Claude Bühler: «Der Tempodruck ist heute viel höher»

Publiziert am 3. Mai 2023 von Matthias Zehnder

Das 227. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Claude Bühler, Co-Redaktionsleiter beim Basler Onlineportal «Prime News». Er sagt, als er im Journalismus begonnen habe, hätte es «weniger mediale Stimmen» gegeben. «Diese wenigen haben bestimmen können, wer Öffentlichkeit erhält und wer nicht.» Wer heute recherchiere, treffe dafür «fast systematisch auf ‹Kommunikationspersonal›, das die Aussagen PR-mässig auf Linie bringt und filtert.» Bühler bedauert insbesondere, dass die Medien früher mehr Platz für eine ausführliche Kulturberichterstattung boten. «Aber für mich sind die klassischen und sogenannt sozialen Medien dennoch nur ein Teil der Inspirationsmöglichkeiten.» Bühler findet, man solle Medien «nicht als das ausschliessliche Mittel zur Welterklärung» nutzen. Und wenn, dann bewusst. Unerlässlich findet er, dass «ein Medienunterricht in den Volksschulen» stattfindet: «Wie liest man die Medien? Wie unterscheiden wir und überprüfen wir Quellen? Wie nutzen wir auch die sozialen Medien?»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Von meiner ehemaligen Tätigkeit als Talk-Verantwortlicher bei «Telebasel» hat sich meine Gewohnheit zum breiten Überblick erhalten. Ich schaue also online nach, was «BaZ», «bzBasel», «Onlinereports», «Prime News», «Bajour-Briefing», «Baseljetzt», gelegentlich das «Regi» berichteten und lese punktuell genauer. Abends sehe ich die SRF-Tagesschau, gelegentlich Arte-Dokus. Dazu kommen tagsüber Besuche auf den Plattformen von «NZZ», «Blick», seltener «Watson».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Die Plattformen verwende ich mittlerweile fast nur mehr zur Verbreitung von «Prime News»-Berichten und um Berichte anderer Medien zu entdecken. Twitter: regelmässiger User – auch weil ich dort Debatten verfolgen kann. Facebook: Nicht mehr so intensiv, eher privat. Instagram: kaum. Vermehrt: LinkedIn.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Im medialen Alltag hat sich kaum eine Veränderung durch das Corona-Virus bis heute gehalten, im gesellschaftlichen schon. Während der Krise fühlte ich mich sehr herausgefordert, weil wir mit einem Virus konfrontiert waren, das wir Medienleute nicht beurteilen konnten. Ein wissenschaftliches Thema ist für Medien ja eher undankbar. Der Run auf die News war enorm. Aber wie damit umgehen, wie die Info-Frequenz dosieren? Müssen wir nicht gerade extra auch über andere Themen berichten?

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Anders. Der Tempodruck ist heute viel höher. Berichte können dank Internet viel leichter faktisch überprüft werden. Als ich begonnen habe, gab es weniger mediale Stimmen. Diese wenigen haben bestimmen können, wer Öffentlichkeit erhält und wer nicht. Es gab geschützte Gesellschaftsbezirke. Beides wäre in dem Masse heute undenkbar. Mit der früheren PK-Berichterstattung würde heute niemand mehr überleben – der Bericht zu einer Regierungs-PK enthält heute standardmässig gegnerische Stimmen. Und es müssen eigene Geschichten her.

Heute sind die Medien insgesamt emotionaler und knalliger aufgemacht, – das finde ich nicht immer hilfreich. Jetzt auch zunehmend: Wer recherchiert, trifft heute fast systematisch auf «Kommunikationspersonal», das die Aussagen PR-mässig auf Linie bringt und filtert. Früher gab es wohl mehr Platz in den Medien, auch für eine ausführliche Kulturberichterstattung. Theateraufführungen galten damals als gesellschaftlich relevant: Wohin bewegen wir uns? Aber auch: Was macht unser «Stadttheater»? Diese gesellschaftliche Funktion ist heute vergleichsweise weg.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Was wären denn Alternativen?

Was soll man heute unbedingt lesen?

Medien: Nicht nur einen Titel konsumieren, sondern unterschiedliche. Und ich empfehle die klassische Literatur.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Was heisst «schlecht»? Solange mir ein Buch etwas mitteilt oder es mich interessiert, bleibe ich dran.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Nahezu überall. Oft auch in Gesprächen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Wie lange stellt man diese Frage schon? Seit 30 Jahren? Keine Ahnung.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Wie hiess der Spruch nochmals wegen der «Lüge um die Welt»? Aber wir haben auch schon erlebt, dass sich Fake News in der Öffentlichkeit wieder korrigieren liessen. Tatsächlich halte ich sie für nur schädlich, – auch wenn sie die Wichtigkeit der traditionellen, an den Berufskodex gebundenen Medien unterstreichen. Man sollte sie allerdings nicht als Neuerscheinung bewerten.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Gelegentlich. Hängt vom Tag ab.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja, die von «Prime News».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Habe ich mich als Zwanzigjähriger, hat sich mein damaliges Umfeld um Medien gekümmert? Nur wenig. Ich kenne Menschen, die wenig Medien konsumieren und trotzdem die Grundlinien dessen wahrnehmen, was läuft. Natürlich empfehle ich den Medienkonsum. Für die konkreten Informationen, auch bezüglich der konkreten politischen Vorgänge, sind sie unerlässlich. Man kann via Medien auch unsere Gesellschaft «lesen» – und ich empfehle den Versuch.

