Christian Keller: «Es gibt noch gedruckte Tageszeitungen?»

Publiziert am 29. September 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Christian Keller, Gründer und Chefredaktor des Basler Onlineportals «Prime News». Er sagt, er treffe an Anlässen kaum noch Berufskollegen: «Man nimmt sich kaum mehr die Zeit für den informellen Austausch mit Exponenten aus Wirtschaft und Politik. Immer muss sogleich eine Story resultieren, und die ist nur etwas wert, wenn viele Klicks generiert werden. Das halte ich für eine schlechte Entwicklung.» Die Digitalisierung eröffne neue, kostengünstige Verbreitungskanäle. «Es braucht keine teuren Druckmaschinen mehr, um seine journalistischen Inhalte unter die Leute zu bringen.» Das seine eine «fantastische Befreiung». Keller findet, die Medien müssten lernen, «bescheidenere Brötchen zu backen. Das geplante Mediensubventionsgesetz würde diesen so wichtigen Prozess zerstören, weil es die Strukturen der Medienkonzerne zementiert. Darum lehne ich es entschieden ab.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich konsumiere ausschliesslich online: «BaZ», «bzBasel», «Regionaljournal Basel-Baselland», Newsletter «Bajour», «Onlinereports», «NZZ», «Blick», «Nebelspalter», «Bild», «persoenlich.com», «kleinreport.ch».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Ich nutze diese Kanäle berufsbedingt, aber nur selten privat.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

An den zahlreicher werdenden grauen Haaren sind nicht nur die Kinder schuld, wie ich vor Corona immer dachte. Corona hat den beruflichen Alltag noch unberechenbarer gemacht. Planbarkeit gibt so gut wie keine mehr. Wir müssen ständig mit neuen Behördenentscheiden rechnen, die alles Bisherige auf den Kopf stellen. Derweil hat sich die Durchführung von digitalen Meetings oder Pressekonferenzen zu einer neuen Routine entwickelt.  

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Natürlich kann man das nie so allgemein sagen. Als ich vor 20 Jahren in den Job eingestiegen bin, war unser Standing aber eindeutig besser. Es gab noch so etwas wie eine Berufsehre und eine instinktiv kritische Haltung gegenüber dem Staat und Personen mit Macht. Heute dominieren die Klickzahlen das Geschäft, was zu zahlreichen Fehlleistungen und falschen Gewichtungen führt. Ich treffe an den diversen Anlässen kaum noch auf Berufskolleginnen und -kollegen. Man nimmt sich kaum mehr die Zeit für den informellen Austausch mit Exponentinnen und Exponenten aus Wirtschaft und Politik. Immer muss sogleich eine Story resultieren, und die ist nur etwas wert, wenn viele Klicks generiert werden. Das halte ich für eine schlechte Entwicklung.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja, unbestritten. Ich beobachte aber leider, dass der Unterricht an den Grundschulen ungenügend ist. Wenn sich junge Menschen, meistens Maturanden oder Studierende, bei uns für ein Stage bewerben, beherrschen sie die deutsche Sprache häufig nur mangelhaft. Kein Gespür für die Grammatik; wenig Kompetenz, sich wortreich und bildstark auszudrücken; überhaupt ein fehlendes Bewusstsein für die Bedeutung der Sprache: Das sind Defizite, die mir zu denken geben. 

Was soll man heute unbedingt lesen?

Bücher, die uns bewusst werden lassen, dass Frieden und Wohlstand trotz allen Fortschritts nicht gottgegeben sind. Die Sammlung der Leitartikel, die NZZ-Chefredaktor Willy Bretscher während des Zweiten Weltkriegs verfasst hat, ist so ein Beispiel. Er schrieb gegen die Nazis an, als die kleine Schweiz vom Feind umzingelt war. Ich bin zudem ein Fan von Biografien über Menschen, die sich nie haben unterkriegen lassen. Ich empfehle etwa das Buch über das Leben von Europa-Park-Inhaber Roland Mack. Wie oft wurde ihm erklärt, dass etwas nicht möglich ist – und wie oft hat er bewiesen, dass sich eben doch eine Lösung finden lässt. Solche Persönlichkeiten faszinieren mich.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Nein, weglegen. Es ist nicht mein Problem, wenn mich ein Buch nicht überzeugen kann.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Gespräch mit Menschen, die ich, obwohl ich das immer zu vermeiden versuche, völlig falsch eingeschätzt habe.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Es gibt noch gedruckte Tageszeitungen?

