Beat Rudin: «In der demokratischen Gesellschaft ist Transparenz wichtig»

Publiziert am 7. Februar 2024 von Matthias Zehnder

Das 267. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Beat Rudin, Datenschutzbeauftragter des Kantons Basel-Stadt. Er sagt, seit seinem Berufseinstieg habe sich sein medialer Alltag «stark – und doch nicht» verändert. Als junger Assistent an der Universität Basel habe er jeden Tag drei dicke Tageszeitungen durchgesehen. «Ich bin auch heute noch ein ‹Zeitungs- und Radiomensch›, nur sind die drei Tageszeitungen, die ich täglich durchsehe, heute auf meinem iPad.» Bei Podcasts habe er «noch Luft nach oben». Mühe habe er, wenn «zwei Journalist:innen ein wenig relevantes Thema ohne inhaltliche Tiefe miteinander ‹diskutieren›, nur weil eben täglich um 17 Uhr ein Podcast erscheinen muss.» Rudin sieht in Fake News eine Chance für die Medien, die aber mit Aufwand verbunden sei: «Eine falsche Information zu verbreiten ist viel einfacher, als sie einzuordnen, zu berichtigen. Das Hinterfragen und Einordnen lebt von der Glaubwürdigkeit des Mediums – und schafft, gut gemacht, Glaubwürdigkeit.» Als Datenschutzbeauftragter ist Rudin im Kanton Basel-Stadt auch für das Öffentlichkeitsprinzip zuständig. Sorgen macht ihm, dass Exekutiven im Bund und in den Kantonen vermehrt versuchen, bestimmte Informationen aus dem Geltungsbereich des Öffentlichkeitsprinzips auszunehmen. «Denn in der demokratischen Gesellschaft und im Rechtsstaat ist Transparenz wichtig. Darum sollten wir eine Einschränkung des Öffentlichkeitsprinzips nicht vorschnell akzeptieren.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Schwierige Frage: Ich frühstücke nur am Wochenende. Da sind es die «NZZ am Sonntag» und die «SonntagsZeitung», jeweils als ePaper. Unter der Woche beim Aufstehen Radionachrichten (SRF), vor dem Büro zwei, drei Briefings («Republik», NZZ und «bajour») und ein erster Blick in zwei regionale Tageszeitungen (ebenfalls als ePaper).

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, YouTube, TikTok und BeReal?

Ich bin einzig auf LinkedIn unterwegs – und gelegentlich in der Freizeit zur Unterhaltung auf YouTube.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Stark – und doch nicht. Im Käffeli des Insti lagen (in meiner Erinnerung) sechs bis sieben, zum Teil echt dicke Tageszeitungen auf. Als Assistent habe ich täglich etwa drei durchgesehen. Ich bin auch heute noch ein «Zeitungs- und Radiomensch», nur sind die drei Tageszeitungen, die ich täglich durchsehe, heute auf meinem iPad. Wann immer es geht: «Rendez-vous am Mittag» und «Echo der Zeit», wenn auch öfters zeitversetzt.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Ich habe das Gefühl, dass es neben den «Schlagzeilen-Medien» immer noch Medien mit gut recherchierten Hintergrundbeiträgen gibt. Die Vielfalt hat aber sicher abgenommen.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja, hoffentlich.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Ein gutes Buch, eines, das unterhält, zum Nachdenken anregt oder einen zum Schmunzeln bringt.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Der Stapel an angelesenen Büchern bei mir zu Hause zeigt: Ich kann. In den meisten Fällen, in denen ich mich trotzdem durchgekämpft hatte, hat es sich letztlich doch nicht gelohnt. Darum lese ich heute lieber nur, was mich bald packt – das sind immer noch genügend Bücher …

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In Gesprächen mit Freund:innen, mit Kolleg:innen, mit meinen Kindern, in Tageszeitungen und Radiosendungen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

