Beat Soltermann: «Der technische Wandel ist fundamental und faszinierend zugleich.»

Publiziert am 10. Januar 2024 von Matthias Zehnder

Das 263. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Beat Soltermann, dem neuen Chefredaktor Audio/Digital in Co-Leitung bei SRF. Er sagt, bei der «Basler Zeitung» habe es Mitte der 1990er-Jahre «noch keinen Internet-Zugang, dafür ein Papier-Archiv in gefühlt Hunderten von Bundesordnern. Beim Radio arbeitete ich am Anfang noch mit Bandmaschinen, heute lassen sich ganze Radiobeiträge mit Hilfe eines Mobiltelefons herstellen.» Die Digitalisierung und die Globalisierung habe «unsere Arbeit beschleunigt und, da alle Medien ihre Inhalte heute über eine Vielzahl von Ausspielkanälen verbreiten, auch komplexer gemacht.» Der digitale Transformationsprozess sei «in der Medienbranche zwar bereits weiter fortgeschritten als in anderen Sektoren, aber mit KI kommt nochmals eine gröbere Veränderung auf unseren Berufsstand zu.» Was den Einsatz von KI betrifft, ist ihm Zurückhaltung und Transparenz wichtig. «Für wirklich guten und vor allem anspruchsvollen Journalismus wird es zum Glück noch sehr lange Menschen brauchen.» Auch Menschen, die schreiben. Aber das gesprochene Wort werde im Alltag an Bedeutung gewinnen. Für ihn selbst sei es «jedes Mal ein besonderes Vergnügen, am Samstag auf dem Sofa in aller Ruhe zuerst die NZZ und dann die ‹FT Weekend› in Papierform zu lesen.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

«Heute Morgen» von Radio SRF, die SRF News-App, weitere Apps und Webseiten aus der Medienwelt sowie eine ganze Reihe von Newslettern per E-Mail.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, YouTube, TikTok und BeReal?

Ich bin regelmässig auf LinkedIn, Instagram, YouTube und Spotify unterwegs, ab und zu kurve ich auf Facebook, TikTok und auf X vorbei. Von der Zukunftsfähigkeit der diversen X-Nachfolge-Angeboten bin ich noch nicht überzeugt.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Meine persönliche Mediennutzung ist heute fast nur noch digital. Auch mein beruflicher Medienalltag sieht anders aus als beim Berufseinstieg. Nur zwei Beispiele: Bei der «Basler Zeitung» Mitte der 1990er-Jahre gab es noch keinen Internet-Zugang, dafür ein Papier-Archiv in gefühlt Hunderten von Bundesordnern. Beim Radio arbeitete ich am Anfang noch mit Bandmaschinen, heute lassen sich ganze Radiobeiträge mit Hilfe eines Mobiltelefons herstellen. Der technische Wandel ist fundamental und faszinierend zugleich.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder noch. Aber die Digitalisierung und die Globalisierung haben unsere Arbeit beschleunigt und, da alle Medien ihre Inhalte heute über eine Vielzahl von Ausspielkanälen verbreiten, auch komplexer gemacht.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Natürlich haben sie eine Zukunft, aber das gesprochene Wort wird im Alltag zugleich an Bedeutung gewinnen. Schon heute können wir viele Dinge via Voice steuern.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Gute Bücher und Texte, die nicht unbedingt aus der eigenen Echo-Kammer stammen. Beides zur Inspiration und zur Horizonterweiterung.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich kann sie schlecht weglegen, aber ich wähle dafür umso sorgfältiger aus und lese zur Not auch mal quer.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Gespräch im Freundeskreis, in den Medien und durch Zufall.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Solange es Menschen gibt, die eine papierene Tageszeitung in den Händen halten wollen und bereit sind, dafür zu bezahlen. Es ist für mich jedes Mal ein besonderes Vergnügen, am Samstag auf dem Sofa in aller Ruhe zuerst die NZZ und dann die «FT Weekend» in Papierform zu lesen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Der Begriff «Fake News» ist an sich bereits ein Fake. Was nicht unter News subsumiert werden kann, ist schlicht keine News. Mit «Fake News» soll der Newsbegriff aufgeweicht und degradiert werden, damit am Ende alles wahr und falsch sein kann. Damit dies nicht zu einer Gefahr für die Medien (und die Gesellschaft) wird, müssen wir noch besser aufzeigen, nach welchen Kriterien die Journalistinnen und Journalisten arbeiten, welche Rolle ihre Arbeit für den öffentlichen Diskurs spielt und was der Unterschied ist zwischen Meinungen und Fakten.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Lineares Radio höre ich vor allem im Auto, sonst sicher weniger als früher. Viel häufiger nutze ich das non-lineare Audio-Angebot – da kann ich hören, wann und wo ich möchte. Live-Fernsehen schaue ich bei Breaking News und wenn ein wichtiges Fussballspiel ansteht.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Beruflich höre ich jede Woche in ein paar neue Podcasts rein. Ich möchte wissen, was es ausserhalb des SRF-Universums gibt. Daneben höre ich regelmässig «Echo der Zeit» und «News Plus Hintergründe».  Mein aktueller Lieblingspodcast heisst «Hacks on Tap» – die beiden US-Politikberater David Axelrod (Demokrat, Obama-Berater) und Mike Murphy (Republikaner, Berater von John McCain, Jeb Bush) sezieren mit einem Gast minutiös die aktuelle US-Politwoche.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Dass wir uns noch mehr anstrengen müssen, diese Zielgruppe besser zu erreichen. Ich erlebe jüngere Menschen nicht weniger interessiert an News als ältere Semester, aber sie suchen sich ihre Infos anders und sie wollen anders informiert werden. Deshalb müssen wir sie noch besser in ihrer eigenen Lebenswelt abholen – ohne Anbiederung. Eine zentrale Rolle spielen neben uns Medienschaffenden auch die Schulen mit der Medienkunde und die gelebte Mediennutzung im Elternhaus.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Einige Medien lassen schon heute einfache Artikel von Computern schreiben. Und mit KI kommt noch viel mehr auf uns zu – ich denke nicht nur an Texte, sondern vor allem auch an Stimmen und an Fotos und Videos. Wichtig scheint mir, dass stets klar ausgeschildert ist, wenn ein Roboter die Finger im Spiel hat – es geht da um die Glaubwürdigkeit. Und ebenfalls wichtig ist, dass der Roboter möglichst zurückhaltend zum Einsatz kommt. Bei SRF regeln die publizistischen Leitlinien solche Fragen. Für wirklich guten und vor allem anspruchsvollen Journalismus – etwa eine «International»-Sendung oder eine TV-Reportage – wird es zum Glück noch sehr lange Menschen brauchen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Digitalisierung führt zu einer Veränderung des Journalismus, die radikaler ist als alle anderen Entwicklungen davor. Denn alles ist tangiert: Inhalt, Herstellung, Distribution, Geschäftsmodell. Der digitale Transformationsprozess ist in der Medienbranche zwar bereits weiter fortgeschritten als in anderen Sektoren, aber mit KI kommt nochmals eine gröbere Veränderung auf unseren Berufsstand zu.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Unsere direkte Demokratie braucht Schweizer Medien, die lokal verankert sind und faktenbasiert arbeiten. Nur so können wir an der Urne die richtigen Entscheide für die Zukunft fällen. Wenn wie heute zwei Drittel der Werbeeinnahmen zu den grossen Tech-Firmen fliessen und andere Einnahmequellen diese Verluste nicht kompensieren, braucht es für den Schweizer Qualitätsjournalismus eine Medienförderung. Zumal der Kleinstaat Schweiz mit seinen vier Sprachen noch viel kleinräumiger ist als andere Länder – was die Kosten für den Journalismus erhöht.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Notizen, Einkaufszettel, Dankeskarten. Schreiben ist nicht das Problem, sondern eher das Lesen. Schon in der Primarschule hatte ich die schlechteste Note im Fach «Schreiben».

