Charlotte Theile: «Da ist noch Luft nach oben.»

Publiziert am 17. Januar 2024 von Matthias Zehnder

Das 264. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit der Journalistin und Autorin Charlotte Theile. Sie sagt, früher seien die Arbeitsbedingungen für Journalist:innen bei grossen Medienhäusern besser gewesen, heute sei dafür die «Vielfalt der Medienformen» grösser und es habe mehr «innovative Start-ups, kritische Leser:innen, die Medien konsequent hinterfragen und besseres Storytelling.» Um die News-Abstinenz der jungen Menschen macht sie sich keine Sorgen: Ältere Kollegen hätten «ganz klare Vorstellungen, was relevant ist und was nicht». Sie glaube aber nicht, «dass solche Relevanzkriterien als absolut gesetzte Standards taugen – oder dass irgendjemand diese Deutungshoheit hat». Wenn sich eine Mehrheit der jungen Menschen dagegen entscheide, Nachrichten zu konsumieren, «dann ist aus meiner Sicht das Angebot das Problem – und nicht diejenigen, die es ausschlagen.» Das Problem seien die Businessmodelle: «Diese ausfindig zu machen, ist die Aufgabe von gut bezahlten Medienmanager:innen». In der Schweiz sei deren «Leistungsausweis überschaubar: Synergien, Paywalls, Entlassungen – und Klagen über junge Menschen, die keine Medien konsumieren, die auf Über-50-Jährige zugeschnitten sind. Da ist noch Luft nach oben.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

«The Daily», der Podcast von der «New York Times».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, YouTube, TikTok und BeReal?

Zu viel Instagram, Facebook und Twitter kaum. TikTok und BeReal gar nicht. YouTube nutze ich vor allem für Comedy, Yoga oder zur Information, im Schnitt etwa 15 Minuten am Tag. Da bin ich mit meinem Konsum eigentlich ganz zufrieden.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Mein Berufseinstieg ist 13 Jahre her – damals waren vor allem «Spiegel Online» und Twitter wichtig. Im Laufe der Jahre ist vor allem der Anteil von Audioformaten grösser geworden. Besonders gut erinnere ich mich an den Winter 2014, als ich meine Stelle als Korrespondentin der «Süddeutschen Zeitung» in der Schweiz angetreten habe. Jeder Tag startete mit SRF 4 News – so habe ich so gut wie nie etwas Wichtiges verpasst.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Was früher besser war: Arbeitsbedingungen für Journalist:innen bei grossen Medienhäusern, das Angebot an gedruckten Zeitungen.

Was heute besser ist: Vielfalt der Medienformen, Innovative Start-ups, kritische Leser:innen, die Medien konsequent hinterfragen, besseres Storytelling, Fokus auf Diversität.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Auf jeden Fall – wir lesen heute mehr denn je. Mir als Autorin ist es egal, ob meine Texte in einer gedruckten Zeitung oder auf dem Smartphone konsumiert werden. Übrigens: Auch die Worte, die in einer Audioserie wie «Die Akte Urwyler», einer fünfteiligen Serie über die Ärztin Natalie Urwyler, die wir gemeinsam mit Ringier produziert haben, zu hören sind, stammen aus einem sehr genau formulierten Skript.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Bücher, die Hoffnung geben, gut erzählt sind und Spass machen. Zum Beispiel:
Hoffnung: «Im Grunde gut» von Rutger Bregman
Gut erzählt: «A Manual for Cleaning Women» von Lucia Berlin
Spass: «Liebes Arschloch» von Virginie Despentes

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich kann sie sehr gut weglegen – mit einem kleinen Kind ist meine Zeit im Moment so knapp bemessen, dass ich mich nicht mit schlechten Büchern aufhalten will.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In der Buchhandlung um die Ecke, in Newslettern – aber vor allem in zufälligen Gesprächen mit Menschen. Und natürlich: in den Themenkonferenzen von Elephant Stories.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Noch sehr lange. So wie es immer noch Schallplatten oder Oldtimer gibt. Natürlich gibt es effizientere und günstigere Wege, Musik zu hören oder von A nach B zu kommen. Eine Zeitung oder ein Magazin sind für mich heute schon Liebhaber:innen Produkte, die ich mir gönne, weil ich das will.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Ich kann Fake News nichts Positives abgewinnen. Nicht mal das Offensichtliche, dass ein paar Menschen merken, welchen Wert echte News haben. Ich würde sie aber auch nicht als Symptom des Untergangs sehen – das würde ja heissen, dass sie etwas Neues sind. Aber Fake News gab es schon immer. Vielleicht kann man hier sogar eine Parallele zu diesem sehr wahren Will-Smith-Zitat ziehen: «Racism isn’t getting worse. It’s getting filmed.»

