Diego Yanez: «Eine westliche Demokratie ist ohne professionellen Journalismus nicht denkbar»

Publiziert am 1. Mai 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Diego Yanez, Direktor der Schweizer Journalistenschule MAZ, über seinen persönlichen Mediengebrauch, seinen Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Yanez sagt, man solle den Journalismus nicht an der Vergangenheit messen, sondern an den Ansprüchen der Gegenwart und Zukunft. Persönlich ist ihm wichtig, «dass Journalismus in Zukunft unabhängig vom Vertriebskanal produziert und finanziert wird.» Wenn der Markt keine Lösung finde, «werden wir über die unterstützende Rolle des Staates nachdenken müssen. Und zwar ohne Scheuklappen und möglichst bald.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Mit HEMO von Radio SRF wache ich auf. Beim Müesli überfliege ich dann NZZ und «Tagi».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Auf Facebook und Twitter bin ich passiv dabei. Je nach Newslage nutze ich sie intensiver. Instagram ist nicht mein Ding.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Heute sicher Twitter, gefolgt von den grossen Networks wie CNN und BBC World, denn ich will mich in einem solchen Fall auch mit Bewegtbildern informieren. Und vor allem natürlich die Online-Angebote etablierter Medien, die auch unter Zeitdruck zwischen Wahrheit und Fake unterscheiden. Ich suche Glaubwürdigkeit vor Geschwindigkeit.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Allzu oft wird die Vergangenheit verklärt. Ich empfehle in die Archive zu steigen. Was zum Beispiel vor 30 und mehr Jahren geboten wurde, war oft kein Ruhmesblatt. Insgesamt ist der Journalismus heute deutlich professioneller, unabhängiger, umfassender und vielfältiger. Man sollte den Journalismus aber nicht an der Vergangenheit messen, sondern an den Ansprüchen der Gegenwart und Zukunft.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Das geschriebene Wort ist nicht nur das gedruckte Wort. Es ist viel mehr. Das geschriebene Wort ist die Grundlage des Journalismus und wird es deshalb auch in Zukunft geben.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Das Buch der Bücher habe ich noch nicht gefunden. Und das ist gut so.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ein Buch nicht zu Ende lesen, fällt mir immer noch nicht ganz einfach. Aber ich habe grosse Fortschritte gemacht. Zum Glück!

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Überall. Im Gespräch mit Freunden, auf Reisen, im Werbeprospekt, in Bedienungsanleitungen, in den Schulbüchern meiner Kinder, im Text eines Songs – eigentlich überall dort, wo Menschen Gedanken formulieren und wie auch immer kommunizieren.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Hmm. Ganz ehrlich, ich weiss es nicht. Einzelne Titel wird es wohl noch lange in Papierform geben. Persönlich finde ich es wichtig, dass Journalismus in Zukunft unabhängig vom Vertriebskanal produziert und finanziert wird.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Auch wenn die Wirkung von Fake-News wahrscheinlich überbewertet wird: Wer Fake-News verbreitet, untergräbt damit oft auch die Glaubwürdigkeit etablierter Medien. Wenn Medienkonsumentinnen und Medienkonsumenten verunsichert werden und nicht mehr zwischen richtig und fake unterscheiden können, haben wir ein Problem.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Die Radio-Nachrichten höre ich live. Fernsehen schaue ich meist zeitversetzt.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich höre selten Podcasts.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Nicht so sehr der Befund als vielmehr die Entwicklung ist beunruhigend. Eine moderne Gesellschaft, so wie wir sie verstehen, braucht informierte Bürger. Diese Entwicklung wird uns in Zukunft stark beschäftigen müssen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Die Zahlen scheinen mir aus heutiger Sicht etwas hoch gegriffen. Aber klar ist: Roboterjournalismus wird eine wichtige Rolle spielen. Fragt sich nur, was mit dem Effizienzgewinn geschieht. Werden damit ausschliesslich Kosten gesenkt, oder wird damit auch der kreative Journalismus gefördert?

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ja, absolut. Eine westliche Demokratie ist ohne professionellen Journalismus nicht denkbar. Heute erleben wir nicht eine Krise des Journalismus, sondern eine des entsprechenden Businessmodells. Wenn der Markt keine Lösung findet, werden wir über die unterstützende Rolle des Staates nachdenken müssen. Und zwar ohne Scheuklappen und möglichst bald.

Was können Journalistinnen und Journalisten dazu beitragen, dass sie eine Zukunft haben?

Journalistinnen und Journalisten sollten sich auch mit Medienökonomie und Medienpolitik beschäftigen. Sie sollten sich im Diskurs um die Zukunft des Journalismus einbringen und einmischen.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Selten. Meine Handschrift stellt sogar mich vermehrt vor Rätsel.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Mit dem Gedanken, dass Trump gut für die Medien sein soll, habe ich grosse Mühe.

Wem glaubst Du?

Joker

Dein letztes Wort?

Für einen letzten Wunsch fühle ich mich zu gesund.


Diego Yanez

Diego Yanez, 1958, ist Journalist und Betriebsökonom und noch bis Ende Mai 2020 Direktor der Schweizer Journalistenschule MAZ. Yanez hat nach dem Berufsstart im Print-Journalismus fast 25 Jahre beim Schweizer Fernsehen gearbeitet; zuerst als Reporter, Redaktor und Produzent von Sendungen wie «10vor10» oder «Quer», dann als Autor von langen Formaten, als Jerusalem- und Bundeshaus-Korrespondent und als Nachrichtenchef und zuletzt als Chefredaktor TV und Mitglied der Geschäftsleitung von SRF. Seit März 2014 ist Yanez Direktor des MAZ, der Schweizer Journalistenschule in Luzern. Ende Mai 2020 wird er in Frühpension gehen.

http://www.maz.ch/


Basel, 1. Mai 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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