«… besonders wenn sie die Zukunft betreffen». Ich lese schon heute kaum noch auf Papier gedruckte Tageszeitungen, sondern die ePaper-Versionen, also immerhin abonniert und im Layout der gedruckten Ausgabe.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Gefahr für die Gesellschaft, eine Chance für die Medien. Aber mit Aufwand verbunden: Eine falsche Information zu verbreiten ist viel einfacher, als sie einzuordnen, zu berichtigen. Das Hinterfragen und Einordnen lebt von der Glaubwürdigkeit des Mediums – und schafft, gut gemacht, Glaubwürdigkeit.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Live-Radio höre ich beim Aufstehen, auf dem Weg ins Büro, oft über Mittag («Rendez-vous am Mittag»), häufig auf dem Heimweg – teilweise aber auch zeitversetzt (zum Beispiel das «Echo der Zeit»). Fernsehen schaue ich kaum.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Bei Podcasts habe ich noch Luft nach oben. Am ehesten höre ich Hintergrundbeiträge von SRF («Kontext»), NZZ oder gewissen deutschen Medien. Mühe habe ich bei Podcasts (von Tageszeitungen), wo zwei Journalist:innen ein wenig relevantes Thema ohne inhaltliche Tiefe miteinander «diskutieren», nur weil eben täglich um 17 Uhr ein Podcast erscheinen muss. Am Freitag auf dem Heimweg gibt es regelmässig, wenn ich ihn nicht lese, deinen «Wochenkommentar» als Podcast.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Das sieht schlecht aus für eine demokratische Gesellschaft, die davon lebt, dass sich informierte Menschen verantwortlich engagieren. Nur: Sollen wir einfach darüber lamentieren? Was lässt sich dagegen tun? Ich bin überzeugt, dass die Versorgung mit Informationen nicht einfach dem Markt überlassen werden kann, sondern ein Teil des Service public sein muss. Dabei ist es auch unsere Aufgabe, darauf hinzuarbeiten, dass auch die Jüngeren wieder erreicht werden. Das kann aber nicht allein der Schule aufgebürdet werden.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Für die «Schlagzeilen-Medien», wohl ja. Aber die vertiefende Auseinandersetzung mit wichtigen Themen, die kompetente Einordnung, die braucht meiner Meinung nach Menschen – Menschen mit Haltung.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Ich glaube nicht, dass «die Digitalisierung» den Unterschied macht. Entscheidend ist, was wir – die Medien und die Medienkonsument:innen – damit machen.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja. Wenn ich aber die Gräben in dieser Diskussion sehe, wird es schwierig werden, eine taugliche Lösung zu finden, die einerseits die für die Demokratie wichtige Versorgung mit Informationen als Service public sicherstellt und andererseits privaten Anbietern Raum lässt.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, Notizen und Karten – zu Neujahr, zu Geburtstagen und (leider immer mehr) Kondolenzkarten.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Das kann ich so nicht beurteilen. Siehe aber oben zu «Fake News».

Wem glaubst Du?

Eher den «Fragezeichen» als den «Ausrufezeichen» – so hat eine Arbeitskollegin von mir die Menschen eingeteilt. Wer das Wissen und die Wahrheit für sich gepachtet hat, ist für mich nicht glaubwürdig – und ohnehin meistens auch mühsam.

Dein letztes Wort?

Als Datenschutzbeauftragter, der im Kanton Basel-Stadt auch für das Öffentlichkeitsprinzip zuständig ist: Staatliche Informationen sind auch für die Medien interessant. Mit dem Öffentlichkeitsprinzip hat der Gesetzgeber das Recht auf Zugang dazu geschaffen. Staatliches Handeln soll durch diesen Zugang zu Informationen nachvollziehbar und kontrollierbar sein. Das können Medienschaffende nutzen. Doch vermehrt versuchen die Exekutiven in Bund und Kantonen, bestimmte Informationen aus dem Geltungsbereich des Öffentlichkeitsprinzips auszunehmen. Das macht mir Sorgen. Denn in der demokratischen Gesellschaft und im Rechtsstaat ist Transparenz wichtig. Darum sollten wir eine Einschränkung des Öffentlichkeitsprinzips nicht vorschnell akzeptieren. Vielleicht hilft es, diesen Versuchen entgegenzuwirken, wenn die Berichterstattung, die aufgrund der herausgegebenen Informationen erfolgt, fair und nicht um der Klicks willen reisserisch ist.


Beat Rudin
Beat Rudin (* 1956) ist promovierter Jurist und Advokat, seit über dreissig Jahren im Datenschutz tätig, seit 2009 als Datenschutzbeauftragter des Kantons Basel-Stadt. Von 2003 bis 2023 war er Lehrbeauftragter für Datenschutz- und Informationsrecht an der Universität Basel, seit 2014 als Titularprofessor. Er war Mitherausgeber von «digma», einer Zeitschrift für Datenrecht, ist Autor von zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen und Publikationen und Co-Veranstalter des Symposium on Privacy and Security.
https://www.dsb.bs.ch/


Basel, 7. Februar 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 260 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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Ein Kommentar zu "Beat Rudin: «In der demokratischen Gesellschaft ist Transparenz wichtig»"

  1. Stichwort Öffentlichkeitsprinzip: Immer wieder bin ich als überzeugter Demokrat brüskiert und erstaunt, welchen Aufwand und auch welche Tricks es mitunter braucht, um substanzielle Informationen zu Fragen zu bekommen, wo Herrschende sich nicht in die Karten schauen lassen wollen. Datenschutz erlebe ich in einem solchen Zusammenhang als Schutz der Mächtigen vor der Demokratie. Und die Rede von der Transparenz als Geschwurbel.

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