David Sieber: «Die Frage, wie lange es noch Tagezeitungen gibt, ist mittlerweile ein Politikum»

Publiziert am 7. August 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit David Sieber, Chefredaktor des «Schweizer Journalist», über seinen persönlichen Mediengebrauch, seinen Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Er gibt zu, süchtig zu sein nach Twitter und sagt, der Journalismus sei wegen des anhaltenden Spardrucks nicht generell schlechter geworden: «Früher war der Journalismus nicht einfach besser, nur anders.» Sieber ist überzeugt, das geschriebene Worte weiterhin Zukunft haben: «Die Frage ist höchstens, auf welchem Trägermedium. Und wie finanziert.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Bis vor kurzem natürlich die «bz Basel». Jetzt erhalte ich sie nicht mehr und meinen Ex-Arbeitgeber für meinen Rausschmiss noch zu bezahlen, verbietet der Stolz. So bleibt mir ein Tour d`horizon durch meine präferierten sozialen Medien und Newssites. Papier gibt’s dann im Café.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Oh, ich bin süchtig. Sitze ich im Büro, ist Twitter eigentlich immer offen. Selbst poste ich Berufliches und meinen Senf zum FCB vorab auf Twitter und Bildli auf Instagram und Facebook.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Auf Twitter und jenen Newssites, die mir den besten Service bieten. Und zu denen ich ein Grundvertrauen habe.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Aus Arbeitnehmersicht war’s früher sicher bequemer. Wenn ich da nur an meine erste Zeit im Bundeshaus zurückdenke. Da konnte man sich die Tage ausserhalb der Sessionen wunderbar einteilen. Man musste ja nur einen Text liefern und nicht auch noch ein Filmli und vor allem nicht online first. Das Berufsleben ist sehr viel schneller und hektischer geworden. Aber das ist ja nicht nur in unserer Branche so.

Der Journalismus ist deswegen und wegen des anhaltenden Spardrucks nicht generell schlechter geworden. Früher, in den Zeiten der Parteizeitungen und auch noch später, als sich noch immer niemand die Frage gestellt hat, was die Leserschaft überhaupt interessiert, war’s jedenfalls nicht einfach besser, nur anders.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja, sicher. Die Frage ist ja höchstens, auf welchem Trägermedium. Und wie finanziert.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Ich lese gerade den neuen Houellebecq. Ehrlich gesagt, bin ich ein wenig ratlos. Würde «Serotonin» aber dennoch all jenen empfehlen, die wissen wollen, wie Männer heute noch ticken können. Es ist beelendend, aber toll geschrieben. Passend zur Ferienzeit würde ich aber alles von Fred Vargas empfehlen. Sie schreibt Krimis. Aber was für welche. Poetisch, französisch, grausam, liebenswürdig, sorgfältig, wie aus der Zeit gefallen und mit subtilem Humor und schrägem Figurenkabinett.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Weglegen. Aber nicht ohne einen Blick auf den Schluss geworfen zu haben.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Das ist ja das tolle der General-Interest-Zeitungen. Da bleibt man immer wieder an etwas hängen, das einen eigentlich bisher nicht interessiert hat. Mir geht das bei Kulturtexten oft so, so sie nicht völlig verkopft daherkommen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Es gibt die «Experten», die vor zehn Jahren auf diese Frage antworteten: noch zehn Jahre. Und es wird immer noch gedruckt. Tatsache ist, dass vor allem ältere Menschen auf dem Papier bestehen. Je weniger es werden, desto teurer wird der Vertrieb. Deswegen wollen die Verlage nun auch 120 Millionen Franken für die Posttaxenverbilligung. Bisher waren es 30 Millionen. Mittlerweile ist diese Frage also ein Politikum.

Und was kommt danach?

Das, was wir heute schon sehen. Angebote auf allen Kanälen, in Schrift, Ton und (laufendem) Bild. Möglicherweise werden die traditionellen Verlage Marktanteile zugunsten von Nischenangeboten verlieren, etwa so, wie auf dem Biermarkt geschehen. Möglicherweise werden die General-Interest-Angebote weniger. Aber sicher wird der Journalismus nicht aussterben.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Gefahr. Weil Medien immer mal wieder auch Fake-News-Lieferanten sind. Leider. Und weil es den traditionellen Medien zunehmend schwerfällt, in diesem pausenlosen virtuellen Rechthaber-Gewitter, Anerkennung zu finden als Hüter der Wahrhaftigkeit. Wir leben im Zeitalter der gefühlten Wahrheiten, in dem Fakten nur noch dann «geglaubt» werden, wenn sie der eigenen Meinung dienen. Dagegen kommt kein Medium wirklich an. Danke Trump.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Radio höre ich höchstens beim Autofahren. Also selten. Und TV ist für mich bis heute das Abschaltinstrument. Im rumzappen bin ich gut.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich würde ja gerne «Untenrum» von Naomi Gregoris nennen, einfach, weil ich Naomi unglaublich gut finde. Aber in echt habe ich nur einmal reingehört. Es ist nicht so mein Medium.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ich verstehe ja immer «News-Deprimierte». Vielleicht mag ich die Frage deshalb nicht mehr hören. Es ist doch nun wirklich kein neues Phänomen, dass junge Menschen den Kopf mit anderem als News gefüllt haben. Wobei zu sagen ist, dass das nie für alle gegolten hat und auch heute nicht für alle gilt. Und es vor allem dann nicht mehr gilt, wenn aus deren Sicht etwas von Interesse geschieht. Wenn ein Rezo die CDU zerlegt und Tausende Jugendliche für eine andere Klimapolitik demonstrieren, dann mache ich mir um die Gesellschaft keine Sorgen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Abstimmungs- und Sportresultate sicher. Reinen Faktentransport können auch Roboter. Einordnungsleistungen hingegen nicht, weswegen die Antwort lautet: jein.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ja, sicher.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, aber nur Notizen (die ich dann selbst kaum noch lesen kann).