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Das Thema wird überbewertet und gerne bewirtschaftet, wenn von aufgedeckten Missständen abgelenkt werden soll. Früher sprachen Leute, denen ein kritischer Artikel nicht passte, herablassend von «Blick-Journalismus». Der Begriff wurde mittlerweile ausgewechselt, heute ist jeweils von «Fake News» die Rede. In einer funktionierenden Demokratie darf man jedoch davon ausgehen, dass die Menschen gebildet und mündig genug sind, Informationen kritisch einzuordnen. So leicht, wie es teilweise behauptet wird, lassen sie sich nicht manipulieren.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Radio fast nie, höchstens im Auto. Aber es wird mir einfach zu viel gequatscht. Fernsehen nur sehr selektiv.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Mir fehlt leider allzu oft die Zeit. Das tägliche «Bern einfach» mit Markus Somm und Dominik Feusi finde ich ein gutes Format, weil man erfrischende Einordnungen zum Betrieb unter der Bundeshauskuppel erhält. Und sehr zu empfehlen ist natürlich der Prime News-Podcast «Fürobebier». 😉

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Das ist die Folge der Pushnachrichten-Orgien, wie wir sie täglich erleben. Wem verleidet es nicht, wenn jedes Kätzli, das von einem Baum gerettet wurde, aufgeregt als «Breaking News» vermeldet wird?

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Nein, nein und nochmals nein. Dafür ist das menschliche Wesen viel zu komplex. Zum guten Glück!

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Digitalisierung eröffnet neue, kostengünstige Verbreitungskanäle. Es braucht keine teuren Druckmaschinen mehr, um seine journalistischen Inhalte unter die Leute zu bringen. Im Sinne der Aufklärung ist das eine fantastische Befreiung. 

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Selbstverständlich. Qualität hat sich noch immer durchgesetzt. Entscheidend ist, dass auf dem Leser- und Werbemarkt innovative und auch marktfähige Modelle entwickelt werden. In der Vergangenheit gab es gerade in Basel mehrere Medienprojekte, die mit völlig unrealistischen Business-Plänen, viel Geld und ziemlich grossen Tönen an den Start gingen. Wir müssen lernen, bescheidenere Brötchen zu backen. Das geplante Mediensubventionsgesetz würde diesen so wichtigen Prozess zerstören, weil es die Strukturen der Medienkonzerne zementiert. Darum lehne ich es entschieden ab.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, ich halte handgeschriebene Briefe für ein wunderschönes Zeichen der persönlichen Wertschätzung.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Beides.

Wem glaubst Du?

Dem Bauchgefühl. 

Dein letztes Wort?

Wie wär’s mit einem Prime News-Abo (CHF 8 pro Monat)? 😉


Christian Keller
Christian Keller ist Gründer und Chefredaktor des Basler Onlineportals «Prime News». Keller ist 1982 in Basel geboren, hat Politikwissenschaften und Geschichte an der Universität Zürich studiert und an der Universität Basel mit einer Doktorarbeit zur Steuergeschichte der beiden Basel promoviert. 2004 hat er das Schweizer Jugendmagazin «Zündstoff» (2004-2007) gegründet. Berufliche Stationen führten über die «Basellandschaftliche Zeitung», Telebasel und die «Basler Zeitung». 2018 hat Christian Keller das Onlineportal «Prime News» gegründet, ein unabhängiges, journalistisches Onlineportal aus und für die Region Basel, dessen gesamte Berichterstattung sich ausschliesslich um das Lokale dreht. Besonders interessant ist das Finanzierungsmodell: Nutzer:innen lösen entweder ein Abonnement für acht Franken im Monat, oder sie schalten sich die einzelnen Artikel frei, indem sie sich jeweils einen Werbeclip anschauen. Christian Keller ist verheiratet und hat drei Kinder.
https://primenews.ch/ 


Basel, 29. September 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch 

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:

www.matthiaszehnder.ch/abo/

Ein Kommentar zu "Christian Keller: «Es gibt noch gedruckte Tageszeitungen?»"

  1. Immen noch sehr sympathischer Mensch. Bei der „Trump-Frage“ mit „beides“ zu antworten, zeugt von seinem differenziertem Denken, das er all die Jahre nicht verlernte.
    Beim Produkt „Prime-News“ empfinde ich den Output pro Tag so extrem minim. So viele Prime- News-Schaffende für so wenig Text und Artikel? So gibt es von der guten Schreibe für mich (zu) wenig zu lesen.
    Auffallend auch, aber es muss gesagt werden: Viele Artikel könnten von der „Handelskammer beider Basel“-PR-Abteilung stammen. Hat dies mit der Handelskammer-Werbung und der dahinterstehenden omnipräsenten Mitte-Politiker(-in) sowie den PN-Redaktions-Texten einem Zusammenhang???
    Fragen über Fragen über Fragen.
    Wobei auch Verständnis: Löhne sind zu bezahlen, als junger Familienvater (hungrige) Kindermäuler zu stopfen…
    „Am Gelder hängts, zum Gelde drängts…“ oder so ähnlich…..

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