Constantin Seibt: «Ich lese immer weniger»

Publiziert am 14. April 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Constantin Seibt, Gründer der «Republik» und da auch Reporter. Er sagt: «Ich fürchte, Journalismus wird zu einem Beruf wie das Theater oder die Literatur: Etwas für sehr junge Leute ohne weitere Verpflichtungen – und auf lange Sicht nur eine Spielwiese für Menschen, die viel geerbt oder klug geheiratet haben.» Die Digitalisierung habe im Grunde nichts geändert. «Vielleicht ist das die Stärke der nächsten Generation, unser Zeug nicht mehr zu lesen. Denn zu meinem Schock sind sämtliche Leute, die ich kenne, die keine Nachrichten mehr verfolgen, dadurch nicht dümmer geworden. Und nicht einmal schlechter informiert.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Wenn ich das Söhnchen wasche, wickle, ankleide und füttere: Spotify!

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Facebook ist immer noch der wichtigste Verkaufsplatz der «Republik». Deshalb leider ernst zu nehmen, obwohl ich persönlich finde: ein Brei. Twitter ist klasse, falls man gerade auf dem Trip ist. Instagram ist mein entspanntestes, soziales Medium – weil ich nicht Mitglied bin. (Aber Tiktok macht leider erstaunlich Spass.)

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich lese immer weniger. Alles klingt unwirklich. Und vor allem ist deprimierend, wie das Coronavirus die Spreu vom Weizen trennt. Nach einem Jahr ist klar, wer in unserer Branche charakterlich und gedanklich etwas auf dem Kasten hat  – und wer nicht.

Selbst, wenn man sich in den meisten Fällen keine Illusionen gemacht hat – es ist auch eine traurige Sache, keine Illusionen zu verlieren.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Das ist egal. Die Lage hat sich geändert, der Job hat sich geändert – die einzige Frage ist, welche Tradition man für morgen erfindet.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Es gibt wenig, was effizienter ist. (Allein der Satz «Der Rolls Royce brach durch die Leitplanke und krachte durch das Dach des Mädchenpensionats» würde verfilmt fast eine halbe Million Franken kosten.)

Was soll man heute unbedingt lesen?

An Journalisten: Laurie Penny, Fintan O’Toole.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Seufz. Mit Familie und Firma lege ich gute Bücher weg.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Von überall her. (Das ist der Vorteil, wenig zu wissen und dazu noch ein schlechtes Gedächtnis zu haben.)

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Auch egal. Die Frage ist, was drinsteht.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Zwar weiss jeder bei Verstand, dass man keine Chance hat, je die Wahrheit zu schreiben. Aber ohne dass man selbst und das Publikum genau das erwartet, fällt der Job zusammen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Gar nicht.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

An üblen Tagen tröstet mich ein de facto-Podcast bei Youtube: Die existentialistischen Erzählungen von Pursuit of Wonder: https://www.youtube.com/channel/UC-tLyAaPbRZiYrOJxAGB7dQ

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Klingt zunächst dramatisch. Andererseits: Vielleicht ist das die Stärke der nächsten Generation, unser Zeug nicht mehr zu lesen. Denn zu meinem Schock sind sämtliche Leute, die ich kenne, die keine Nachrichten mehr verfolgen, dadurch nicht dümmer geworden. Und nicht einmal schlechter informiert.

Und wenn ich mich recht erinnere, war die Gewohnheit, Zeitung zu lesen, auch eher eine Art Zeitvertreib. Für den es heute schlicht oft attraktivere Varianten gibt.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ich fürchte, hier hat er Recht. Die KI ist inzwischen furchterregend gut. So gut, dass man dazu auch Herrn Supino selbst ersetzen kann. Siehe ein Interview mit ihm durch den Komiker Karpi, täuschend echt, aber zu 100% generiert durch künstliche Intelligenz:

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch. Im Grund hat sich durch die Digitalisierung nichts verändert. Befreit wird man nie; das muss man muss selbst tun. Und gestorben wird von irgend jemandem immer.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Trotz Unternehmensgründung – nein. Ich fürchte, Journalismus wird zu einem Beruf wie das Theater oder die Literatur: Etwas für sehr junge Leute ohne weitere Verpflichtungen – und auf lange Sicht nur eine Spielwiese für Menschen, die viel geerbt oder klug geheiratet haben. Journalismus ist kein Beruf für Erwachsene, die eine Familie ernähren zu haben. Keiner, in dem man noch pensioniert werden wird. Keiner, zu dem ich meinen Kindern noch raten würde.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Am liebsten Gesprächs- und Sitzungsnotizen. Was den Vorteil hat, dass ich schon zwei Stunden danach rund einen Drittel nicht mehr entziffern kann. Was Wichtiges und Unwichtiges automatisch trennt.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Miserabel. Zwar hat er die Auflagen fast aller politischen Medien gesteigert. Aber langfristig tötet seine Methode das Gewerbe. Trumps grosse Erfindung war die Macht der Schamlosigkeit. Er war der erste westliche Politiker, der ohne Reserve log, ohne jeden Versuch von Tarnung oder Logik.

Was heisst: Dass für die Journalisten nichts mehr aufzudecken war. Und selbst wenn, löste es nur Achselzucken aus. Weil ja alles schon bekannt war.

Heuchelei wird zu Unrecht gering geschätzt. Dabei ist sie der Kitt der Gesellschaft. Denn, wie La Rochefoucauld sagt: «Heuchelei ist die Verbeugung des Lasters vor der Tugend.»

Und ihr Fehlen ist der Tod für die Medien. Weil es nichts mehr zu analysieren, zu enthüllen, zu schreiben gibt. Trump hat das politische Spiel auf für mich oder gegen mich reduziert. Ende der Geschichte.

Wem glaubst Du?

Eigentlich allen. Solang sie etwas Faszinierendes erzählen.

Dein letztes Wort?

Hallo.


Constantin Seibt
Constantin Seibt war Reporter bei der «Wochenzeitung», später beim «Tages-Anzeiger». 2017 gründete er die Republik, bei der er nun wiederum Reporter ist.
https://www.republik.ch/


Basel, 14. April 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:
www.matthiaszehnder.ch/abo/

3 Kommentare zu "Constantin Seibt: «Ich lese immer weniger»"

  1. Nachdem ich alles, was ich in den 1970er-Jahren alles, was ich dannzumal auf dem Konto hatte (CHF 5’000), der «WoZ» mit auf den Weg gegeben hatte, habe ich inzwischen sukzessive alle Alt-Zeitungen wie beispielsweise die BaZ, bz oder NZZ gekündigt. Ein Freund hat mir vor einem halben Jahr geraten, es einmal mit der «Republik» zu versuchen. Dazu ist es noch nicht gekommen, weil mir täglich aus meinen Netzwerken etliche Links zu lesenswert Spannendem gemailt werden. So beispielsweise heute zum Mutmacher Rainer Fuellmich: https://menschen-machen-mut.de/update-reiner-fuellmich/

  2. Seibt, Jahrgang 1966 – sieht seit Anbeginn (als er z.B. in einer alternativen Partei war) alles aus der linken Ecke. Sein gutes Recht.
    So muss man aber auch seine Fragebogenantworten zuordnen: Links beleuchtet.
    Einfach zum Einordnen, zum Zentrieren:
    Es gibt noch andere Sichtweisen. Welche auch erwähnenswert sind/wären.
    Des Pudels Kern wird wohl irgendwo dazwischen liegen.

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