Bettina Büsser: «Für die journalistische Basisarbeit hat die Digitalisierung viel gebracht»

Publiziert am 29. April 2020 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit der Medienjournalistin Bettina Büsser über ihren persönlichen Mediengebrauch, ihren Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Sie sagt, im Bereich Recherche seien «im Schweizer Journalismus heute viele sehr gute Leute unterwegs, wahrscheinlich mehr als früher, als im Journalismus mehr abgebildet und rapportiert wurde.» Eine grosse Gefahr sieht sie in Fake News, «weil sie das Misstrauen in alles, was wie eine Information daherkommt, vergrössern.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Obwohl ich vorher jeweils bereits online die News gecheckt habe: Zum Zmorge-Grüntee gehört der Print-«Tagi». Immer noch.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Bei Twitter und Facebook bin ich dabei, bei Instagram nicht. Facebook finde ich mittel, zu viel Allerlei. Twitter ist wichtig, gerade für Journalistinnen und Journalisten. Auch wenn ich mich dort über manche Poser nerve, kriege ich viel mit, was ich sonst vielleicht verpassen würde. Darunter auch Posts von VerschwörungstheoretikerInnen, die mich leicht schaudernd lassen, aber so sehe ich, dass es sie und ihre «Realitätsversionen» gibt. Instagram lasse ich aus, da ich weder der Bild- noch der Filmli-Typ bin.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich konsumiere mehr News und übe mittlerweile, das weniger zu tun, um meines seelischen Gleichgewichts willen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Im wirtschaftlichen Bereich war es viel besser. Ich habe die «goldenen Zeiten» als Volontärin beim «Tages-Anzeiger» erlebt, als der Stellenanzeiger dick war, der «Tagi» viele AuslandkorrespondentInnen hatte, kurz, als es noch viel Werbegelder gab und die Redaktionen davon profitieren konnten. Die wirtschaftliche Lage der Medien ist heute schlechter, das hat entsprechende Auswirkungen auf die Arbeit der Medienschaffenden (Stellenabbau, Unsicherheit, weniger Leute, mehr Stress, auch weil mehr Felder multimedial zu bespielen sind). Bei den Medien gibt es neue Phänomene wie Native Advertising, die gezielt Journalismus vortäuschen. Es ist zwar nachvollziehbar, dass die Medien nach jedem Strohhalm greifen, aber so sinkt ihre Glaubwürdigkeit beim Publikum weiter.

Was heute besser ist: Für die journalistische Basisarbeit hat die Digitalisierung viel gebracht. Im Netz findet man schnell Dinge (Kontakte, Telefonnummern, Grundlagen, bereits Publiziertes zu einem Thema), nach denen man früher länger suchen musste (zum Beispiel im «Publicus» oder im «Ragionenbuch»). Der Austausch ist einfacher geworden, auch der Dialog mit den KonsumentInnen. Datenjournalismus kann heute extrem viel mehr, und im Bereich Recherche sind im Schweizer Journalismus heute viele sehr gute Leute unterwegs, wahrscheinlich mehr als früher, als im Journalismus mehr abgebildet und rapportiert wurde.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja, natürlich.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Das, was man mag oder wichtig findet. Ich habe keinen «Kanon». Im Moment lese ich «Ich werde die Welt nie wiedersehen» von Ahmet Altan und bin tief beeindruckt.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Bis ich ein Buch weglege, muss es – für meinen Geschmack – sprachlich oder inhaltlich ziemlich ärgerlich sein. Es kommt aber durchaus vor.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In Gesprächen, am WG-Tisch und beim Herumstöbern in Print und Online.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Hoffentlich so lange, dass ich dann im Altersheim noch eine davon lesen kann.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Sie sind in erster Linie eine Gefahr, weil sie das Misstrauen in alles, was wie eine Information daherkommt, vergrössern. Dass Fake News professionell fabriziert und gestreut werden, zeigt, dass sie durchaus wirken können. Medien können sich – theoretisch – davon abheben und vertrauenswürdige Informationen verbreiten. Aber wie überzeugt man als Medium misstrauische Leute davon, dass man glaubwürdig ist? Der Umgang mit der heutigen Medienvielfalt, die eben auch Fake News enthält, muss gelernt und trainiert werden.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Lineares Fernsehen: sehr selten. Lineares Radio: Oft läuft bei mir im Hintergrund SRF1 oder SRF3.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Eher selten. Fasziniert angehört habe ich mir die Podcasts «Sihlquai» und «Ursula Koch» der «NZZ am Sonntag». Doch ich habe ein Problem, wenn ich ausschliesslich zuhöre: Die Hände sind unbeschäftigt, da ich weder glätte noch stricke noch bastle. Das macht mich unruhig.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Gute und breite Information ist eine Grundlage für demokratische Entscheide. Deshalb ist diese Entwicklung nicht erfreulich. Es ist für die Medien (natürlich auch im eigenen Interesse) wichtig, sich mehr um einen Zugang zu jüngeren potentiellen KonsumentInnen zu bemühen. Dies auch, indem sie die Gesamtgesellschaft besser abbilden (Alter, Herkunft, Geschlecht etc.).

