welch ein Hammer-Satz.
    Und ich befürchte, je mehr Staatsknete (auch wenn sie es brauchen könnten) die Medien erhalten, je staatstreuer/staatsunkritischer werden sie.
    Beispiele aus D (aktuell), aus F, aus NL und auch aus der CH gäbe es genug, die den hiesigen Rahmen sprengen würden.
    Als kritischer Welten-Beobachtungs-Zeitgenosse werde ich mir ein Abo des „Beobachters“ (passt doch) unter diesem tollen Chefredaktor überlegen….

  2. Wäre interessiert, mehr darüber zu erfahren, was mit „Staatstreue hat mitunter den kritischen Blick verstellt.“ gemeint ist. – Mit dem Glauben an „divers zusammengesetzte Teams, die konstruktiv streiten können.“ bin ich friedvoll unter anderem als Botschafter für Neue Politik unterwegs.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.