Christian Imhof: «Die Leserinnen und Leser lassen sich glücklicherweise nicht für dumm verkaufen.»

Publiziert am 2. April 2025 von Matthias Zehnder

Das 327. Fragebogeninterview, heute mit Christian Imhof, Redaktionsleiter des «Prättigauer & Herrschäftler», Autor und Verleger. Er sagt, er sei zwar «fast ein wenig nachrichtensüchtig», habe mittlerweile aber «ein anderes Bewusstsein für Medienprodukte entwickelt». Es sei ihm klar geworden, «wie elementar das Vertrauen der Leserinnen und Leser in ein Produkt ist, um eine solide Arbeit abliefern zu können». Er sagt, heute müssten Medienschaffende «viel mehr leisten, um aus der Masse herauszustechen. Ich persönlich wünsche mir von Herzen, dass die Branche umdenkt». Mehr Ressourcen und mehr Zeit würden «auch bei jungen Leuten wieder eine grössere Begeisterung für Medien hervorlocken». Wie sieht er die Zukunft? «Für den Lokaljournalismus bin ich optimistisch, für die grossen Verlagshäuser eher weniger.» Er glaube, dass «die Dinge, die vor der Haustüre passieren, mehr interessieren als Meldungen aus dem Ausland». Die habe man meist schon 15-mal gehört, wenn die Zeitung im Briefkasten liege. «Richtig angefressene Geschichtensammler werden immer einen Platz finden, auch wenn sich die Formate verändern», ist er sicher. «Wer die Leute mag und das Schreiben liebt, dem kann die Digitalisierung mit all den Streichungen nichts anhaben.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

In der Regel schaue ich bei «GRHeute», der «Südostschweiz» und der «Klosterser Zeitung» rein. Wenn mich mal wirklich die Langeweile packt, scrolle ich auch noch durch «20 Minuten».

Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?

Viele spannende Artikel entdecke ich zuerst auf den sozialen Medien, wobei sich Facebook und LinkedIn besser zum Stöbern eignen als andere Plattformen. Selbst bin ich neben den beiden Plattformen auf Instagram und damit auch auf Threads, YouTube und TikTok sehr aktiv. BlueSky und Mastodon muss ich wohl noch für mich entdecken. Mit X habe ich vor ein paar Jahren abgeschlossen, da es mir dort einen Tick zu gehässig zu und her ging und geht.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Der Konsum von Medien hat sich stark intensiviert. Auch wenn ich liebend gerne meine Bildschirmzeit reduzieren möchte, schaffe ich es selten. Der Journalismus begeistert mich einfach. Es ist spannend zu sehen, wie Berufskolleg:innen an ein Thema herangehen und was sie daraus machen.

Auch wenn ich mich als fast ein wenig nachrichtensüchtig bezeichnen würde, habe ich inzwischen auch ein anderes Bewusstsein für Medienprodukte entwickelt. Ich bin beispielsweise stolzer Abonnent von unterschiedlichen Magazinen. Es ist mir klar, wie elementar dieses Vertrauen der Leserinnen und Leser in ein Produkt ist, um eine solide Arbeit abliefern zu können. Wie bei vielen Dingen auf der Welt ist es auch hier ein Geben und ein Nehmen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Gerade heute habe ich mit einem befreundeten Journalisten gesprochen, der bemängelte, wie sich alles verändert habe. Früher sei den Journalisten der rote Teppich ausgerollt worden. Und heute sei es eher so, dass man sich hin und wieder besser nicht in der Öffentlichkeit oute.

Ich musste ein bisschen schmunzeln, denn auch ich habe seit der Covid-19-Pandemie eine starke Veränderung bemerkt. Viele Leute sind inzwischen kritischer geworden und hinterfragen vieles, was früher einfach so gedruckt worden wäre. Das ist bei #MeToo-Themen eine echte Entwicklung, bei Dingen wie Chemtrails und Co. aber eher kontraproduktiv.

