Damita Pressl: «Textproduktion lässt sich automatisieren. Mit Journalismus hat das nichts zu tun.»

Publiziert am 24. April 2024 von Matthias Zehnder

Das 278. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Damita Pressl, Journalistin und Moderatorin bei der NZZ. Sie bedauert, dass viele Journalisten mehr für die Kollegen als für die Zielgruppe produzieren. «Die Entscheidungen treffen in vielen Medienunternehmen oft Menschen über 45, ohne Menschen unter 30 massgeblich mit einzubeziehen.» Das führe zu Medienprodukten, «die bei einer jüngeren Zielgruppe nicht optimal ankommen.» Sorgen macht ihr, dass Medienprodukte für junge Menschen «oft eine sehr starke Schlagseite haben und auf mich oft nicht objektiv wirken.» Sie selbst konsumiert «immer stärker möglichst tiefgründige, längere Inhalte», also zum Beispiel Fachbücher, Erklärstücke, Dokus und lange Podcasts. Sie empfiehlt denn auch eine ganze Reihe spannender Podcasts zu Politik, Management und Psychologie. Damita Pressl ist trotz rasanter technologischer Entwicklung zuversichtlich für die Branche: «Nach gutem Journalismus wird immer Nachfrage herrschen. Und es war noch nie so niederschwellig wie heute für jeden möglich, ein Publikum zu erreichen.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Die NZZ, der «Economist», und die Briefings von Bloomberg und der «New York Times».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, LinkedIn, YouTube, TikTok und BeReal?

Facebook nutze ich nicht mehr, LinkedIn dafür intensiv beruflich, Twitter und Instagram halbprivat, TikTok und BeReal gar nicht, YouTube beruflich und eines Tages bestimmt auch mit einem eigenen Kanal.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Angefangen habe ich in Österreich; früher habe ich also viel mehr Inhalte zu österreichischer Innenpolitik konsumiert. Die Themen überfliege ich jetzt eher.
Ich bemühe mich ausserdem immer stärker, möglichst tiefgründige, längere Inhalte zu konsumieren – Fachbücher, lange Podcasts, längere Erklärstücke, Dokus.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Da habe ich den Vergleich nicht.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Und ob.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Mehr Bücher  – Highlights des bisherigen Jahres: «Showman» von Simon Shuster und «Foolproof» von Sander van der Linden, all-time-favorites: «Man’s Search for Meaning» von Viktor Frankl und «Der Kleine Prinz» von Antoine de St Exupery. Mehr gute Newsletter – ich lese Noah Smith in letzter Zeit gern.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich habe noch sehr selten Bücher weggelegt, aber ein, zwei Mal ist es mir schon passiert. Ich recherchiere vorher aber auch eingehend, weswegen ich selten schlechte Bücher in den Händen halte.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Über Twitter, in Podcasts, und von grossartigen und spannenden Freunden und Bekannten.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Etwa 40 Jahre.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Beides.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Konsumiere ich nur in Ausnahmefällen live, sehe und höre aber durchaus Sendungen nach. Besonders der Sender Ö1 vom österreichischen Rundfunk macht gute Produkte.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja, sehr viel, auch viel zu Themen abseits der Nachrichten, die mich persönlich interessieren.
Zu beruflichen Themen: «The Intelligence», «The Journal», «FT News Briefing», «Politico’s EU Confidential», «This Week in Ukraine», «The Monocle Foreign Desk», «The Foreign Affairs Interview», «NZZ Akzent» und «The Inquiry».
Private Favoriten: «Clearer Thinking», «More or Less», «Making Sense with Sam Harris», und diverse Podcasts zu Persönlichkeitsentwicklung, Mindset, Beziehungen und Psychologie: «On Attachment», «Speaking Of Psychology», «Do You F*cking Mind», «Small Things Often», «Emotionally Fit».

Immer wieder mal rein höre ich laut Spotify bei «Probable Causation», «The 80000 Hours Podcast», «The Ezra Klein Show».
Ich höre Podcasts auch gern in Fremdsprachen, um meine Hörkompetenz zu verbessern – «On the record» von Recorder ist für alle rumänischsprachigen Menschen und jene die es werden wollen zum Beispiel ein guter Tipp, für Russisch empfehle ich что случилось von Meduza.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

