Christian von Burg: «Wer immer auf allen Hochzeiten mittanzen will, verzettelt sich.»

Publiziert am 3. April 2024 von Matthias Zehnder

Das 275. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Christian von Burg, Wissenschaftsredaktor bei Radio SRF. «Als Wissenschaftsjournalist muss ich nicht mehr jeden Tag eine Sau durchs Dorf treiben.» Er könne hintergründiger arbeiten und sei kaum mehr vom Politalltag getrieben. «Das geniesse ich meistens.» Er sagt, Fake News habe es schon immer gegeben, nur sei die Benennung weniger sexy gewesen: «Gerüchte, gefälschte Nachrichten, Diskreditierungen. Verlässliche Medien spielten immer eine wichtige Rolle beim Aufdecken von Falschmeldungen.» Er beobachte immer wieder, wie «das Interesse an gesicherter und breiterer Information ab einem bestimmten Alter zunimmt. Das stimmt mich zuversichtlich. Umgekehrt beobachte ich ältere Semester, die sich im Netz in Fake News verfangen – was mich ratlos macht.» In der Digitalisierung sieht er «neue Freiräume und Möglichkeiten, die ich nicht missen möchte.» Gleichzeitig seien die Medienhäuser überfordert. «Die vertiefte Recherche und das Verstehen leidet, oberflächliche Klick-Themen gewinnen. Diese Tendenz erlebe ich leider zum Teil auch bei SRF.» Sein letztes Wort ist deshalb ein Plädoyer an seinen Arbeitgeber.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Beim Morgenturnen das «Echo der Zeit». Nach dem Müesli der «Tagi». Der Rest im Büro.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, LinkedIn, YouTube, TikTok und BeReal?

Bis vor vier Jahren weitgehend abstinent. Seither dilettiere ich ein bisschen. Vielleicht gebe ich’s bald wieder auf.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Stark. Das hängt auch damit zusammen, dass ich die Medien gewechselt habe: Von Print zu Radio, nebenher Online und ein bisschen Fernsehen. Als Wissenschaftsjournalist muss ich nicht mehr jeden Tag eine Sau durchs Dorf treiben. Ich kann hintergründiger arbeiten und bin kaum mehr vom Politalltag getrieben. Das geniesse ich meistens – auch wenn mir die Politdebatten in Bern dann doch manchmal fehlen.

Auf der Wissenschaftsredaktion fahren wir vielgleisig, was die Arbeit spannend macht. Obwohl das Gegenteil behauptet wird, fliessen aber immer mehr Stellenprozente zu den Chefinnen und Chefs, es gibt mehr Sitzungen und mehr Arbeitsgruppen, in denen die Verantwortung diffundiert. Kurz, es gibt immer weniger Journalistinnen und Journalisten, die wirklich als solche arbeiten. Die publizistische Diskussion droht zu kurz zu kommen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Die wirtschaftliche Lage war definitiv besser und insbesondere in den Printmedien gab es weit grössere Freiräume für Journalistinnen und Journalisten. Aus Sicht der Leserinnen und Leser aber hat sich vieles auch verbessert: Wenn ich etwa an die ritualisierte Print-Berichterstattung aus dem Parlament zurückdenke, beginne ich zu gähnen. Der Lokaljournalismus wiederum war vielfältiger und lebendiger. Da hat das Sparen echten Schaden angerichtet.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Unbedingt, auch auf Papier – aber nicht mehr nur.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Viel und immer wieder anderes. Bei mir geht das von Sachbüchern über Wochenzeitschriften bis zum «Blutbuch» von Kim de l’Horizon, das ich dank meinem Götti-Meitli endlich lese. Das Theaterstück im Schauspielhaus Zürich übrigens ist berührend, lustig und mutig – total sehenswert!

