Barbara Lüthi: «In China habe ich gelernt, dass Propaganda funktioniert, sie muss nicht einmal perfekt sein»

Publiziert am 22. Mai 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Barbara Lüthi, Moderatorin des«Club» auf SRF und langjährige Chinakorrespondentin, über ihren persönlichen Mediengebrauch, ihren Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Sie sagt, dass Korrespondenten die Übersetzungsarbeit leisten, die es braucht, um das Interessen an Auslandthemen zu generieren. Sie habe «in China und Südostasien erlebt, dass eine Demokratie ohne unabhängigen, professionellen Journalismus nicht möglich ist.» Der Journalismus stecke nicht in einer grundsätzlichen Krise. «Das Wegfallen der alten Geschäftsmodelle ist ist aber eine Bedrohung.» Von den wenigen chinesischen Recherchejournalisten, die es gibt, «können wir viel lernen: von ihrer Ausdauer, ihrem eisernen Willen und ihrer Unerschrockenheit.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich frühstücke nie, drei Tassen Kaffee reichen mir. Ich stehe sehr früh auf, überfliege online den «Tages-Anzeiger», die NZZ und die «Zeit» und lese die Top-Stories der «New York Times» und der «South China Morning Post». Und natürlich schaue ich auf Twitter vorbei: das ist die ‹Zeitung›, die ganz persönlich auf mich zugeschnitten ist.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Ich bin auf allen drei Plattformen aktiv. Twitter nutze ich, als Informationsquelle, um Informationen zu teilen und mit den Zuschauern zu diskutieren. Für eine Recherche benutze ich alle Social-Media-Plattformen. Hier lässt es sich effizient nach länder- und themenspezifisch Informationen und Informanten suchen. An Instagram interessiert mich die neue Art der Kommunikation. Ich lerne, wie journalistische Inhalte anders verpackt und kommuniziert werden.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Zuerst über CNN, BBC World und die Newsticker verschiedener Medien. Auf Twitter suche ich nach Informationen von Korrespondenten und Informanten, die nahe dran sind. In Asien war ich bei Breaking News oft vor Ort. Da lief der Informationsfluss grösstenteils über Twitter mit Links, die lokale Zeitungen und Korrespondenten teilten. Nach der ersten News-Welle suche ich im Onlineangebot etablierter Medien nach Hintergründen, die das Ereignis einordnen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Es kommt auf die Perspektive an. Für Journalisten waren die Arbeitsbedingungen früher sicher komfortabler. Heute können sich Redaktionen weniger aufwendige  Recherchen leisten. Journalisten müssen mehr liefern in kürzerer Zeit.

Für die Konsumenten ist der Zugang zu den Medien durch die Digitalisierung einfacher geworden. Bei Bedarf kann jeder in kürzester Zeit an fast alle gewünschten Informationen kommen. Das ist eine Chance. Für den Nutzer besteht heute die Herausforderung darin, sich in dem grossen Angebot zurechtzufinden und verlässliche Informationen auszuwählen. Das kostet Zeit und Willen.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Sicher. Je komplexer ein Sachverhalt ist, desto wichtiger ist das geschriebene Wort.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Die Liste ist endlos: Von den griechischen Philosophen über Kant, Schiller, Camus, Kafka, Handke, James Joyce, Max Frisch, Yuval Harari, usw. Im jetzigen politischen Umfeld lese ich das Buch von Niklaus Nuspliger zu Europa, und für die nächste Verhandlung in China empfehle ich die 36 Strategeme: eine Sammlung der unterschiedlichen Überlistungstechniken, die chinesische Autoren seit über 2000 Jahren benannt und systematisiert haben.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Sehr schlecht. Und das ärgert mich. Ich habe Mühe, Dinge, die ich angefangen habe, nicht zu Ende zu bringen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Gespräch mit Menschen, beim Lesen eines Artikels, einer Gebrauchsanleitung, im Buchlanden, auf Social Media. Wenn ich auf ein neues Thema, eine neue Information stosse, habe ich sofort den Drang, mehr darüber zu erfahren. Ich bin von einer unstillbaren Neugierde getrieben.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Schwierig zu sagen. Solange es sich noch lohnt, sie zu drucken.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Leute, die sich nicht wirklich informieren, sind anfälliger für Fake News, die das  Vertrauen in die etablierten Medien schwinden lassen. Wenn MediennutzerInnen nicht mehr wissen, was echt und was falsch ist, und die Urheberschaft unklar ist, wird es schwierig. In diesem Sinne sind Fake News eine Gefahr. Für den Journalismus sind sie aber auch eine Chance. Wir müssen uns überlegen, wie wir das verlorene Vertrauen zurückgewinnen. Das können wir zum Beispiel indem wir transparent machen, wie wir arbeiten. Ich glaube fest daran, dass hochwertiger Journalismus geschätzt wird.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Radio höre ich linear. Fernsehen meist in der Wiederholung.

Braucht es in der globalisierten Medienwelt noch Auslandskorrespondenten?

