Arthur Honegger: «Die Leute sind ja nicht blöd»

Publiziert am 2. Januar 2020 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Arthur Honegger, Anchorman bei «10vor10», über seinen persönlichen Mediengebrauch, seinen Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Er vertraut darauf, dass die Menschen nicht blöd sind: «Sie trauen Plattformen wie Facebook deutlich weniger als professionellen Medien, die auch Rechenschaft ablegen müssen über ihre Arbeit.» Für ihn selbst sind Zeitungen oder gedruckte Magazine Gold wert: «Oft bleibe ich hängen bei Themen, die weit weg sind von meinen Interessen. Das passiert auf Social Media auch manchmal, doch der Algorithmus serviert mir ja genau das Gegenteil.» Ihm ist es egal, «wie und in welcher Form unsere Geschichten beim Publikum ankommen, ob TV oder digital, social, usw.» Wichtig sei, dass «wir auch in Zukunft breite Bevölkerungsschichten erreichen.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ganz klar: Die Tageszeitung. Wir wollen keine Bildschirme am Tisch, aber wir reden gern in der Familie darüber, was auf der Welt passiert. Ich wechsle jeweils nach einem Jahr oder so zwischen NZZ und «Tages-Anzeiger». So bleibe ich auch lokal immer informiert.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Da gehöre ich wohl zu den Heavy-Usern: Facebook weniger, das ist mir zu sehr Gemischtwarenladen. Aber Twitter ist für Journalisten perfekt, um am Puls der Zeit zu bleiben, viele Quellen gleichzeitig zu überblicken und mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Instagram macht einfach Spass – noch 😉

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Fernseher an, in diesem Fall wohl CNN. Dazu meine kuratierte Twitter-Liste für Breaking News sowie die Website eines lokalen Leitmediums.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder noch. Besser war, dass man mehr Zeit hatte, einer Story auf den Grund zu gehen. Schlechter, dass wir viel weniger Dialog mit dem Publikum hatten als heute.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Oh ja. Und zwar nicht nur ein paar hundert Zeichen: Längere Texte haben eine analytische Kraft, die Audio und Video nicht erreichen. Dafür sind diese Formen direkter und authentischer beim Erzählen von Geschichten.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Da gibt’s so viel… in den letzten Jahren haben mich Yuval Noah Harari und Francis Fukuyama nachhaltig beeindruckt, was Sachbücher angeht. Top-Roman des Jahrzehnts wäre dann «The Circle» von Dave Eggers.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Kein Problem. Fünfzig Seiten schenke ich allen, wer mich nach hundert nicht hat, hat mich verloren.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Auch hier sind Zeitungen oder gedruckte Magazine Gold wert: Oft bleibe ich hängen bei Themen, die weit weg sind von meinen Interessen. Das passiert auf Social Media auch manchmal, doch der Algorithmus serviert mir ja genau das Gegenteil. Das erwarte ich auch nicht anders.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Ich hoffe lange genug, damit auch meine Enkel noch die Wahl haben zwischen Papier und Bildschirm.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eher eine Chance: Die Leute sind ja nicht blöd. Sie trauen Plattformen wie Facebook deutlich weniger als professionellen Medien, die auch Rechenschaft ablegen müssen über ihre Arbeit. Das ist wohl das wichtigste Qualitäts-Merkmal überhaupt.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Sehr selten. News schaue ich zeitversetzt, auf welchem Gerät es halt gerade passt. Radio praktisch nur als Podcast. Live ist einzig beim Sport ein Must oder in einer Breaking-News-Situation.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Sehr viel, ja. Eigentlich immer, wenn ich unterwegs bin. Mein Feed ist stark von US-Pods geprägt: «The Daily» von der New York Times etwa und diverse Formate der Kollegen von NPR (National Public Radio). Mein Favorit ist wohl der Klassiker «This American Life».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Die vielleicht grösste Herausforderung im Journalismus. Grundsätzlich bin ich indes optimistisch, was das Interesse auch der kommenden Generationen an relevanter Information angeht; auf die Vermittlung kommt es an. Wir erreichen zum Beispiel mit Erklärvideos online sehr viele junge Menschen, die besser verstehen wollen, was auf der Welt passiert.

Wird diese Altersgruppe je zum «10vor10»-Publikum gehören?

Klar, aber wohl nicht linear um 21.50 Uhr im Wohnzimmer. Letztlich ist es mir egal, wie und in welcher Form unsere Geschichten beim Publikum ankommen, ob TV oder digital, social, usw. Wichtig ist, dass wir auch in Zukunft breite Bevölkerungsschichten erreichen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Nein. Klar können Kurzmeldungen oder reine Basisinformationen auch mit KI hergestellt werden. Aber solange man Menschen für Geschichten gewinnen will, müssen diese auch von Menschen kommen – gerade im Video-Bereich ist das augenfällig, buchstäblich. Aber auch gute Texte brauchen Leben. Und das versteht man nur, wenn man eben lebendig ist.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Klar. Marken werden verschwinden, aber es wird immer Menschen geben, die ihre Aufgabe darin sehen, die Gesellschaft zu informieren – und die das auf eine Art und Weise tun, dass genug Leute zuhören, um damit Geld zu verdienen.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ehrlich gesagt nur noch Widmungen in Büchern und Notizen on the fly.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Da könnte man jetzt ein ganzes Interview dazu führen. Alles in allem denke ich, hat die Ära Trump mit all den Skandalen, all dem Nonsense und «alternativen Fakten» etc. vielen Leuten vor Augen geführt, wie wichtig unabhängige Informations-Arbeiter für eine Gesellschaft sind.

Wem glaubst Du?

Meiner Frau.

Dein letztes Wort?

Überlasse ich einem meiner Vorbilder im Journalismus. Es begleitet mich seit langem. Edward R. Murrow hat einmal gesagt: «Our major obligation is not to mistake slogans for solutions.»


Arthur Honegger

Arthur Honegger ist Journalist und Autor. Seit 2015 präsentiert er das News-Magazin «10vor10» auf SRF. Davor berichtete er acht Jahre lang als Korrespondent aus den USA, zunächst aus New York und danach aus Washington DC, wo er auch das SRG-Büro leitete. Honegger ist Absolvent der Ringier Journalistenschule und der SRF Stagiaire-Ausbildung. Mit «Abc4USA» und «Ach, Amiland!» hat er zwei Bücher über die vereinigten Staaten verfasst.

https://www.srf.ch/10vor10


Basel, 2. Januar 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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