Richtig ist, dass vor dem Internet eine Zeitung als Instanz galt. Auch wenn ich die technischen Errungenschaften in meinem Alltag als Reporter nicht missen möchte, sehe ich den dadurch entstehenden Druck auch. Heute müssen Medienschaffende viel mehr leisten, um aus der Masse herauszustechen. Ich persönlich wünsche mir von Herzen, dass die Branche umdenkt. Mehr Ressourcen und mehr Zeit würden auch bei jungen Leuten wieder eine grössere Begeisterung für Medien hervorlocken.

Ich weiss nicht, ob ich es als besser oder schlechter bezeichnen würde. Ich denke, am besten eignet man sich darauf, dass es früher einfach anders war.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Definitiv. Ich denke, dass guter Lokaljournalismus immer einen Weg zu den Leuten finden wird. Vieles wird sich ins Internet verlagern, aber ganz verschwinden werden Printprodukte nie. Die haptische Erfahrung, eine Zeitung umzublättern, das gibt es bei einem digitalen Gerät einfach nicht. Bücher wurden ja seit der Erfindung der E-Reader auch schon oft totgesagt, doch heute sieht man in der Öffentlichkeit immer mehr Leute, die mit einem echten Buch unterwegs sind.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Autobiografien jeglicher Art eignen sich sehr gut als Inspiration für die eigene Entwicklung. Zum Thema Schreiben habe ich aus den Büchern «Big Magic» von Elizabeth Gilbert, «Die Geschichten in uns» von Benedict Wells oder auch «Reden ist Silber, Schreiben ist Gold» von Thomas Brezina sehr viel gelernt.

Ich versuche, jede freie Minute zu lesen, denn im Vergleich zum Fernsehen kann man aus Büchern unheimlich viel ziehen.

Aus den Werken von Chris von Rohr und Bänz Friedli habe ich beispielsweise gelernt, wie man eine gute Kolumne schreibt. Die Bücher von Roger Schawinski haben bei mir die Faszination für die Medien geweckt. Aus Thrillern von Sebastian Fitzek konnte ich viel über den Spannungsaufbau einer Geschichte mitnehmen.

Momentan verschlinge ich gerade die Serie «Achtsam morden» von Karsten Dusse, die einen einiges übers humorvolle Texten lehren kann.

Ich finde es zudem wichtig, den lokalen Literaturbetrieb zu unterstützen. Dafür habe ich auch das Grossprojekt «Graubünden schreibt» gestartet, welches die Autorinnen und Autoren aus dem Kanton ins Rampenlicht stellt. Lokalpatriotisch auch Bücher einzukaufen, hat mich schon oft sehr überrascht und neue Genres entdecken lassen.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Es passiert ganz selten, dass ich mal ein schlechtes Buch erwische. Doch auch die lese ich jeweils zu Ende, um für mich herauszufinden, weshalb es mir nicht gefallen hat. Wer viel schreibt, kann nur gewinnen, wenn sie oder er auch viel liest.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Am häufigsten passieren mir solche Entdeckungen, wenn ich mit meinen Kindern unterwegs bin. Sie leben dermassen im Moment, da kann ich nur staunen und mir einiges davon abschauen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Für den Lokaljournalismus bin ich optimistisch, für die grossen Verlagshäuser eher weniger. Den Entscheid, verschiedene Lokalzeitungen mit nur einem «Mantelteil», also einem identischen überregionalen Bund, finde ich suboptimal, weil so jede Zeitung abgesehen von zwei, drei Seiten gleich aussieht. Die Leserinnen und Leser lassen sich glücklicherweise nicht mehr für dumm verkaufen und greifen dann vermehrt zu eigenständigen regionalen Titeln. Ich habe das Gefühl, dass die Dinge, die vor der Haustüre passieren, mehr interessieren als Meldungen aus dem Ausland. Die hat man heute meist auch schon 15-mal gehört, wenn die Zeitung im Briefkasten liegt.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Gefährlich sind sie auf jeden Fall, da der Anteil der Leute, die fragwürdigen Quellen im Internet Glauben schenkt, leider sehr gross ist. Jede Journalistin und jeder Journalist hat täglich die Chance, sie zu entkräften und mit grossen Geschichten von «normalen» Leuten ein Gegengewicht zu setzen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Beim Autofahren höre ich immer Radio, sonst leider nicht mehr so viel. In einem Haushalt mit zwei Kleinkindern ist sonst schon genug Beschallung vorhanden. Früher habe ich oft noch ein bisschen in die Affenkiste geglotzt, um herunterzufahren. Heute lese ich eher oder schaue hin und wieder ein bisschen Netflix.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Im Fitness-Center habe ich eine Weile den satirischen «Uhuara»- Podcast von Gimma und Dario Linder gehört. Besonders gut gefallen hat mir auch der Podcast «8424 Züri West», welcher die Geschichte der Mundartband Züri West nacherzählt.