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Die Auswertung von Daten und Resultaten lässt sich automatisieren und dann in eine (vorgegebene) lesbare Kurzform giessen, gerade bei Abstimmungen und Sportanlässen. Dort werden ja heute schon Roboter («Lena» bei Keystone-SDA und «Tobi» bei Tamedia) eingesetzt. Solche Texte waren und sind Teil des Journalismus, aber ein kleiner. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man gute Erklärstücke und Reportagen automatisch generieren kann.

Dass Herr Supino aus wirtschaftlichen Gründen mehr Roboter-Journalismus begrüssen würde, überrascht nicht. Die Frage ist, wie es um die Zahlungsbereitschaft der KundInnen stehen würde, wenn sie in grösserem Ausmass mit solchen Artikeln bedient würden.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Dass Verlage online auf Gratiscontent gesetzt haben, ist rückblickend ein schlimmer Fehler, denn das Publikum hat sich daran gewöhnt. Aber Journalismus ist eben Arbeit, und Arbeit kostet. Deswegen und wegen der Abwanderung der Werbung zu den Online-Riesen funktionieren die Geschäftsmodelle nicht mehr oder nur noch bedingt. Ob das den Tod bedeutet? Ich hoffe nicht. Die Diskussion um Medienförderung ist in vollem Gang…

Dass die Digitalisierung den Journalismus «befreit» hat, sehe ich nicht. Dort, wo der Journalismus bereits frei war, hat er sich eigentlich nicht grundlegend verändert. Dort hingegen, wo freie Medien und Informationen unterdrückt und zensiert wurden und werden, hat das Web etwas mehr Spielraum geschaffen. Allerdings sind die entsprechenden Regimes und Organisationen fleissig dabei, diese «Lücken» zu stopfen.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ja. Das Bedürfnis nach Informationen aus zumindest einschätzbaren Quellen, sprich traditionellen Medien und entsprechend professionellem Journalismus, zeigt sich gerade jetzt in der Corona-Krise.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, Notizen mache ich mir oft von Hand. Und schreibe manchmal sogar Briefe, aber selten – und nur an Leute, die mir auch Briefe schreiben.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er liefert Schlagzeilen und Aufmerksamkeit. Das ist gut für die Medien. Aber dadurch, dass er Medien und Medienschaffende dauernd diskreditiert, wird deren Glaubwürdigkeit weiter untergraben. Und: Der Ton, mit dem er einzelne Medienschaffende angeht, dürfte für Leute, welche Journalistinnen und Journalisten bei Missfallen auch tätlich angreifen, eine Rechtfertigung sein.

Wem glaubst Du?

Schwer zu sagen. Leuten, die ich kenne, glaube ich eher. Glaube ich.

Dein letztes Wort?

Bleibt gesund!


Bettina Büsser
Bettina Büsser (*1959) hat erste journalistische Erfahrungen als Redaktorin bei der Zürcher StudentIn gemacht und dann ein Volontariat beim «Tages-Anzeiger» und gleichzeitig die Ausbildung am MAZ absolviert. Seither freie Journalistin, im Verlauf der Zeit für verschiedene (Print-)Medien und ein bisschen fürs Radio. Heute arbeitet sie im Büro Presseladen in Zürich und hat eine Teilzeitanstellung als Redaktorin bei «Edito» und eine als Koordinatorin Deutschschweiz bei Reporter ohne Grenzen Schweiz. Daneben arbeitet sie weiterhin frei.


Basel, 29. April 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Bild: Reto Schlatter

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