Christoph Aebischer: «Die Digitalisierung ist der Prinz, der das Schneewittchen wachküsst»

Publiziert am 19. Januar 2022 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Christoph Aebischer, Chefredaktor von «Bildung Schweiz» und Leiter Kommunikation von LCH. Er sagt, dass junge Menschen eigentlich sehr intensiv «News» konsumieren, bloss seien es News, die ältere nicht für relevant halten. «Alle, die das deprimiert, müssen darum gut hinschauen und hinhören. Vielleicht entdeckt man dann Mittel und Wege, um miteinander ins Gespräch zu kommen.» Aebischer findet die Digitalisierung der Medien spannend: «Lustvoll und gescheit genutzt, eröffnet die Digitalisierung eine neue Welt von Möglichkeiten. Ich teste diese gerne aus und freue mich manchmal auch einfach daran, auf dieser Spielwiese herumtollen zu können.» Der Spass hört für ihn aber auf, wenn Menschen aus dem Journalismus verschwinden: «Mir graust davor, wenn maschinelle Recherchen dereinst einordnende Artikel produzieren sollten.» 

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Sofern nicht andere Menschen mit mir am Tisch sitzen, gedruckte Tageszeitungen und News-Apps auf meinem Smartphone. Dann und wann kann ich mir auch einen Blick in den Twitter-Account nicht verkneifen. 

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Von Facebook halte ich mich fern, Twitter nutze ich beruflich, Instagram sporadisch als kreatives Experimentierfeld. 

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich habe eine neue Stelle. Was ich damit sagen will: Es hat Prozesse beschleunigt. Das reicht von der Digitalisierung, der Gleichschaltung bis eben hin zu persönlichen Entscheiden. Inhaltlich bedeutete die Krise zuerst einen unglaublichen Schub für das journalistische Schaffen, je länger sie allerdings dauert, führte sie zu einem starren Blick. Die Kreativität ist einer Fixierung gewichen. Wir erinnern immer mehr an eine Maus vor der Schlange. Allmählich habe ich Lust auf Neues. 

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Fangfrage. Weiter bitte!

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Gepflegte Schreibe wird nie verschwinden – alles andere eventuell schon. 

Was soll man heute unbedingt lesen?

Heute noch nicht, aber bald: die «Hauptstadt». Ich freue mich darauf, dass für mich als Berner nun auch Bern ein Onlinemedium der neuen Generation erhält. Zwar liefern die fusionierten «Bund» und «BZ» mehr als Einheitsbrei, aber sie kommen eben doch aus derselben Küche. 

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Eher letzteres. Ich misstraue der Regel, dass nach 100 Seiten klar ist, ob sich die Lektüre lohnt. Natürlich bin ich deswegen auch schon auf die Nase gefallen. Ich gestehe mir – abgesehen von beruflichen Dingen – auch querlesen nicht zu. Hat etwas mit Respekt vor der geleisteten Arbeit zu tun. Aber ich nehme gerne Warnungen entgegen, welche Bücher ich besser nicht zur Hand nehmen sollte.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Von meinen Teenagern. Was die immer wieder aus ihren digitalen Echokammern hervorzaubern! Das fasziniert und schockiert mich gleichermassen. Jedenfalls sind sie eine hervorragende Inspirationsquelle. 

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Weniger lang, als ich vor ein paar Jahren noch dachte. 

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Beides. 

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Wenn ich es kombinieren kann mit einer Fremdsprache, dann liebe ich es. 

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Dieses Format entspricht mir nicht. Ich fühle mich zu eingeengt damit. Wenn ich zuhöre, dann lieber Musik oder realen Menschen. Und draussen will ich keine Kopfhörer aufsetzen. Eine Frage des Alters wahrscheinlich. 

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Immerhin gehören sie nicht zu den News-Deprimierten. Sorry, dieser Kalauer kommt mir bei diesem Begriff immer zuerst in den Sinn. Im Ernst, dass sich Junge von Informationen gestandener Redaktionen abwenden, halte ich für eine ernsthafte Challenge. Denn junge Menschen konsumieren eigentlich sehr intensiv «News». Es sind einfach solche, die ältere nicht für relevant halten. Alle, die das deprimiert, müssen darum gut hinschauen und hinhören. Vielleicht entdeckt man dann Mittel und Wege, um miteinander ins Gespräch zu kommen. 

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Das ist nun wirklich ein Grund zum Trauern. Als Pietro Supino aus seinem Sabbatical im Silicon Valley zurückkam, arbeitete ich für Tamedia. Seine Faszination für diese neuen Möglichkeiten war unübersehbar. Wer etwas reissen wollte, dockte also an. Denn wofür Supinos Herz schlägt, dafür fliesst auch Geld. Noch produzieren die Bots simple Wirtschafts- und Sportmeldungen. Das ist meinetwegen in Ordnung, weil es Journalisten vor Routinemist bewahrt. Mir graust aber davor, wenn maschinelle Recherchen dereinst einordnende Artikel produzieren sollten. 

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Das war vorhin vielleicht etwas säuerlich und widerspiegelt keineswegs meine bisherigen Erfahrungen mit der Digitalisierung. Ich empfinde sie eher als Prinz, der das Schneewittchen wachküsst. Lustvoll und gescheit genutzt, eröffnet die Digitalisierung eine neue Welt von Möglichkeiten. Ich teste diese gerne aus und freue mich manchmal auch einfach daran, auf dieser Spielwiese herumtollen zu können. 