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Ich habe damals als USA-Korrespondent über Donald Trumps Wahlkampf und die ersten Monate seiner Präsidentschaft berichtet und die Folgen in der Medienwelt direkt erlebt. Plötzlich drehte sich alles um Trump und dessen Grenzüberschreitungen – dies zulasten anderer wichtiger Themen. Später folgte eine Gewöhnung und Abstumpfung – was bei früheren Präsidenten ein Riesenskandal gewesen wäre, gehörte bei Trump zum Alltag. Das Publikum vor allem ausserhalb der USA hatte irgendwann auch genug von den Trump-Berichten – selbst dann, wenn es um fundamentale Fragen wie das Wahlsystem oder den Rechtsstaat ging. Umso wichtiger ist, dass wir uns alle die Frage stellen, wie eine adäquate Berichterstattung über den US-Wahlkampf 2024 mit einem allfälligen Präsidentschaftskandidaten Trump aussehen soll. Denn man muss festhalten, dass vor allem die US-Medien (von Fox News über CNN bis zur Washington Post), aber nicht nur diese, vom Phänomen Trump sehr stark profitiert haben und noch immer profitieren: höhere Einschaltquoten, mehr Klicks, mehr Umsatz, mehr Aufmerksamkeit.

Wem glaubst Du?

Dem aktuellen Stand der Wissenschaft.

Dein letztes Wort?

Die Schweiz braucht starke private und öffentliche Medien. Es ist ein Irrglaube, dass die Schwächung der SRG zu einer Stärkung der privaten Medien in der Schweiz führt. In unserer globalen, digitalen Medienwelt würden von einer solchen Entwicklung primär Youtube, Spotify und weitere Tech-Firmen aus dem Ausland profitieren.


Beat Soltermann
Beat Soltermann (51) ist seit dem 1. Januar 2024 Chefredaktor Audio/Digital in Co-Leitung bei SRF. Davor arbeitete er bei SRF als Journalist unter anderem Wirtschaftsredaktor, USA-Korrespondent, Moderator von «Echo der Zeit» und in Führungspositionen als Redaktionsleiter von «Echo der Zeit», Leiter «Digitales Audio und Radio Online» und zuletzt für die Strategie im Bereich Digitales Audio zuständig. Der promovierte Jurist hat ein «Digital Excellence Diploma»  vom International Institute for Management Development (IMD).
https://www.srf.ch/news


Basel, 10. Januar 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 260 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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