Absolut. Ein Auslandkorrespondent oder eine Auslandkorrespondentin kann besser  abschätzen, was das heimische Publikum interessiert. Korrespondenten leistet die Übersetzungsarbeit, die es braucht, um das Interessen an Auslandthemen zu generieren. Als Bundespräsident Ueli Mauer den chinesischen Präsidenten Xi Jinping traf, um eine Absichtserklärung zum umstritten Infrastrukturprojekt «neue Seidenstrasse» zu unterzeichnen, war die Einschätzung unserer China-Korrespondentin wichtig, um Tragweite und Konsequenzen der Beziehung zwischen der Schweiz und China zu analysieren.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Das ist unerfreulich. Wie soll ohne Information eine unabhängige Meinungsbildung stattfinden? In China habe ich gelernt, dass Propaganda funktioniert, sie muss nicht einmal perfekt sein. Bildung und Information sind Grundpfeiler der westlichen Demokratie. Menschen wollen sich informieren, um sich eine eigene Meinung zu bilden und eigenständige Entscheidungen zu treffen, die wiederum die Gesellschaft beeinflussen. Es gibt viele Menschen, die uns um unser System, in dem verschiedenste Meinungen formuliert und gedruckt werden dürfen, beneiden. Ich hoffe, dass die junge Generation ein Interesse daran findet, dieses Privileg weiterhin zu nutzen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Agenturmeldungen werden wohl eines Tages durch Roboter automatisiert. Eine investigative Recherche traue ich einem Roboter noch lange nicht zu. Und der Roboter, der Meinung von Haltung unterscheiden kann, was im Journalismus grundlegen ist, der ist auch noch nicht erfunden.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Auf jeden Fall. Ich habe in China und Südostasien erlebt, dass eine Demokratie ohne unabhängigen, professionellen Journalismus nicht möglich ist. Auch werden gesellschaftliche Veränderungen durch professionellen Journalismus angestossen. Zum Beispiel durch die Journalisten der Democratic Voice of Burma, die unter dem Militärregime unter Lebensgefahr über die Zustände im Land vor 2011 berichteten. Die Reuters-Journalisten, die über 500 Tage lang in Burma inhaftiert waren, weil sie die Verbrechen an den Rohingya’s dokumentierten, liessen sich davon nicht abschrecken. Nach der Freilassung sagten sie, dass sie weiter berichten werden. Die vielen Journalisten in China, die trotz Zensur und Verhaftung einen leidenschaftlichen Kampf um Pressefreiheit und Wahrheit führen. Solcher Journalismus ist essentiell für eine freie Gesellschaft, und er wird von der Öffentlichkeit honoriert. Der Journalismus steckt nicht in einer grundsätzlichen Krise. Das Wegfallen der alten Geschäftsmodelle ist ist aber eine Bedrohung.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Auch wenn er die Einschaltquoten steigert, ist ein Präsident, der Journalisten als Feinde des Volkes bezeichnet, schlecht für die Medien. Die Medien kämpfen mit einem Vertrauensverlust, auch weil Leute wie Donald Trump die Wahrheit nicht mehr als wertvolles Gut behandeln. Alles ist möglich, plötzlich gibt es «alternative» Wahrheiten, das Gesagte hat keine Gültigkeit mehr. Das ist eine Bedrohung für den Journalismus.

Gibt es im Medienbereich etwas, das wir von den Chinesen lernen können?

Auf der produktionstechnischen Ebene kann das durchaus sein. Auf der journalistischen Ebene müssen wir zwischen Staat und Menschen unterscheiden. Von der chinesischen Regierung können wir nichts lernen im Medienbereich. Die Medien sind das Propagandainstrument einer Partei, der es vor allem darum geht, an der Macht zu bleiben. Den Journalisten wird vorgeschrieben, worüber sie berichten dürfen, kritische Stimmen werden zum Schweigen gebracht. Von den wenigen chinesischen Recherchejournalisten, die es gibt, können wir dagegen viel lernen: von ihrer Ausdauer, ihrem eisernen Willen und ihrer Unerschrockenheit.

Wem glaubst Du?

Mit ‹glauben› tue ich mich schwer. Es gibt Menschen, denen ich vertraue. Das sind Menschen, von denen ich weiss, dass sie fest verankert sind in ihren Prinzipien und trotzdem offen genug, um ihre Überzeugungen zu hinterfragen.

Dein letztes Wort?

Wenn es soweit ist, kommt mir das richtige letzte Wort in den Sinn.


Barbara Lüthi

Nach Matura und Wirtefachschule (!) in Zürich und einem Sprachausbildung in Sydney arbeitete Barbara Lüthi als Videojournalistin für verschiedene Fernsehsender: Sie begann bei Star TV, wechselte zu TV3 und arbeitete ab 2001 für das Politmagazin «Rundschau» des Schweizer Fernsehens. Von 2006 bis 2014 berichtete sie als Chinakorrespondentin des Schweizer Fernsehens aus Peking und Hongkong. Ab 2014 berichtete sie über Südostasien. Seit Januar 2018 moderiert und leitet sie die Diskussionssendung «Club». Für ihre Arbeit wurde sie 2008 von CNN als «Journalist of the Year» und von «Der Schweizer Journalist» als Journalistin des Jahres ausgezeichnet.

http://www.barbaraluethi.com/


Basel, 22. Mai 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Ein Kommentar zu "Barbara Lüthi: «In China habe ich gelernt, dass Propaganda funktioniert, sie muss nicht einmal perfekt sein»"

  1. Was mir auffällt: Wie die Medien-Menschen doch alle leben. Praktisch alle kein Frühstück, wenig Schlaf, am Morgen X-Medien konsumieren, und wie hier immer und mindestens 3 Tassen Kaffee….
    Was soll bei so einer (Trend-) Lebensweise noch an BEDACHTEM, ÜBERGLEGTEM und SINNLICHEM rauskommen…
    Jetzt verstehe ich das Hektik-TV-Radio-Print-Geschwurbel-Menu, welches uns tagtäglich serviert wird.

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