Daniel Faulhaber: «So wie das Mediensystem gebaut ist, imitieren wir Journalist:innen Roboter»

Publiziert am 24. August 2022 von Matthias Zehnder

Das 191. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Daniel Faulhaber, Redaktor beim Basler Online-Medium «Bajour». Er sagt, Journalisten seien heute alle irgendwie Allrounder. «Das ist anstrengend, aber ich sehe das auch als Chance. Dann fangen wir halt bei jedem Thema bei Null an, ist doch ok.» 99 Prozent der Medieninhalte seien zwar bestimmt sehr demokratierelevant, «aber einfach erzbieder und schulmeister:innenhaft dargeboten. Niemand unter 30 interessiert sich für Parkplätze. Aber gefühlte 50 Prozent der Basler Lokalberichterstattung dreht sich um Parkplätze. Wen juckts.» Faulhaber findet es gut, «wenn manches von Robotern übernommen wird. Dann haben wir Human Ressources mehr Zeit, zu recherchieren und schöne, kluge Texte zu schreiben.» Wenn allerdings die Digitalisierung weiterhin von Algorithmen gesteuert werde, «die nicht dafür gebaut sind, Qualität zu belohnen sondern Kontroversen, dann haben Medien mittelfristig ein Problem.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

An Arbeitstagen: Das «BaselBriefing», der Newsletter meines eigenen Arbeitgebers. Dann werden die Regionalmedien gescannt. Bleibt die Frage, ob hierbei von «nicht fehlen dürfen» die Rede sein darf. Ich muss das lesen. Wenn ich mich nicht zwecks berufsbedingtem Aufdemlaufendenbleiben informieren muss, lese ich zum Frühstück am liebsten die «Zeit». Oder die «WoZ». Oder ich schaue vom Balkon ins Blaue. 

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Facebook findet für mich fast nicht mehr statt. Twitter nutze ich viel und gerne und immer mit der Frage im Anschlag, ob ich mich dort mal mit mir selber auf eine Verhaltenslinie einigen sollte: Professionelle Selbstvermarktung oder Spässe und Zoten? Regelmässige Erfahrung: Tweets, die aus dem Handgelenk ins Internet kugeln, kriegen viele Likes. Wenn ich Artikel poste, an denen ich lange gearbeitet habe, rollt eine Wüstenhexe durchs Internet. Nichts passiert. Ich will natürlich die Likes. Auf Instagram poste ich wenig. Dafür habe ich ein längstens ungesundes Verhältnis zu TikTok entwickelt.  

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Mein Schlafzimmer ist jetzt auch mein Büro. Von meinem Bett sehe ich an meinen Arbeitsplatz. Das nervt und es schadet meiner Gesundheit. Leider ist es auch praktisch. Während der Shutdowns light ist mein Bewusstsein dafür gestiegen, wie privilegiert meine Arbeit ist. Ich muss nicht zwingend raus, um zu arbeiten. Ich konnte mich also leichter isolieren, als andere.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Im Zweifel wars natürlich schlechter. Aber wenn mir ältere Kolleg:innen erzählen, wie sie, angestellt bei einem Lokalmedium, in den 1990ern zu dritt in ferne Länder flogen, um irgendeinen abgewanderten Ex-Fussballer zu porträtieren («was wurde eigentlich aus…»), dann bin ich schon neidisch. Früher herrschte bestimmt auch mehr Dossiersicherheit und Expertise. Heute sind wir alle irgendwie Allrounder. Das ist anstrengend, aber ich sehe das auch als Chance. Dann fangen wir halt bei jedem Thema bei Null an, ist doch ok. Unsere Leser:innen sollen ruhig merken, dass wir nicht alles schon lange gewusst haben.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja. 

Was soll man heute unbedingt lesen?

Das Kleingedruckte. Also nicht nur die Titel, sondern den ganzen Artikel. 

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich kann manchmal nicht so gut unterscheiden, ob ein Buch schlecht ist, oder ob ich einfach zu ungeduldig bin und meine Aufmerksamkeitsspanne zu verkümmert, um weiterzulesen. Wenn ein Buch auf Seite 50 immer noch nervt, höre ich auf. 

