Barbara Saladin: «Zu Beginn der Krise schnellte mein Medienkonsum in die Höhe»

Publiziert am 16. September 2020 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – im Sommer mit Schweizer AutorInnen. Heute: die Baselbieter Autorin Barbara Saladin. Als Krimiautorin sind für sie unfreiwillig mitgehörte Gespräche anderer Leute im öffentlichen Verkehr eine «unerschöpfliche Quelle von Einblicken in abstruse Welten, die man sich selbst niemals ausdenken könnte». Barbara Saladin bezeichnet die Konzentration auf wenige grosse Medienhäuser in der Schweiz als «bedenklich» und stört sich vor allem daran, «dass es für freie JournalistInnen heute nahezu unmöglich ist, allein mit Journalismus zu überleben.» Sie fürchtet, dass fundierter Journalismus verschwinden wird: «Schon heute gibt es leider viel zu viele Menschen, die PR oder aber Leserreporter-Sensationsgeilheit mit Journalismus verwechseln. Und das finde ich beunruhigend.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Zum Frühstück konsumiere ich bewusst keine Medien, sondern Kakao und Konfischnitten. Das gemeinsame Reden und Frühstücken mit meinem Partner (wenn immer möglich) ist mir wichtig, um für den Tag gestärkt zu sein. Danach höre ich Radio und/oder verschaffe mir im Internet einen Überblick über die News des Tages.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Von den sozialen Medien bin ich einzig auf Facebook aktiv. Ich nutze es in erster Linie, um mit AutorenkollegInnen im deutschsprachigen Raum oder entfernten FreundInnen in Kontakt zu bleiben und um andere über meine aktuellen Projekte zu informieren. Manchmal habe ich aber auch Lust, einfach ein schönes Foto der Natur in meiner Umgebung zu posten, oder aktuell meiner «Früchte des Lockdown», also meiner Gartenerträge, die ich dank coronabedingt viel Zeit im Frühling nun erstmals in meinem Leben einfahren kann. Was übrigens eine tolle Erfahrung ist – wir essen derzeit täglich Tomatensalat!

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Zu Beginn der Krise schnellte mein Medienkonsum sehr in die Höhe, inklusive Probeabos verschiedener digitaler Zeitungen. Ich klebte förmlich am Bildschirm. Mit der Zeit spürte ich eine gewisse Sättigung, und ich kehrte zum normalen Konsum zurück. Da die Fallzahlen sich nicht davon beeindrucken liessen, ob ich sie verfolgte oder nicht, und sowieso machten, was sie wollten, beschloss ich aus Eigenschutz irgendwann einmal, mich auch auf anderes zu konzentrieren. Zum Beispiel darauf, mir zu überlegen, womit ich sonst noch Geld verdienen könnte, da ja von einem Tag auf den anderen alle meine Lesungen und sonstigen Veranstaltungen dominoartig zusammengebrochen waren. Oder eben auf meinen Garten.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Ich kann nicht beurteilen, ob alles besser oder schlechter war, weil ich einen Teil dieses «früher» nicht selbst erlebt habe. Aber es war ganz sicher vieles anders. Was ich bedenklich finde, ist einerseits die Konzentration auf wenige grosse Medienhäuser und andererseits, dass es für freie JournalistInnen heute nahezu unmöglich ist, allein mit Journalismus zu überleben.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Aber klar. Geschriebene Worte wird es immer geben.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Möglichst viel! Lesen bildet.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Früher musste ich sie immer zu Ende lesen, auch wenn es ewig dauerte und ein Kampf war. Dann war ich vor einigen Jahren mal Mitglied in der Jury zum Glauserpreis, einem Autorenpreis, der den besten deutschsprachigen Kriminalroman des Jahres auszeichnet. Da musste ich notgedrungen lernen, schlechte Bücher sehr schnell auszusortieren, und diese Fähigkeit habe ich beibehalten.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Überall, vor allem aber im Internet und in der Bibliothek. Eine unerschöpfliche Quelle von Einblicken in abstruse Welten, die man sich selbst niemals ausdenken könnte, sind auch unfreiwillig mitgehörte Gespräche anderer Leute im öffentlichen Verkehr.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Phu, schwierige Frage. Einige Nischenblätter werden sich wohl noch lange halten können, aber das Gros wird in ein paar Jahren (oder Jahrzehnten) in den virtuellen Raum verschwunden sein.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Falsche Informationen sind immer eine Gefahr – je mehr sie aus Macht- und Manipulationsgelüsten verbreitet werden, desto gefährlicher sind sie.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Wenn ich Arbeiten mache, bei denen ich nicht selber an Worten rumhirnen muss – zum Beispiel Fotoauswahl und -bearbeitung – höre ich sehr gerne SRF 1-4 (je nach Lust). Zwischendurch schaue ich abends fern, das kommt aber eher selten vor.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich höre eher selten Podcasts, aber jedes Mal, wenn ich es tue, nehme ich mir vor, es öfters zu tun.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ich sehe das als bedenkliche Entwicklung, die allerdings auch nicht sehr neu ist. Je weniger sich jemand seriös informiert, desto mehr ist er oder sie anfällig auf Verzerrungen und Lügen. Wir durchleben ja gerade eine Zeit, die dies auf ebenso eindrückliche wie schauerliche Weise zeigt.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Für Kurznachrichten mag das klappen, aber Menschen mit Hirn und Herz werden immer die besseren und fundierteren Artikel schreiben, weil es zum Beruf des Journalisten gehört, genau zuzuhören und selber denken zu können. Zum Beispiel Portraits oder Reportagen, die Menschen berühren, wird immer ein Journalist aus Fleisch und Blut schreiben müssen, damit die Texte leben. Nur Menschen können wirklich über Menschen schreiben.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Ich glaube, weder noch. Aber sicher ist, dass die Medien sich verändern werden. Vor allem werden sie immer schneller werden, und das wiederum schadet der Qualität und Nachhaltigkeit. Früher hiess es, nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern. Heute ist nichts so alt wie die Liveticker-Einträge von vor drei Stunden.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ich hoffe immer noch auf eine Zukunft für den professionellen und fundierten Journalismus. Dadurch, dass an vielen Orten allerdings mit immer weniger Leuten und für immer weniger Geld immer mehr und schneller produziert werden muss, habe ich Angst um einen Journalismus, der diesen Namen auch verdient. Schon heute gibt es leider viel zu viele Menschen, die PR oder aber Leserreporter-Sensationsgeilheit mit Journalismus verwechseln. Und das finde ich beunruhigend.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja. Aber keine langen Texte. Von Hand schreibe ich Notizen bei meiner Arbeit als Journalistin oder bei Besprechungen von Projekten, aber auch Ideen und Gedankenschnipsel jeder Art, die mir während des Hundespaziergangs zufliegen. Ebenso schreibe ich Einkaufszettel und meine To-do-Liste für die nächsten Tage von Hand.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Ich wäre vor allem froh, er wäre so unwichtig, dass mir diese Frage gar nicht gestellt würde…