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ganz selten schaue ich mal ein Fussballspiel oder höre Autoradio.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Sehr viele. Am Morgen «The Daily», zum Einschlafen «SWR2 Wissen». Dazu gut gemachte Audio-Serien wie «Wirecard» (Süddeutsche Zeitung) und dazwischen auch mal Alltagstaugliches – bei mir sind das im Moment vor allem Eltern- und Beziehungspodcasts.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Vor ein paar Wochen habe ich mit einem älteren Kollegen auf einer Konferenz über Relevanz diskutiert. Er hatte ganz klare Vorstellungen, was relevant ist und was nicht. Ich glaube aber nicht, dass solche Relevanzkriterien als absolut gesetzte Standards taugen – oder dass irgendjemand diese Deutungshoheit hat und junge Menschen in «depriviert» und «nicht-depriviert» einteilen kann. Wenn sich eine Mehrheit dieser Altersgruppe dagegen entscheidet, die Nachrichten zu konsumieren, die ihnen angeboten werden, dann ist aus meiner Sicht das Angebot das Problem – und nicht diejenigen, die es ausschlagen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Eine bestimmte Form des Berichterstattens lässt sich automatisieren. Aber ich bin überzeugt, dass es immer einen Menschen brauchen wird, der am Schluss gegenliest. Journalismus, für den es Empathie, Dramaturgie, tiefgreifende Recherche oder Witz braucht, wird sich dagegen nie automatisieren lassen. Und deshalb bin ich auch nicht wahnsinnig pessimistisch: denn am Schluss ist es dieser Journalismus, der mir und vielen anderen in diesem Beruf am meisten Spass macht. Und für den die Konsument:innen auch am ehesten bereit sind, Geld auszugeben.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Sie führt auf jeden Fall dazu, dass wir neue Geschäftsmodelle brauchen. Es reicht heute nicht mehr aus, einige Seiten mit Uhren und Autos zu bedrucken und über das zu berichten, was die Kollegen auf der Redaktion interessant finden. Ich bin überzeugt, dass es trotzdem Modelle gibt, wie sich mit gutem Journalismus Geld verdienen lässt. Diese ausfindig zu machen, ist die Aufgabe von gut bezahlten Medienmanager:innen. In der Schweiz ist ihr Leistungsausweis überschaubar: Synergien, Paywalls, Entlassungen – und Klagen über junge Menschen, die keine Medien konsumieren, die auf Über-50-Jährige zugeschnitten sind. Da ist noch Luft nach oben. Es gibt aber auch viele spannende Entwicklungen, die mir (und meinen Kolleg:innen bei Elephant Stories) Mut machen – etwa eine Diversifizierung der Medienlandschaft, in der plötzlich auch Streamingdienste, digitale Startups und internationale Player mitmischen.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ich bin kein Fan von Medienförderung – einfach, weil ich überzeugt bin, dass das, was wir anbieten, auf dem freien Markt bestehen sollte. In einem Land, das so klein ist wie die Schweiz und dazu noch eine so grosse sprachliche Vielfalt hat, bin ich allerdings nicht sicher, ob sich diese Position halten lässt. Insofern würde ich sagen: Wer eine viersprachige, politisch und regional vielfältige Medienlandschaft will, kommt in der Schweiz vermutlich nicht um eine gezielte Förderung herum. Wichtig wäre mir nur, dass die Subventionen auch wirklich bei den Playern ankommen, die man fördern will.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ich schreibe Postkarten, Weihnachtskarten und Geburtstagskarten. Ausserdem schreibe ich hin und wieder mit, wenn ich telefoniere. Früher habe ich auch Tagebuch geschrieben – inzwischen komme ich nur noch ein oder zweimal im Jahr dazu. Meistens auf Reisen.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

So wenig wie es die Medien gibt, gibt es eine eindeutige Antwort auf diese Frage. Einige amerikanische Medienhäuser haben sicher von ihm profitiert. Für uns Europäer:innen bleibt vor allem die Frage, wie wir mit Personen umgehen wollen, die uns und die Öffentlichkeit benutzen, um Lügen zu verbreiten oder zu Gewalt aufzurufen.

Wem glaubst Du?

Denen, die Fehler eingestehen können.

Dein letztes Wort?

Wir haben es in der Hand, wie wir arbeiten wollen.


Charlotte Theile
Charlotte Theile (36) berichtet als freie Autorin für den «Spiegel», die «Annabelle» und andere. Von 2014 bis 2018 war sie Schweiz-Korrespondentin der «Süddeutschen Zeitung». 2021 gründete sie die Storytelling-Agentur Elephant Stories, die vor allem Podcasts und Videoformate produziert. Bis 2022 war sie Chefredaktorin des Branchenmagazins «Schweizer Journalist:in». Seit November 2019 moderiert sie den Podcast «Breakup», in dem Menschen von ihren Trennungen erzählen.
https://elephantstories.ch/


Basel, 17. Januar 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: Stefanie Korherr

Seit Ende 2018 sind über 260 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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2 Kommentare zu "Charlotte Theile: «Da ist noch Luft nach oben.»"

  1. Fr. Ch. Theile scheint Antworten zu geben, die divers und erfrischend sind. Hier bei M.Z. geht es „frei“ zu und her. Niemandem verpflichtend, kein Grosskonzern im Nacken. Kommt es nicht auf das Umfeld an, in dem man Antworten gibt? Und bei Journalisten/innen: Kommt es nicht an, WO man WAS schreibt. Und ist DANN (dort) das Geschriebene immer noch so frei und frank wie hier. Wobei Frank (A.Meyer) bei seinem Grosskonzern auch wiederum nicht frei ist.
    Kann man in einem „BwieBasel“ die unübersehbaren Missstände der Stadt aufzeigen? Kann man bei der SRG über den vorzeitigen Rücktritt von G. Marchand kritisch und hinterfragend berichten? Kann man in einer bürgerlichen NZZ den Gewerkschaftsboss Maillard über den grünen Klee loben? Getraut man sich? Oder bringt man mit seinen Zeilen sich selbst, Frau und Kinder in Arbeitslosigkeit und Armut? Dies das eine.
    Dann das andere. Man kennt bald seinen Chef und dessen Vorlieben. Politisch, Sozial, Gesellschaftlich. Wagt man es, Gegenpositionen einzunehmen? Wird man dann Versetzt oder kommt man weiter hoch. Es menschelt überall. Auch in Redaktionen (z.B. Finn Cannonica)…
    Fragen über Fragen, welche ich in den (Mainstream-) Medien immer mehr bemerke.
    Schön gibt es Plattformen, meist im Internet (der neuen Technik sei dank), welche ohne grosses Budget und Riesenkonzerne im Nacken offen, frei und unabhängig berichten und informieren (können). So wie hier!

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