Aber für mich sind die klassischen und sogenannt sozialen Medien dennoch nur ein Teil der Inspirationsmöglichkeiten. Man sollte sie als Instrument nutzen, nicht als das ausschliessliche Mittel zur Welterklärung. Was ich jedoch für absolut unerlässlich halte, ist ein Medienunterricht in den Volksschulen. Wie liest man die Medien? Wie unterscheiden wir und überprüfen wir Quellen? Wie nutzen wir auch die sozialen Medien?

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Das halte ich für gefährlich. Am Ende wird sich das wirtschaftliche Argument durchsetzen. Wofür lässt sich die Maschine sehr gut programmieren? Für das Eindeutige, also die Klicks. Die Klicks geben jedoch nur ein verzerrtes, pervertiertes Bild unserer Interessen ab. Wir stehen da vor ungeheuren Herausforderungen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Solange Informationen einen Preis haben und dieser Preis auch gezahlt wird, so lange wird es Medien geben. Die Technologie dafür ist egal.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Heikel. Ja, unsere direkte Demokratie erfordert einen hohen Informationsstandard. Aber mit einer verstärkten Medienförderung drohen auch Wettbewerbsverzerrung und dass in der journalistischen Wahrnehmung tote Winkel entstehen, wenn man von Behörden bezahlt wird. Möchte ich nicht pauschal beantworten.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Selten. Notizen, auch persönliche.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Miserabel. Seine Erscheinung hat das Schlechteste aus ihnen hervorgelockt: Das schamloseste Clickbaiting über jeden Auftritt und jeden seiner Rülpser, und daneben psychiatrische Ferndiagnosen, verfasst in Herzogenbuchsee (ich übertreibe). Trump hat einen Intellektuellen-Hass bewirtschaftet, wie es ihn jahrzehntelang in der westlichen Welt nicht gegeben hat. Etcetera. Ich weigere mich, eine negative Erscheinung als gut für die Medien zu betrachten.

Wem glaubst Du?

Ich suche und prüfe.

Dein letztes Wort?

Ich hoffe, die jetzige Medien-Vielfalt auf dem Platz Basel bleibt bestehen.


Claude Bühler
Claude Bühler (59) ist in Basel ein Ur-Gestein des Journalismus. Er hat ursprünglich eine KV-Ausbildung absolviert und eine persönliche Ausbildung im Schauspiel. Nach Stationen beim «Baslerstab» und bei Act Entertainment ist er zu «TeleBasel» gestossen. Beim Basler Lokalfernsehsender hat er viele Jahre lang die täglichen Talksendungen und den «SonntagsTalk» redaktionell verantwortet und war für Dok- und Newssendungen zuständig. Vor einem Monat hat er eine neue Herausforderung angenommen und ist jetzt Co-Redaktionsleiter beim Basler Onlineportal «Prime News». Darüber hinaus ist er seit 2003 freier Theaterkritiker für das Basler Newsportal «Onlinereports.ch» und für das Internet-Theaterfeuilleton «Nachtkritik.de».
https://primenews.ch/kontakt/uber-uns/claude-buehler


Basel, 3. Mai 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Ein Kommentar zu "Claude Bühler: «Der Tempodruck ist heute viel höher»"

  1. Claude Bühler ist wirklich ein Basler Urgestein des Journalismus. Jeder einigermassen interessierte Zeitgenosse sah oder hörte oder las ihn sicherlich einmal. Oder lief ihm wie ich über den Weg. Bei mir war es im alten Radiostudio auf dem Bruderholz während der Abschiedstage von dem von Regisseur Thom Luz inszenierten „Radio Requiem“. Auf der ehemaligen Aussenterrasse des Personalrestaurants wechselten wir Worte, jedoch zeigte er leider nicht lange Interesse an einem interessierten Medienkonsument – an mir – und lief weiter…. Auch schrieb ich ihm oft Mails was interessant wäre, die angekündigten Gäste im Sonntags-Talk bei TeleBasel zu fragen. Nicht nur die üblichen TeleBasel-Soft-Schon-Fragen sondern das, was den Zusehern und der Regio unter den Nägeln brennt. Leider blieben meine Mails unbeantwortet und die vorgeschlagenen Anregungen flossen nie in die Sendungen ein…
    Dennoch: Claude Bühler schätze ich wegen seiner prägnanten, gut verständlichen, sachlichen Aussprache und Ausdrucksweise, eher langsam aber umso prägsamer. Eine Wohltat in unserer (zu) schnellen Welt.
    Hoffentlich bewirkt Claude Bühler an seinem neuen Wirkungskreis, beim Onlineportal „PrimeNews“ eines: Einen grösseren Output. Pro Tag ein oder bestenfalls zwei Artikelchen bewegen mich immer wie weniger „PN“ anzuwählen. Am Week-End kommt oft nichts bis gar nichts neues dazu. Eindeutig zu wenig Bewegung auf der statischen Schlaf-PN-Seite (da läuft ja bei „Bajour“ noch mehr). Mehr Output, mehr Kolumnen, mehr Glossen, mehr Fotostrecken (im Online ideal zu machen), mehr Gastmeinungen wären die Wünsche. Herr Bühler ist kein Zauberer, doch ein wenig Schrauben in diese Richtung wäre nicht verkehrt. Und: Hoffentlich sterben die Urgesteine nicht aus (Urs Hobi, -sten, -minu, Maria „Miggeli“ Aebersold, Urs Rist, Hans-Ruedi Ledermann, Peter Bollag, Christian Heeb u.v.m…) denn auch am Horizont des Kosmos-Ozean Basel sehe ich zur Zeit beim besten Willen weit und breit keine mehr…..

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