Doch da Podcasts immer so viel Zeit in Anspruch nehmen, ich oft inzwischen einfach nur mir selber zu und lasse einfach meine Gedanken fliegen. Aus Langeweile kann Kreativität entwachsen.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Dass die Medien anfangen müssen, wieder kreativer zu werden und dringend neue, ansprechende Formate entwickeln sollten. Wer heute bei den jungen Menschen punkten will, muss ihnen auf Augenhöhe begegnen. Geh mit der Zeit, sonst gehst du mit der Zeit.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Nein. Sprachmodelle wie «ChatGPT» erschaffen keine Brillanz, kennen keine Haltung und keine Moral. Alle Texte, die von einem Computer verfasst werden, bauen auf Dingen auf, die schon mal da waren und können auch gar nicht wirklich etwas Neues zu Tage fördern. Der Mensch als Autor kann nicht ersetzt werden, denn er kennt Gesetze und kann sich in Menschen einfühlen. Die menschliche Komponente ist die Würze, die dafür sorgt, dass der Journalismus eine Zukunft hat.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Fleissarbeiten wie Abfüllen von Texten in Zeitungen entfallen und erleichtern den Alltag. Richtig angefressene Geschichtensammler werden immer einen Platz finden, auch wenn sich die Formate verändern. Somit denke ich, wer die Leute mag und das Schreiben liebt, dem kann die Digitalisierung mit all den Streichungen nichts anhaben.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Da bin ich hin und her gerissen. Einerseits finde ich es wichtig, dass Medien von der öffentlichen Hand unterstützt werden, um aktiv gegen Newswüsten und Fakenews anzugehen. Andererseits ist der Verteilschlüssel immer ein wenig fragwürdig bei solchen Geschichten. Als Verleger finde ich, dass da auch ein Umdenken stattfinden darf und dass der Fokus wieder mehr auf die Geschichten statt auf die Zahlen gerichtet wird. Der Markt regelt jeweils schnell, ob ein Produkt wirklich funktioniert oder ob es vielleicht eher nicht für die breite Masse bestimmt gewesen wäre.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja. Ich habe kürzlich wieder angefangen, Tagebuch zu schreiben. In den Ferien schreibe ich auch immer noch Postkarten an meine Liebsten. Denn solche von Hand verfasste Schreiben können Erinnerungen schaffen und bleiben, während digitale Nachrichten oft schnell gelöscht und vergessen sind.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Donald Trump bringt einzig den Klatschmedien etwas. Jeder Journalist, der eine solch diffamierende Person zelebriert, sollte sich vielleicht Gedanken machen, ob er nicht besser den Beruf wechselt.

Wem glaubst Du?

Meinem Bauchgefühl, meiner Frau, meinen Kindern und meiner Kreativität.

Dein letztes Wort?

Danke vielmals für die tollen Fragen, die nicht gerade alltäglich sind.