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Da hört der Spass auf: Ja, unbedingt. In unserer Welt voller Bubbles und auseinander driftenden Lebenswelten braucht es diese Instanz. Sonst sehe ich schwarz für unsere demokratische Gesellschaft.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Immer wieder, aber meine Klaue führt zu unleserlichen Resultaten. Nebst Gesprächsnotizen finde ich es schön, auch einmal analoge Ansichtskarten zu versenden. Dann lege ich mich natürlich ins Zeug, damit auch die Adressaten etwas davon haben. Heisst: Dass sie lesen können, was ich ihnen geschrieben habe. 

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er wirkt wie ein Brennglas: Er macht Gefahren sichtbar und entblösst Selbstgerechtigkeit. Insofern ist er eine heilsame Herausforderung. Zugleich macht er unverschämtes Benehmen salonfähig und zerstört in breiten Schichten den Rest des Vertrauens, das Medien entgegengebracht wird. 

Wem glaubst Du?

Glauben ist keine journalistische Eigenschaft.

Dein letztes Wort?

Und man erliegt der Neigung dennoch immer wieder. 


Christoph Aebischer
Christoph Aebischer ist Chefredaktor des Fachmagazins «Bildung Schweiz» und Leiter Kommunikation des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH. Damit hat sich ein Kreis geschlossen: Ganz am Anfang seiner Berufskarriere stand er vor Schulklassen. Dann leitete er Reisen, studierte Geografie und stieg als Verlegenheitslösung in den Journalismus ein. Daraus wurde eine Leidenschaft, die er zuerst für diverse Zeitungstitel in den Kantonen Bern und Solothurn, später als Inlandredaktor der «Berner Zeitung» auslebte. Nach der Fusion der bis dahin unabhängigen Tamedia-Mäntel wechselte er nach Zürich zum «Tages-Anzeiger» und ein halbes Jahr darauf zurück nach Bern zum «Bund». Kurz vor der nächsten Redaktionszusammenlegung verliess er Tamedia. Christoph Aebischer ist verheiratet und Vater zweier Jugendlicher. Er wohnt in Bern.
https://www.lch.ch 


Basel, 19. Januar 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Bild: Philipp Baer

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4 Kommentare zu "Christoph Aebischer: «Die Digitalisierung ist der Prinz, der das Schneewittchen wachküsst»"

  1. Dieses Interview hat mich mit extrem erfrischend neuen Antworten zu immer den gleichen, zum Teil abgestandenen Fragen aus der Reserve gelockt. Noch scheint doch nicht aller Tage Abend. Besonderes spannend und viel versprechend finde ich das Berner Medienprojekt HAUPTSTADT (hoffentlich wird sie nicht so harmlos lustig wie BAJOUR). Eine Frage nebenbei: Würde wohl die HAUPTSTADT von der neuen Medienförderung profitieren?

    1. Antwort:
      Die HAUPTSTADT sei ein gutes Portal – da muss man sich ja direkt einmal „einlesen“….
      Nur der Titel „Hauptstadt“ ist falsch. Die Schweiz hat keine Hauptstadt, sie hat eine Bundesstadt. Darauf war ich immer stolz. Keine Hauptstadt mit Brimborium und Palästen, Bern ist einfach, beschaulich und zurückhaltend. (Genauso wie wir am Gründungsort der Schweiz, der Rütliwiese keine Denkmäler, Säulenheilige und Tempel stehen haben, sondern einfach die Kühe mitsamt ihren Hinterlassenschaften weiden dürfen….)
      Die Frage ob „die HAUPTSTADT“ von der neuen Medienförderung profitieren würde, kann ich nicht beantworten. Auch wenn das „Gut“ wäre, kann man wegen diesem Einzelfall dem Mediengesetz nicht zustimmen.
      Im Basler Online-Portal „Prime-News“ erklären bekannte Basler wie Peter Knechtli, Willy Surbeck, der langjähriger Chefredaktor von TeleBasel (aus Allschwil), Armin Faes und Werni Blatter von der „Kleinbasler Zeitung“, Thomas Weber, der Verleger der „Gundeldinger Zeitung“ (also ganz und gar nicht nur FDP und Bürgerliche) in Text, Bild und Ton ihre Argumente gegen das Millionen-Medienförderungs-Programm“. Sehr interessant:
      https://primenews.ch/articles/2022/01/diese-persoenlichkeiten-sagen-nein-zum-mediengesetz
      (…. ich weiss, viel Basel-Nabelschau. Doch auch für die zahlreiche Nicht-Basler-Leserschaft dieser Seite durchaus interessant…..)

      1. Bevor Sie sich zu sehr aufregen, dass die Schweiz keine Hauptstadt hat: Die Namensgebung könnte genau das ironisch aufgreifen. Vielleicht kennen Sie den wunderbaren Roman «Die Hauptstadt» von Robert Menasse. Es ist ein herrlicher Episodenroman (erinnert darin ein bisschen an Schnitzler) über Beamte in Brüssel. Und Brüssel ist natürlich nicht die Hauptstadt Europas, sondern nur der SItz der EU Kommission. Oder?
        Was die Medienförderung angeht, kann selbstverständlich jeder die Argumente so gewichten, wie er will. Ich werde im nächsten Wochenkommentar ein Argument aufgreifen und durchdenken, ein Argument, von dem ich glaube, dass es als ideologische Hülse genutzt wird, inhaltlich aber reiner Blödsinn ist. Aber mal sehen. Ich muss ja irgendwie Ihren ständigen Nein-Parolen hier Paroli bieten… 😉

  2. Apropos Medienförderung: Anfang der 1980er-Jahre habe ich CHF 5’000 in die WoZ investiert. Für mich damals viel Geld! Wahrscheinlich etwa so viel, wie wenn ein Milliardär ein Leibblatt mit CHF 5 Millionen sponsert … und dann noch dies: Heute finde ich die WoZ ein links kaschiertes Propagandablatt – nicht mehr förderungswürdig!

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