Wem glaubst Du?

Menschen, die ehrlich denken, aufrichtig handeln, über den eigenen Nasenspitz hinaussehen und vor allem nicht sich selbst für den Nabel der Welt halten.

Dein letztes Wort?

Das wird hoffentlich noch ganz lange nicht gesagt – und geschrieben! – sein.


Barbara Saladin
Barbara Saladin wurde 1976 in Liestal BL geboren und lebt als freie Autorin, Journalistin und Texterin in einem der kleinsten Dörfer des Oberbaselbiets. Als Zeitungsredaktorin stieg sie vor bald 15 Jahren quer in den Journalismus ein. Heute ist sie selbständig. Sie schreibt Kriminalromane und Kurzgeschichten, Reiseführer, Sach- und Kinderbücher, Artikel und Reportagen und arbeitet an lokalen Buch- und Audio-Publikationen mit.
www.barbarasaladin.ch

Ihre beiden neusten Bücher

Barbara Saladin schreibt Krimis, die im Baselbiet und an der Nordsee (zum Beispiel auf der ostfriesischen Insel Juist) spielen, aber auch Kinderbücher und Sachbücher. Ihre beiden neusten Titel sind «52 kleine & grosse Eskapaden in und um Basel» mit 52 Ausflugstipps, die sich Fuss, per Velo oder Paddelboot absolvieren lassen, von der romantischen Burg über den schneebedeckten Gipfel bis zum Bad im Blütenmeer.

Und: «111 Orte im Kanton Solothurn, die man gesehen haben muss». Bereits der zweite Band der «111 Orte»-Reihe, den Barbara Saladin geschrieben hat: Schon im Baselland hat sie 111 Orte aufgespürt, die man gesehen haben muss. Der Kanton Solothurn ist reizvoll, weil er gleichzeitig Peripherie und Knotenpunkt der Schweiz ist. Er bildet eine Brücke zwischen den grossen Kultur- und Sprachräumen und auf seinem Boden kreuzen sich (in Olten natürlich) die Verkehrsachsen Europas.

Barbara Saladin: 52 kleine & grosse Eskapaden in und um Basel. Dumont Reiseverlag, 232 Seiten, 24.90 Franken; ISBN 978-3-616-11004-2
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783616110042

Christof Gasser, Barbara Saladin: 111 Orte im Kanton Solothurn, die man gesehen haben muss. Emons Verlag, 240 Seiten, 24.90 Franken; ISBN 978-3-7408-0975-1
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783740809751


Basel, 16. September 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman. Einfach hier klicken. Videos dazu gibt es auf meinem Youtube-Kanal.

Ein Kommentar zu "Barbara Saladin: «Zu Beginn der Krise schnellte mein Medienkonsum in die Höhe»"

  1. Bei mir ist die gedruckte Zeitung heute gerade „in den virtuellen Raum verschwunden“! Ich habe mein Abo der „bz Basel“ abbestellt weil ich mich gerade jetzt in den wirren Corona-Zeiten von den „konventionellen Medien“ nicht mehr seriös informiert fühle: Ich bezahle kein Geld dafür, mit anlügen zu lassen! Klar, das sind nur die krassesten Fälle, aber es gibt auch andere Methoden, extrem einseitig zu werden. Beim Fernsehen habe ich ja leider keine Wahl – ich bezahle es ob ich es brauche oder nicht.

    Wenn man dann aber selber recherchiert merkt man natürlich auch was die Hauptarbeit des guten Journalisten ist: die Prüfung der Seriosität der Quellen. Das ist richtig Arbeit!

    Drum kann ich auch nur sagen: Auch ich hoffe immer noch auf eine Zukunft für den professionellen und fundierten Journalismus! Dass man ein Medium abonnieren kann, rein schauen und irgendwie „informiert sein“. Ich bin ja auch froh wenn ich mein Brot nicht immer selber backen muss, auch wenn’s manchmal ganz schön ist.

    Und was gäbe es gerade jetzt für fragenden und investigativen Journalismus nicht an möglichen Themen und Stories – wahrscheinlich gab es schon lange nicht mehr so viel potentiell gutes Material quasi auf der Strasse!

    Aber wo und wie soll dieser Journalismus künftig sein Leben entfalten, ein Einkommen haben und trotzdem die Freiheit, zu hinterfragen und zu recherchieren wie es die Sachlichkeit erfordert und das „journalistische Gewissen“ der Journalistin / des Journalisten?

    Ich weiss es nicht – und da bin ich offenbar nicht allein!

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