Christian Imhof
Redaktionsleiter des «Prättigauer & Herrschäftler», Autor, Verleger und Musiker. Nach einer Lehre als Detailhandelsfachmann bildete er sich zum Radioredaktor an der RSS Medienschule weiter und arbeitete für zweieinhalb Jahre bei Radio Liechtenstein. 2019 gründete er das Online-Magazin «Qultur». Daneben arbeitete er als freischaffender Journalist für verschiedene Zeitungen, darunter das «Liechtensteiner Vaterland» und «DieOstschweiz». Seit April 2021 ist Imhof Redaktionsleiter des «Prättigauer und Herrschäftler». Als Musiker ist er unter dem Namen Chris Bluemoon unterwegs. Für seine Arbeit als Journalist, Verleger und Musiker wurde Christian Imhof im März 2023 mit dem Förderpreis des Kantons Graubünden ausgezeichnet. Er ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und lebt in Schiers. Sein neustes Buch heisst «Laut gedacht» und ist ein «Medienbegeisterungsbuch».
https://www.qultur.ch/


Basel, 02.04.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: zvg

Seit Ende 2018 sind über 300 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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3 Kommentare zu "Christian Imhof: «Die Leserinnen und Leser lassen sich glücklicherweise nicht für dumm verkaufen.»"

  1. Sehr gute Antworten. Auch bei der Frage nach der (staatl.) Medienförderung differenzierte Antwort.
    Bei der (sicherlich umstrittenen) Trump-Frage bin ich jedoch von Hr. Imhof enttäuscht ob seiner Antwort: „Jeder Journalist, der eine solch diffamierende Person zelebriert, sollte sich vielleicht Gedanken machen, ob er nicht besser den Beruf wechselt.“
    Hör ich da Meinungsdiktatur raus? Alle radikal mit einer Stimme? Gleichklang à la Pjöngjang? Und das soll (noch) Journalismus (in der CH) sein? Einheitstenor, ansonsten bitte Beruf wechseln?
    Es wird immer deftiger…
    Nein – leider kommt (überall) viel zu wenig die „andere Sicht“ ins Blatt, eine andere Beleuchtung zu Themen/zur Person…. Gerade heute vernehme ich, dass Trump auch eine Riesenchance für Europa, insbesondere für die Schweiz sein könnte, wenn man nur sähe und wolle….
    https://weltwoche.de/daily/unsere-medien-spinnen-gegen-trump-dabei-ist-er-eine-chance-fuer-die-schweiz-trittbrettfahrer-deutscher-professor-belehrt-die-schweiz-automarkt-die-chinesen-kommen-gut-so-fa/
    Auch für mich irritierend und auffällig: Immer muss die „Weltwoche“ für andere Ansichtsweisen, für mediales Gegensteuer herhalten. Das sagt viel über unseren Medienzustand. Doch das wäre eine andere Baustelle.
    Trotz Anraten von Hr. Imhof hoffe ich stark, dass einer der wenigen Anderdenkenden Journalisten nicht den Beruf wechselt: R. Köppel bleibt eine leuchtende Ausnahmeerscheinung…..

    1. Ach Herr Zweidler. Warum müssen Sie alles immer ideologisch prüfen? Ihr Held im Weissen Haus überzieht grad die ganze Welt mit hirnrissigen Zöllen, vertreibt Wissenschaftler aus den USA, entlässt Bundesbeamte zu Zehntausenden (auf Kosten von Seuchenschutz, Nationalparks und Sozialhilfe), schafft ohne Gerichtsurteil Menschen aus in Hochsicherheitsgefängnisse im Ausland und vor allem schiesst er ständig gegen alle Medien, die ihm grad nicht huldigen. Und das finden Sie super? Und a propos Weltwoche: Wenn jemand so konsequent immer gegenteiliger Meinung ist, dann ist er kein Genie, sondern wohl eher ein Geisterfahrer.

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