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Das kann wirklich überall passieren. Am Selecta-Automaten zum Beispiel, wenn die Produkte wiedermal ganz eigentümlich sortiert sind. Warum ist das so, was erzählt das über die Gegend hier? Bei vielen Recherchegesprächen sagt ausserdem irgendjemand einen nebensächlichen Satz, der eigentlich interessanter ist als die ganze Story.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Dazu will ich keine Prognose abgeben. Für alle Kolleg:innen, die bei gedruckten Tageszeitungen arbeiten hoffe ich, möglichst lange. Persönlich brauche ich nur Wochenzeitungen auf Papier. Die dafür dringend.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Gefahr. Wenn eine falsche Info erst Mal im System zirkuliert, dann kriegt man die da fast nicht mehr raus.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Ich kann mich nicht erinnern, ausser einem Fussballspiel jemals etwas live gesehen und dabei gedacht zu haben: Toll, dass ich hier dabei bin. Aber ich liebe Fernsehen und Radio. Die Mediathek ist meine Freundin.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich höre die Blockbuster von Serial sehr gern, diese superaufwendigen Produktionen in mehreren Kapiteln aus den USA. Ich höre «The Ezra Klein Show» und «The Daily» von der «New York Times», «Darf sie das» von Nicole Schöndorfer, den «Besenwagen», «The Audio Long Read» des Guardian und «Apropos» und die «Dritte Halbzeit» von Tamedia. Am regelmässigsten höre ich «Die Sogenannte Gegenwart» der «Zeit». 

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Dass die Medien und wir Journalist:innen besser überlegen müssen, wie man so schreibt, erzählt, produziert, dass die 16- bis 29-Jährigen Lust haben, unsere Inhalte zu konsumieren. 99 Prozent der Medieninhalte sind zwar bestimmt sehr demokratierelevant, aber einfach erzbieder und schulmeister:innenhaft dargeboten. Niemand unter 30 interessiert sich für Parkplätze. Aber gefühlte 50 Prozent der Basler Lokalberichterstattung dreht sich um Parkplätze. Wen juckts.  

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Wenn man ehrlich in die Redaktionen hineinschaut, dann ist der sogenannte News-Cycle schon heute automatisiert. Abstimmung: Pro und Kontra. Sommer: Abfall am Rhein, wie kaputt ist die Jugend. Jemand tritt ab: Ein Porträt wäre schön. Ist doch gut, wenn manches von Robotern übernommen wird. Dann haben wir Human Ressources mehr Zeit, zu recherchieren und schöne, kluge Texte zu schreiben. Anstatt unter Zeitdruck irgendwie halbfertiges Zeugs abzusondern, damit den User:innen vorgegaukelt wird, hier finde irgendwas statt. Dabei ist es nur Traffic. Roboter werden niemals unsere Empathie und Schlauheit imitieren. Darauf sollten wir bauen. Aber so wie das Mediensystem gebaut ist, imitieren wir Journalist:innen teilweise Roboter am Fliessband. 

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Wenn die sogenannte Digitalisierung weiterhin synonym bleibt mit undurchsichtigen Algorithmen, die nicht dafür gebaut sind, Qualität zu belohnen, sondern Kontroversen, dann haben Medien mittelfristig ein Problem. Haben sie heute schon. Big Tech, Meta, Google undsoweiter gehören reguliert oder besser gleich zerschlagen. Die Algorithmen müssen transparent gemacht werden, neue Bewertungs- und Distributionssysteme tun not. Das ist das eine. Auf der anderen Seite glaube ich, dass mit dem Internet die grossartigsten, zuvor nie erreichten Informationsleistungen erbracht werden. Der Krieg in der Ukraine, die Klimakatastrophe: Solche Megathemen werden durch Karten und Infografiken noch mal fassbarer, als nur durch Bild oder Text. Journalismus war niemals besser als heute, davon bin ich tief überzeugt.  

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja. 

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Klar. Postkarten. Und Tagebuch. Auf Reportage schreibe ich ausschliesslich handschriftliche Notizen. Manche Gesprächspartner:innen sind beleidigt, wenn man sich nichts notiert, wenn sie reden. Schreiben ist also auch ein performativer Akt, der Recherchen entscheidend beeinflussen kann. Aufschreiben gibt den Leuten das Gefühl, jetzt wirds ernst. Manchmal bringt ein Stift und Papier Menschen auch zum Verstummen. Dann muss man halt heimlich mitschreiben. In der Hosentasche.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schlecht. Sein Gift steckt heute noch in den Venen des globalen Mediensystems. Ich glaube, das geht da auch nicht mehr weg.  

