Daniel Gerny: «Ohne Digitalisierung wäre ich heute nicht mehr Journalist»

Publiziert am 19. April 2023 von Matthias Zehnder

Das 225. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Daniel Gerny, Inlandredaktor bei der «NZZ». Er sagt, er nutze Twitter immer weniger als Debatten-Plattform. LinkedIn sei heute wichtiger. «Tendenziell haben Social Media für mich aber an Bedeutung verloren.» Gerny findet, dass «Print in den letzten Jahren unterschätzt» wurde. Er glaube deshalb, «dass es gedruckten Journalismus noch lange gibt.» Im Tagesjournalismus allerdings könne das Papier früher wegfallen, «nicht aber die Idee eines im Tagesrhythmus kuratierten News-Angebotes in geschriebener Form.» Insgesamt glaubt Gerny, «dass die Digitalisierung der letzten zwanzig Jahre dem Journalismus tendenziell gutgetan hat (wenn auch nicht unbedingt allen Medien).» Für ihn persönlich habe «die Digitalisierung eine enorme Befreiung und Dynamisierung gebracht.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Frühstück dauert werktags fünf Minuten und gehört der Familie. Vorher: Push-Nachrichten, Startseiten der News-Portale. Danach: newsabhängig. Normalerweise: «NZZ», TA-Medien, «Blick», CH-Medien, Twitter.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Facebook und Instagram konsumiere ich zwischendurch, vor allem für Privates. Twitter als Seismograph, Ideengeber, News-Dispenser – und immer weniger als Debatten-Plattform. Inzwischen häufiger: LinkedIn. Tendenziell haben Social Media für mich aber an Bedeutung verloren.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Corona war für Journalistinnen und Journalisten vor allem eine Top-Story, an Intensität und Unberechenbarkeit kaum zu überbieten. Extrem spannend, extrem anspruchsvoll. Die Pandemie hat zu einer Flexibilisierung in Bezug auf Arbeitsort und Arbeitszeit geführt, die bis heute anhält.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder war alles besser noch alles schlechter, in keiner Beziehung. Was die Medien betrifft, glaube ich, dass die Digitalisierung der letzten zwanzig Jahre dem Journalismus tendenziell gutgetan hat (wenn auch nicht unbedingt allen Medien).

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Weshalb nicht?

Was soll man heute unbedingt lesen?

Jeden Tag mindestens einen Text, zu dessen Lektüre man sich überwinden muss.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Weglegen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Abgesehen von den Medien: An Apéros, im Theater, an Kultur-Events, an Partys, an Elternabenden, auf Reisen, mit Freunden, an Veranstaltungen – überall dort, wo Menschen zusammenkommen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Print wurde in den letzten Jahren unterschätzt, weshalb ich glaube, dass es gedruckten Journalismus noch lange gibt. Im Tagesjournalismus könnte das Papier früher wegfallen, nicht aber die Idee eines im Tagesrhythmus kuratierten News-Angebotes in geschriebener Form.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Wohl beides.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ausser bei Breaking-News-Situationen oder im Sport ist lineares TV für mich tot. Im Radio höre ich «Echo der Zeit» und andere News-Sendungen linear. Auch im Auto höre ich oft lineares Radio (vermehrt allerdings auch Podcasts).

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Immer häufiger. «Zeit Verbrechen» ist im Moment ganz oben.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Es ist vor allem eine schlechte Entwicklung für die Demokratie. Umso mehr ist es unsere Aufgabe, neue Formate zu entwickeln, um Inhalte so zu vermitteln, dass sie von dieser Altersgruppe als bereichernd und wichtig wahrgenommen werden.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Teilweise sicher. Auch die Einführung des PC oder die Erfindung von Google hat gewisse Arbeitsschritte im Journalismus automatisiert. Das wird mit ChatGPT und ähnlichen Tools nicht anders sein. Was aber nicht bedeutet, dass sich der Journalismus insgesamt automatisieren lässt.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Wie bei den beiden anderen «oder»-Fragen: Es trifft wohl beides zu. Für mich persönlich hat die Digitalisierung eine enorme Befreiung und Dynamisierung gebracht. Ohne Digitalisierung wäre ich heute nicht mehr Journalist.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ich glaube: Ja. Aber nicht mehr in der heutigen Form. Das gilt insbesondere für die SRG. Mit der Digitalisierung und der damit unmittelbarer gewordenen Konkurrenzsituation zwischen den SRG und anderen Medien stellt sich die Frage, ob Medienförderung noch derart konzentriert erfolgen soll.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, privat und mit Füllfeder. Beruflich: Vor allem, um mich beim Zuhören besser konzentrieren zu können. Lesen kann ich es danach allerdings meist nicht mehr.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Für die Medien in der Schweiz wohl eher gut. Spannendes, vielschichtiges Thema. Und ein Traffic-Generator.

Wem glaubst Du?

Das kommt sehr darauf an, in Bezug auf was. Im Allgemeinen eher Leuten, die bereit sind, eigene Auffassungen zu hinterfragen, als sie dogmatisch durchzudrücken.

Dein letztes Wort?

Journalismus ist Leidenschaft. Aber man sollte die Medien nicht überschätzen.


Daniel Gerny
Daniel Gerny (59) ist Redaktor auf der Inlandredaktion der NZZ. Er hat Jura studiert und die Ringer Journalistenschule absolviert. Danach hat er für verschiedene Medien gearbeitet, darunter für die «Basler Zeitung» und «Cash». Gerny lebt in Basel.
https://www.nzz.ch/


Basel, 19. April 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 200 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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