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er ist ein Quotenbringer. Aber diese Quoten sind vergiftet. Trump ist ein Feind der Medien. Er schadet uns. Wenn er könnte, würde er uns behandeln, wie es Putin und Orban tun.

Wem glaubst Du?

Menschen in meinem Umfeld, Medien meines Vertrauens.

Dein letztes Wort?

Der «Schweizer Journalist» schliesst jeweils mit einer Kolumne. Sie heisst «letzte Worte» und stammt aus der Feder von Gabriel Vetter. Das kann ich nicht toppen. Löst also ein Abo!


David Sieber

David Sieber (56) ist seit gut 30 Jahren Journalist. Die Hälfte davon in Kaderpositionen, darunter Chefredaktor der «Südostschweiz» und der «bz Basel/Basellandschaftliche Zeitung», wo er im Herbst 2018 von Verleger Peter Wanner aufgrund persönlicher Animositäten gefeuert wurde. Seit April ist er Chefredaktor des Branchenmagazins «Schweizer Journalist» und führt seine eigene kleine Firma, die Texterei Sieber GmbH.


Basel, 7. August 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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3 Kommentare zu "David Sieber: «Die Frage, wie lange es noch Tagezeitungen gibt, ist mittlerweile ein Politikum»"

  1. Wenn profilierte Chefredaktoren , wie Herr Zehnder und Herr Sieber innert kürzester Zeit eine Zeitung verlassen, oder verlassen müssen, dann verlieren diese Zeitungen, in diesem Fall die BZ , auch Leser/innen.
    Ich habe mein BZ Abo gekündet und versuche , mich online zu informieren. Es ist aber in keiner Weise ein Ersatz für dieZeitung zum Anfassen.

  2. Antwort:
    Versuchen Sie es doch mal wieder mit der BaZ. Sie ist jetzt ganz und gar „blocherfrei“ (da verkauft), gehört Tamedia, schreibt Mainstream wie alle anderen Zeitungen, ohne Profil und Charakter UND berichtet – ganz baselspezifisch – wieder viel über Kultur und Kunst – z.B. 2 Seiten über einen alten Fernseh´, der in einem rostigen Fass im „Haus der elektronischen Künste“ in Basel vor sich herflimmert = Kunst.
    Auch die Schriften und das Layout wurde Mainstream. Die BaZ und die BZ sehen sich jetzt zum Verwechseln ähnlich.
    Aber es funktioniert. In der Öffentlichkeit, im Cafe usw. sieht man wieder vermehrt junge Frauen mit der BaZ, man sieht Architekten und Kulturschaffende die BaZ lesen.
    Jetzt noch ein Millionen-Werbebudget (Gratisauflage, Plakat, Online), und die Tamedia-Gruppe ist auch in Basel (wie in der ganzen Schweiz) Nummer 1.
    Noch Fragen? Nein? Denn alles ist gut so. Muss so sein. Denn die Anti-BaZ-Gruppe „Rettet Basel“ wollte es so.
    Einheitsbrei, Angepasst und alle berichten das selbe.
    Medienvielfalt Ade.

    1. Kleine Einsprache: «Rettet Basel wollte es so» – das trifft (ohne etwas damit zu tun gehabt zu haben) sicher nicht zu. Dass die BaZ heute Teil eines grossen Zeitungsverbundes ist, das liegt daran, dass Zeitungen in dieser Grössenordnung in der Schweiz heute alleine nicht mehr überlebensfähig sind, weil der Print-Anzeigenmarkt jedes Jahr um 10% bis 15% schrumpft. Weil Zeitungen hohe Fixkostenblöcke haben, schliessen sie sich zusammen, damit sie die Kosten für die überregionalen Inhalte teilen können. Wir sind in Basel insofern privilegiert, als sich hier die beiden grossen Zeitungsverbünde der Schweiz (CH Media und Tamedia) konkurrenzieren.

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