Wem glaubst Du?

Dem Türsteher. 

Dein letztes Wort?

Ich möchte gerne meine Mutter grüssen. Liebe Grüsse. 


Daniel Faulhaber
Daniel Faulhaber hat in Basel und Krakau Germanistik und Geschichte studiert. Während des Studiums arbeitete er unter anderem als Freelancer für die Basler «TagesWoche», die «WoZ», die «NZZ am Sonntag» und «Die Zeit». Seit 2019 ist er Redaktor beim Basler Online-Medium «Bajour».
https://bajour.ch/ 


Basel, 24. August 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 190 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier:

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2 Kommentare zu "Daniel Faulhaber: «So wie das Mediensystem gebaut ist, imitieren wir Journalist:innen Roboter»"

  1. Die „Bajour“-Schreibenden finde ich durchs Band (zu) jung. Alle sind dort jung. Das ist ein Ungleichgewicht zur Bevölkerungsstruktur, über welche sie berichten. Nichts gegen „Junge“, das selbe Ungleichgewicht wäre, würden in der „Bajour“-Redaktion nur Ü66-Jährige schreiben. Ebenfalls sehr einseitig unausgeglichen.
    Die Brille ist dementsprechend auf junge Themen gerichtet. Die Stadt wird aus junger, studentischer, alternativer, wilder, wohngemeinschaftlicher, altbaubewohnender, Mansardenzimmer-Perspektive wahrgenommen (und die ist ganz anders wie z.B. als vielfacher Familienvater mit Sogen, Nöten, Neubau-4-Zimmer-Wohnung, Lieferwagenparkplatzproblemen, Stahlkappenschuhen und Arbeiterhandschuhen).
    Natürlich auch ideologisch ist „Bajour“ durchs Band Links getränkt. Auch da dagegen nichts – doch wäre es eben so unausgegoren, hockte an der Clarastrasse ein rechter Haufen.
    Beispiele: Keine Kritik an „Basel-Nazifrei“, welche in unserer Stadt Basel Vandalismus ohne Ende betreiben (Schadensumme gerechnet schon über 10 Millionen Franken in BS), vandalisierteste Stadt Europas – steht schon in manchen Online-Reiseführern über Basel ( schoenesbasel.ch ) =diese Diaschau der besonderen Art – zum weiterkommen immer auf rechten Bildrand klicken sagt mehr als 1000 Worte; der saufreche, agressive, angsteinflössende Riesen „Free Palästina-Banner“ welcher an der Dreirosenbrücke hing (von Antifa, RJB, Nazifrei) kein Thema, welcher Auto- und Autobahn behinderte; das neu diese Woche alle Spielstrassen-Stelen im St. Johann mit Anti-Zionisten-Demo-Plakaten überklebt wurden ebenfalls keine Zeile wert. OK – kann man auch machen – die Redaktion soll selbst gewichten….
    Doch ist in irgendeinem Baum im Allschwiler-Wald aus purer und realer Dummheit ein Hakenkreuz eingeritzt (was absoluter Quatsch ist), wird es zur Schlagzeile aufgeboostert….
    Auch dies = Freie Presse, freie Redaktion.
    Doch genau DA liegt der Grund für den (noch) ausstehenden durschlagenden Erfolg von „Bajour“.
    Image eines Gesinnungsblättchen – welches weiter emsig gepflegt wird. Wieso? Geht es einfach nicht, das „neutrale“ Berichten? Die Zeiten, in denen die Menschheit getarnte Gewerkschaftsbüchlein verschlingen, sind vorbei. Die Menschen sind, gerade in Ideologie und Gesinnung scharfsinniger und hochsensibel geworden. Merken schneller. Besser gebildet. Man will kein „Oberleherblatt“ mehr, welches einem eintrichtert, was man zu denken und wählen hat.
    Herr Faulhaber und die ganze Redaktion wären gut beraten, daran zu arbeiten! – empfinde ich…..

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