Barbara Lanz: «Wir müssen endlich loslassen und neue Wege wagen»

Publiziert am 1. März 2023 von Matthias Zehnder

Das 218. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Barbara Lanz, Chefredaktorin der Redaktionen von Radio 24, TeleZüri und ZüriToday in Zürich. Sie sagt, sei «froh, dass heute mehr Frauen mitreden» und dass die Medien über «so viele neue Erzählformen und Kanäle» verfügen. «Gleichzeitig sehe ich, wie viele meiner Kolleg:innen mit fehlenden Ressourcen kämpfen, wie erfahrene Journalist:innen die Branche wechseln … Das schmerzt.» Sorgen macht sie sich, weil viele Medienschaffende noch immer nicht bereit seien, Journalismus neu zu denken: «Nur, weil Menschen nicht mehr zwei Stunden Zeitung lesen oder ihre Lieblingsapp konsultieren, heisst das nicht, dass man nicht gute Geschichten und News an die Leute bringen kann.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Morgens checke ich Social Media und die grossen regionalen, nationalen und internationalen Newsportale. Parallel läuft Radio. Das Frühstück fehlt allerdings.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Twitter und TikTok nutze ich beruflich, Instagram vorwiegend privat und Facebook öffne ich nur noch, wenn ich muss.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Es hat mich gelehrt, flexibler zu sein und mir eindrücklich vor Augen geführt, was in der digitalen Welt alles möglich ist. Was davon geblieben ist: digitale Meetings, Homeoffice-Tage und ein paar neue digitale Radiosender auf der Playlist.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder noch. Ich bin froh, dass heute zum Beispiel mehr Frauen mitreden in Sachen Mediengestaltung, dass wir so viele neue Erzählformen und Kanäle haben. Gleichzeitig sehe ich, wie viele meiner Kolleg:innen mit fehlenden Ressourcen kämpfen, wie erfahrene Journalist:innen die Branche wechseln … Das schmerzt.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Absolut. Genau wie Gesprochene.

Was soll man heute unbedingt lesen?

News und etwas fürs Herz.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Meine Zeit ist mir zu schade, um schlechte Bücher zu Ende zu lesen. Allerdings kann ich mich nicht erinnern, wann mir das zuletzt passiert ist … Und ich lese täglich.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Auf Social Media, aus Büchern, Zeitungen, Zeitschriften, auf der Strasse, im Tram beim Zuhören von Gesprächen … Meist dann, wenn ich mich ausserhalb meiner Comfort Zone bewege.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Solange es Menschen gibt, die dafür bezahlen?

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Chance.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Mein Herz schlägt zwar digital, aber dank meinem Job kann ich von allem e bitzeli haben. Und während Corona habe ich mal zu meinem früheren Lieblingsradiosender SWR3 geschaltet. Da machten die an einem Samstagabend live Party on air und ich fühlte mich wie damals mit 14 auf dem Land, als einem das Radio das Gefühl von Welt vermittelte. Das geht also immer noch.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Nein.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Es zeigt mir, dass viele Medienschaffende immer noch nicht bereit sind, Journalismus neu zu denken. Nur, weil Menschen nicht mehr zwei Stunden Zeitung lesen oder ihre Lieblingsapp konsultieren, heisst das nicht, dass man nicht gute Geschichten und News an die Leute bringen kann. Wir müssen nur endlich loslassen und neue Wege wagen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Der Journalismus nicht, nein, aber Tasks, die der Beruf mit sich bringt.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Vielleicht führt sie zum Tod alter Strukturen und Einrichtungen, für den Journalismus selbst bietet sie hingegen endlose Möglichkeiten, wenn es ums Erzählen und Darstellen von Storys geht.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Oft.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Weder noch. Aber er ist sicher ein gutes Beispiel für die Wichtigkeit unabhängiger Medien.

Wem glaubst Du?

Meinem Bauchgefühl und Menschen, denen ich vertraue.

Dein letztes Wort?

Am Ende steht idealerweise ein Punkt.


Barbara Lanz
Barbara Lanz ist seit 20 Jahren Journalistin und war in verschiedenen Redaktionen tätig. Sie war Reporterin beim «Blick», leitete die Online-Ausgabe der «Schweizer Illustrierten» und war von 2017 bis 2022 in mehreren Funktionen bei «20 Minuten» tätig. Seit 2022 ist sie Chefredaktorin und verantwortet die Redaktionen von Radio 24, TeleZüri und ZüriToday in Zürich.
https://www.radio24.ch/


Basel, 1. März 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 200 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

Wenn Sie kein Fragebogeninterview verpassen möchten,  abonnieren Sie einfach meinen Newsletter. Das kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen «Medienmenschen» sowie den aktuellen Wochenkommentar, einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman: www.matthiaszehnder.ch/abo/

2 Kommentare zu "Barbara Lanz: «Wir müssen endlich loslassen und neue Wege wagen»"

  1. Was Frau Lanz explizit betreffend Medien gesagt hat, gilt aus meiner Sicht grundsätzlich. So habe ich in meinem Text für DAS BLATT vom März zum Thema „Künstliche Intelligenz“ dazu geschrieben: „Damit es für immer mehr Menschen wahrhaftig und wirklich etwas werden kann, brauchen wir den Mut, mit falschen Dingen aufzuhören. Erst dann wird Raum frei für grundlegend und für alle wertvolles Neues, das es sowohl individuell als auch national und global unabdingbar braucht.“

  2. Die Laufbahn der Medien, welche Frau Lanz absolvierte, sind für mich leider alles „Instant-Medien“. Blick, Schweizer-Illustrierte, 20min….. Schnellfutter oder seichte Nahrung. Instant auch bei den Leserkommentaren: Die Zeilen sind oft knapp begrenzt, so dass gar keine tiefe Reflektion zum Thema seitens der Lesenden möglich ist. Ein schnelles „gut so“ – ein „langweilig“ oder „unmöglich“ ist oft das höchste der Kommentargefühle. Auch ZüriToday gehört in diese Kategorie. Muss zur Zeit modern sein: Aus der schön gestalteten TeleBasel-Webseite wurde „BaselJetzt“. Doch hier in BS lässt mit diesem Konzept der erhoffte Erfolg zu wünschen übrig: Kurzfutter, unbewegte Bilder, und Kommentare immer bei Null…. Sagt viel. BZ und BaZ sind ergiebiger, textreicher, bilderreicher und schneller. Zudem: Ein bis zwei Beiträgli pro Tag = da lohnt das „scrollen“ nicht mal für die Jungen….
    Für mich laufen solche Produkte schon lange nicht mehr unter Medien. Ich bevorzuge „die Republik“ mit linker Schlagseite, „die Weltwoche“ mit rechten Tendenzen – aber beide tiefgründig – und durchquere so wiederum ausgeglichen und gerade der Ozean des medialen Wahnsinns….

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.