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Bücher, die mich nicht weiter bringen oder mich nicht unterhalten, lege ich schnell wieder weg.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Auf der Strasse, von den Kindern und vor allem in Diskussionen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Ich liebe sie gedruckt, darum hoffe ich noch sehr lange. Aber ich fürchte, das Angebot nimmt bald weiter ab.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Fake News gab es schon immer, nur war die Benennung ein bisschen weniger sexy: Gerüchte, gefälschte Nachrichten, Diskreditierungen. Verlässliche Medien spielten immer eine wichtige Rolle beim Aufdecken von Falschmeldungen. Insofern sind Fake News eine Chance und eine Herausforderung zugleich.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich höre und schaue seit Jahren fast alles zeitversetzt. Linear nur noch das «Rendez-Vous» am Mittwoch Mittag, wenn ich zu Hause koche. Lineares Fernsehen nur noch wenn ich beim Zappen am Fernseher vor dem Come-Back-TV irgendwo kurz hängenbleibe. Aus der umgekehrten Perspektive, als Macher, liebe ich Live-Radio und Fernsehen.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich könnte nicht mehr ohne. Ich höre alle unsere Radio-Sendungen fast ausschliesslich als Podcasts und daneben höre ich queerbeet, was grad gefällt, inspiriert oder nützlich ist für den Beruf. Auch schräges Zeug wie labernde Astronomen in «Raumzeit» oder fachsimpelnde Freunde «Am Wegrand».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Ich bin mir nicht sicher, ob es so viel besser war, als ich in diesem Alter war. Ich beobachte immer wieder, wie das Interesse an gesicherter und breiterer Information ab einem bestimmten Alter zunimmt. Das stimmt mich zuversichtlich. Umgekehrt beobachte ich ältere Semester, die sich im Netz in Fake-News verfangen – was mich ratlos macht.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Bis zu einem gewissen Grad schon. Aber gut recherchierte, hintergründige Geschichten lassen sich ohne Menschen nicht machen. Ich glaube nicht dass sich Ideen, Kreativität und der Blick für’s grosse Ganze ersetzen lassen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Es gibt neue Freiräume und Möglichkeiten, die ich nicht missen möchte. Gleichzeitig sind die Medienhäuser überfordert. Wer immer auf allen Hochzeiten mittanzen will, verzettelt sich. Die vertiefte Recherche und das Verstehen leidet, oberflächliche Klick-Themen gewinnen. Diese Tendenz erlebe ich leider zum Teil auch bei SRF.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Bis zu einem gewissen Grad ja. Insbesondere der Kahlschlag im Lokaljournalismus macht mir Sorgen

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Selten. Notizen, Einkaufszettel, Briefe an die Götti-Kinder.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Gut für die Auflagen. Schlecht für die Demokratie.

Wem glaubst Du?

Ich glaub ans Wissen – glaub.

Dein letztes Wort?

Ist an meine Arbeitgeber gerichtet: Leute, wie könnt Ihr nach Corona und 1000 Bezeugungen, wie wichtig Wissenschaftsjournalismus sei, jetzt ernsthaft in Betracht ziehen, unseren Wissenschaftspodcast «Kopf voran» ersatzlos zu streichen? Darüber müssen wir nochmals reden!


Christian von Burg
Christian von Burg (51) ist seit 2017 Wissenschaftsredaktor bei Radio SRF. Der Schaffhauser studierte Geschichte und Germanistik in Basel, Berlin und Zürich. Mit dem Schreiben begann er 2001 bei «Der Bund» in Bern, zuerst als Lokalredaktor für die Region Bern, dann für die Inlandredaktion von «Bund» und «Tages-Anzeiger». 2010 wechselte er in die Inlandredaktion von Radio SRF, wo er sich auf Energie- Verkehrs- und Landwirtschaftspolitik fokussierte und nebenher auch die Talk-Sendung «Forum» auf SRF 1 moderierte. 2017 wechselte er von Bern nach Basel in die Wissenschaftsredaktion. Schwerpunkte sind Astronomie und Raumfahrt, Biodiversitätsthemen und der Klimabereich. Ab und zu arbeitet er auch für’s Fernsehen. Er macht Podcasts, und er moderiert regelmässig das «Wissenschaftsmagazin».
https://www.srf.ch/audio/wissenschaftsmagazin


Basel, 3. April 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 270 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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