War das früher anders? Viele Menschen fangen ja erst ab einem gewissen Alter an, sich für das Weltgeschehen zu interessieren.
Allgemein schreiben und produzieren aber sicher einige Journalisten mehr für die Kollegen als für die Zielgruppe, und die Entscheidungen treffen in vielen Medienunternehmen oft Menschen über 45, ohne Menschen unter 30 massgeblich mit einzubeziehen. Diese beiden Faktoren tragen sicher zur Entstehung von Medienprodukten bei, die bei einer jüngeren Zielgruppe nicht optimal ankommen.
Was mir fast mehr Sorgen macht, ist, dass «junge» Produkte oft eine sehr starke Schlagseite haben und auf mich oft nicht objektiv wirken.
Umso wichtiger, dass wir mit «NZZ erklärt» ein Video-Produkt machen, das gut recherchiert ist, einen objektiven Blick zumindest anstrebt und auch junge Menschen erreicht.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Nein. Textproduktion lässt sich automatisieren. Mit Journalismus hat das nichts zu tun.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Dass technologische Veränderung Marktteilnehmer schwächt, die sich nicht anpassen, ist logisch. Nach gutem Journalismus wird immer Nachfrage herrschen. Und es war noch nie so niederschwellig wie heute für jeden möglich, ein Publikum zu erreichen.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Als Nicht-Schweizerin darf ich da ohnehin nicht mitbestimmen, entsprechend wenig Meinung habe ich zu dem Thema. Aus Österreich weiss ich, dass die Modalitäten einer Förderung entscheidend sind – also, wer wofür gefördert wird, und wer das entscheidet.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Täglich, aber selten beruflich.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Es als «gut für die Medien» zu betrachten, wenn ein demokratiefeindlicher Egomane in eine derart verantwortungsvolle Position gewählt wird, wirkt relativ zynisch auf mich. Mir wäre es jedenfalls lieber, er und sein Schlag Mensch würden weniger Anklang finden.

Wem glaubst Du?

Möglichst keiner einzelnen Quelle.

Dein letztes Wort?

Danke für das Interesse 🙂


Damita Pressl
Damita Pressl ist Journalistin und Moderatorin, bei der NZZ und freischaffend. Sie ist in Wien geboren und aufgewachsen und hat in London und Wien Psychologie und Journalismus studiert und auch abgeschlossen. Nach dem Studium hat sie als TV-Moderatorin in Wien gearbeitet, seit Juli 2022 arbeitet sie im Erklärvideo-Team der NZZ.
https://www.damita.eu/


Basel, 24. April 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 270 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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Ein Kommentar zu "Damita Pressl: «Textproduktion lässt sich automatisieren. Mit Journalismus hat das nichts zu tun.»"

  1. Der Sender Ö1 gehört zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk ORF in Österreich.
    Befasste mich mit dem ORF und enteckte ein aufgeblähtes Gebilde mit:
    bachmannpreis.orf.at
    backstage.ORF.at
    beschaffung.ORF.at
    bewusstgesund.ORF.at
    burgenland.ORF.at
    contentsales.ORF.at
    dancingstars.ORF.at
    debatte.ORF.at
    der.ORF.at
    digital.ORF.at
    enterprise.ORF.at
    extra.ORF.at
    fm4.ORF.at
    helfen.orf.at
    help.ORF.at
    jobs.ORF.at
    kaernten.ORF.at
    kundendienst.ORF.at
    lichtinsdunkel.ORF.at
    medienforschung.ORF.at
    muttererde.orf.at
    news.ORF.at bzw. ORF.at
    noe.ORF.at
    okidoki.ORF.at
    oe1.ORF.at
    oe3.ORF.at
    oesterreich.ORF.at
    on.ORF.at
    ooe.ORF.at
    orf.beitrag.at
    ORF III Kultur und Information
    ors.at
    presse.ORF.at
    programm.ORF.at
    publikumsrat.ORF.at
    religion.ORF.at
    rso.ORF.at
    sagsmulti.ORF.at
    salzburg.ORF.at
    science.ORF.at
    shop.ORF.at
    simplitv.at
    sound.ORF.at
    sport.ORF.at
    stars.ORF.at
    steiermark.ORF.at
    teletext.ORF.at
    tickets.ORF.at
    tirol.ORF.at
    topos.ORF.at
    tv.ORF.at
    tvthek.ORF.at
    volksgruppen.ORF.at
    vorarlberg.ORF.at
    werbenmal9.ORF.at
    wetter.ORF.at
    wien.ORF.at
    zukunft.ORF.at
    ORF-Beitrags Service GmbH
    ORF-Enterprise GmbH & Co KG
    ORF Fernsehprogramm-Service GmbH & Co KG
    ORF Landesstudio Service GmbH & Co KG
    ORF Marketing & Creation GmbH & Co KG
    ORF Online und Teletext GmbH & Co KG
    ORS Österreichische Rundfunksender GmbH & Co KG
    simpli services GmbH & Co KG:
    u. v. m.
    BEEINDRUCKTEND – DIESES GEBÜHREN-ORF-GEWÄCHS. Mega-Medien-Supershop. Es gedeiht prächtig.
    Und ich muss gestehen (im Vergleich), dagegen ist unsere SRG geradezu ein Tante-Emma-Laden…

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