Dieter Kohler: «Ich liebe die Papierzeitung auf dem Morgentisch»

Publiziert am 8. April 2020 von Matthias Zehnder

«Ich gehe davon aus, dass mich mein Gegenüber nicht belügt. Ob es auch plausibel ist, ist dann eine andere Sache.» Das sagt Dieter Kohler, Leiter des SRF Regionaljournals Basel, im Fragebogeninterview. Darüber hinaus gibt er Auskunft über seinen persönlichen Mediengebrauch, seinen Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Er sagt, im Radiobereich habe die Digitalisierung grosse Fortschritte gebracht. «Wenn diese Entwicklung jetzt Richtung digitalisierte Stimme geht, so kippt der Fortschritt in einen Nachteil.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Die Radionachrichten «Heute Morgen» und das eigene Regionaljournal. Zudem «BaZ» und «bzBasel».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Höchstens als Zweitquelle von Bedeutung.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich arbeite im Home Office. Zwei bis drei KollegInnen sind im Meret Oppenheim Hochhaus und moderieren die Sendungen aus dem Studio. Alle anderen arbeiten bei sich zuhause. Eine schwierige Situation für ein Team der Tagesaktualität, das vom ständigen Austausch lebt. Wir stellen aber ein grosses Bedürfnis nach Informationen fest. Und zwar ganz einfach nach den Journalistischen Fragen des: Wer, Wie, Was, Wo, Warum und Wie lange noch? Wie selten erhalten wir spontane Dankesmail.

Die HörerInnen-Zahlen liegen noch nicht vor, aber Online ist die Nachfrage stark gestiegen. Besonders interessant daran: Viele Klicks, aber wenig Interaktion. Das heisst, die Leute wollen sich auch Online vor allem informieren. Die Fachmeinung, dass soziale Medien nur dann wertvoll sind, wenn Interaktion stattfindet, wird hier in Frage gestellt.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Ich gehöre nicht zu jenen Leuten, die sagen, früher hätte man mehr Zeit gehabt für die Recherche. In meinen 31 Radiojahren war die Zeit immer knapp und die nächste Sendung stand immer schon wieder bevor.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Natürlich.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

«Lieber Leo» (Hansjörg Schneider), «Agnes» (Peter Stamm) und «Zwei an einem Tag» (David Nicholls). Alles Liebesgeschichten.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lege sie enttäuscht weg und frage mich manchmal, ob es vielleicht an mir liegt.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Gespräch mit Freunden.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Ich hoffe noch lange. Ich liebe es, die Papierzeitung auf dem Morgentisch liegen zu haben. Allerdings ist die aktuelle Corona-Krise eine echte Bedrohung. Das Thema der staatlichen Medienförderung wird wieder zum Thema – auch wenn das die Verleger nicht unbedingt wollen. Die SRG macht aber vor, wie man öffentliche Gelder beziehen und trotzdem unabhängig bleiben kann.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Jede falsche Nachricht schadet dem Journalismus und untergräbt die Glaubwürdigkeit unseres Berufes. Je länger je mehr muss man sich als Journalist auch für Fehler anderer rechtfertigen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Live-Radio ist meine Welt.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Siehe Oben: ich bin Old School und höre Sendungen lieber live als per Podcast. In meinem Team habe ich die Podcastentwicklung delegiert an Jüngere, die sich in der Podcast-Welt auskennen.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Beim ersten Studieren der Resultate habe ich zuerst deprimiert gelesen und mich gefragt, woran die Jungen denn leiden?! Depriviert, also unterversorgt kann ich mir aber nicht vorstellen. Junge tauschen sich aus und hängen an ihren Geräten. Natürlich wünsche ich mir, dass die Inhalte über Spassvideos hinaus gehen. Zum Glück gibt es auch junge JournalistInnen, die vormachen, was interessante Inhalte wären.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Nein. Jedes (Recherche-) Gespräch ist anders.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Im Radiobereich hat die Digitalisierung grosse Fortschritte gebracht. Aufwändige technische Schneidprozesse konnten klar vereinfacht werden und haben das journalistische Zeitbudget erweitert. Wenn diese Entwicklung jetzt Richtung digitalisierte Stimme geht, so kippt der Fortschritt in einen Nachteil.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Leider sehe ich noch kein Modell, wie man mit Online-Journalismus Geld verdienen kann. Das Gebührenprivileg der SRG wird immer grösser.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Spezielle Geburtstagsgrüsse, Leidzirkulare und den Einkaufszettel.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schlecht. Niemand will dauernd provoziert werden. Bei Überdruss wendet man sich vom Medium ab.

Wem glaubst Du?

Im direkten Gespräch glaube ich allen. Ich gehe davon aus, dass mich mein Gegenüber nicht belügt. Ob es auch plausibel ist, ist dann eine andere Sache.

Dein letztes Wort?

Corona go home.


Dieter Kohler
Dieter Kohler (59) hat in Basel Georgraphie und Soziologie/Jurisprudenz studiert und an der ETH eine Weiterbildung in Raumplanung absolviert. Seit 1989 arbeitet er bei Radio DRS/SRF, unter anderem als Inlandredaktor, Westschweizkorrespondent, Bundeshauskorrespondent und Interviewer der Samstagsrundschau. Seit 2009 leitet er das Regionaljournal Basel Baselland. Dieter Kohler ist verheiratet und lebt in Basel.
www.srf.ch/basel


Basel, 8. April 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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PPS: Ich stelle in meinem Fragebogeninterview immer wieder die gleichen Fragen – spannend finde ich, wie unterschiedlich Medienschaffende diese Fragen beantworten. Gleichwohl sei offengelegt, dass ich mit Dieter Kohler auch beruflich zu tun habe: Ich bin Vorstandsmitglied der SRG Region Basel und da Präsident der Programmkommission.

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