Daniel Foppa: «Die Generation ‹Wisch und Weg› ist da unerbittlich»
Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Daniel Foppa, Produzent der SRF-Radiosendung «Rendez-vous am Mittag». Er sagt, früher habe man um jeden Preis Fehler vermeiden wollen, denn «gedruckt war gedruckt. Heute beobachte ich gelegentlich eine gewisse Sorglosigkeit, eine Art Beta-Journalismus: Man stellt mal eine erste Version in Netz, denn man kann sie ja jederzeit korrigieren.» Die Digitalisierung habe aber auch Vorteile: «Grossartig sind zum Beispiel all die neuen, digitalen Recherchemöglichkeiten und Verbreitungskanäle.» Das Publikum wolle künftig noch mehr auf individuelle Vorlieben zugeschnittene On-Demand-Angebote. «Wer hier nicht vorne mitmischt, ist bald weg vom Fenster.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
«Heute Morgen», «Tagi» und «NZZ».
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?
Twitter ist neben diversen Push-Abonnements mein wichtigster Hinweisgeber im Aktualitätsstrom. Instagram und Facebook nutze ich privat eher selten. Immer wichtiger wird jedoch ihre Rolle als Verbreitungskanäle für SRF-Inhalte.
Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?
Homeoffice in Ehren, aber all diese Videomeetings können den direkten Austausch auf einer Redaktion nicht ersetzen. Zudem war es zu Beginn der Pandemie noch lustig, wenn dein kleines Kind das Meeting crasht. Inzwischen liegt das nicht mehr drin. Was mich an dieser Pandemie vor allem erstaunt, ist die geballte Ladung Irrationalität und Misstrauen gegenüber Staat, Wissenschaft und Medien, die nun an die Oberfläche gespült wird. Das hätte ich so nicht erwartet.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Es war anders. Vielfalt und Ressourcen waren definitiv grösser. Und man wollte um jeden Preis Fehler vermeiden, denn gedruckt war gedruckt. Heute beobachte ich gelegentlich eine gewisse Sorglosigkeit, eine Art Beta-Journalismus: Man stellt mal eine erste Version in Netz, denn man kann sie ja jederzeit korrigieren. Vieles wurde jedoch besser, da braucht man bloss alte Zeitungen zu lesen. Grossartig sind zum Beispiel all die neuen, digitalen Recherchemöglichkeiten und Verbreitungskanäle, dank der ich eine Geschichte viel facettenreicher erzählen kann. Zudem wird vernetzter und in Teams gearbeitet. Das sind positive Entwicklungen.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Auf jeden Fall. Zwar werden Podcasts noch mehr Verbreitung finden, da sie ideale Begleiter im Alltag und beim Pendeln sind. Und die emotionale Kraft von Videos bleibt ungebrochen. Da sich aber alles immer schneller dreht, wird auch das Bedürfnis nach dem geschriebenen Wort bleiben – hier bestimme ich die Aufnahmegeschwindigkeit und lasse selber Bilder im Kopf entstehen.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Literatur mit langem Ablaufdatum. Alles zur Aktualität liest man ja eh. Darum: Querbeet von Thomas Mann über Tom Wolfe bis zu Judith Hermann und Dennis Lehane. Jurek Becker und Wolf Biermanns Autobiografie, um nie zu vergessen, was war. Und immer wieder Robert Walser.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Ich kämpfe mich jeweils durch und frage mich wie in einem schlechten Hotel: Wie bin ich da nur hineingeraten?
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Beim Surfen im Netz und im Verlagsprogramm von Diogenes.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Die wurden schon oft totgesagt, aber ich glaube an ihr Weiterbestehen. Insbesondere gedruckte Wochenzeitungen und Magazine wird es noch eine Weile geben.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Vor der Pandemie habe ich die Bedrohung durch Fake News gelassen gesehen. Wenn ich mich jetzt aber durch einschlägige Telegram-Kanäle lese, packt mich das Grauen. Hier Gegensteuer zu geben, ist eine grosse Herausforderung für die Medien. Und bisweilen ein Kampf gegen Windmühlen.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Nach wie vor regelmässig, aber on demand.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Selektiv nach Lust und Laune. Und regelmässig «Einfach Politik» sowie die «Zeitblende» von Radio SRF.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?
Ich frage mich, ob diese Zahl stimmt. Denn in Zeiten von Klimabewegung und Pandemie ist eine neue Politisierung der Jugend feststellbar. Trotzdem muss das Problem ernst genommen werden, weil die direkte Demokratie nur mit einer informierten Stimmbevölkerung funktioniert. Wir müssen wieder mehr Junge erreichen, indem wir den Zugang zu unseren journalistischen Inhalten erleichtern – durch entsprechende Aufmachung und die Nutzung passender Verbreitungskanäle. Es gibt genug Beispiele, wie man das professionell machen kann, ohne beliebig oder anbiedernd zu werden.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Das mag bei Sportnachrichten, Agenturmeldungen und im Peoplebereich gehen. Aber bezahlen wird für solche Artikel niemand.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Sie entwickelt das Herstellen und Verbreiten journalistischer Inhalte weiter. Das Publikum will künftig noch mehr auf individuelle Vorlieben zugeschnittene On-Demand-Angebote. Wer hier nicht vorne mitmischt, ist bald weg vom Fenster. Die Generation «Wisch und Weg» ist da unerbittlich, die Medien haben also gar keine Wahl.
Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?
Aber ja doch.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ich zeichne während Meetings bisweilen sonderbare Figuren. Geht in Videositzungen prima.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Auf Donald Trump hätte die Welt gut verzichten können. Das gilt auch aus Sicht der Medien; der Kollateralschaden war zu gross.
Wem glaubst Du?
Ich vertraue auf die Kraft der Vernunft.
Dein letztes Wort?
Überlasse ich Albert Einstein. Er soll gesagt haben: «Ich besitze keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig.» Womit bewiesen wäre, dass man es auch mit journalistischen Tugenden zu etwas bringen kann.
Daniel Foppa
Daniel Foppa (51) hat Deutsche Literatur, Philosophie und Journalistik studiert. Er begann seine journalistische Karriere als SDA-Inlandredaktor, wurde dann Bundeshaus- Korrespondent der Südostschweiz und war anschliessend langjähriger Inlandchef des Tages-Anzeigers. Derzeit arbeitet er als Produzent der SRF-Radiosendung «Rendez-vous am Mittag». Im Januar 2022 wechselt er als Themenplaner in die Inlandredaktion TV von SRF.
https://www.danielfoppa.ch/
Basel, 24. November 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:
www.matthiaszehnder.ch/abo/
Ein Kommentar zu "Daniel Foppa: «Die Generation ‹Wisch und Weg› ist da unerbittlich»"
Nebenbei gefragt: Als ’news-depriviert‘ gilt, wer einen unterdurchschnittlichen News-Konsum hat.
Mir begegnen – vor allem auch junge – Menschen, die zwar kaum alt-gewohnte Medien konsumieren, die aber gut Bescheid wissen, wo wir gesellschaftlich und politisch stehen. Vielleicht verhält es mit News-Deprivierten ähnlich wie mit Schul-Deprivierten, die sich frei gebildet haben?