Antonio Fumagalli: «Hier in Brüssel ist alles um Dimensionen grösser als in Zürich.»

Publiziert am 6. August 2025 von Matthias Zehnder

Das 345. Fragebogeninterview, heute mit Antonio Fumagalli, EU-, Nato- und Benelux-Korrespondent der NZZ in Brüssel. Er beginne seinen Tag mit «La Matinale» aus dem Radio – «früher von RTS, nun vom belgischen RTBF». Parallel dazu lese er «Brüsseler Bubble-Medien wie ‹Politico› und ‹Euractiv›». Er erinnert sich gerne an seine ersten journalistischen Gehversuche im Rahmen eines Medien-Projekts im Gymnasium: «Um ins Internet zu gelangen, gingen wir jeweils zur ZKB an der Bahnhofstrasse. Wenn man ein Konto hatte, durfte man dort eine halbe Stunde lang surfen.» Heute verbinde ihn eine «Hassliebe» mit den sozialen Medien: «Zeitweise nutze ich sie intensiv, vor allem X und LinkedIn». In Brüssel sei alles grösser als in der Schweiz: «Es gibt mehr akkreditierte Journalisten, die Schlagzeilen sind knalliger, die Pressearbeit der EU-Institutionen ist professioneller – und man erhält eher Off-the-Record-Informationen.» Uns verrät er on the record, warum er an einen Freitag in zwölf Jahren denkt.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich halte es wie schon in meiner vorherigen Tätigkeit als Westschweiz-Korrespondent: Zum Frühstück gibt’s «La Matinale» aus dem Radio – früher von RTS, nun vom belgischen RTBF. Parallel dazu Brüsseler Bubble-Medien wie «Politico» und «Euractiv» sowie nationale und internationale Zeitungen, bevorzugt als E-Paper.

Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?

Mich verbindet eine Hassliebe mit den sozialen Medien. Zeitweise nutze ich sie intensiv, vor allem X und LinkedIn – hauptsächlich als Konsument, manchmal als Autor. Dann wieder habe ich das Gefühl, dort nur Zeit zu verlieren.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Meine allerersten Gehversuche machte ich im Rahmen eines Medien-Projekts im Gymnasium. Um ins Internet zu gelangen, gingen wir jeweils zur ZKB an der Bahnhofstrasse. Wenn man ein Konto hatte, durfte man dort eine halbe Stunde lang surfen. Kurz: Es hat sich einiges verändert.

Wenn Du an die Medien in Deinem Berichtsgebiet denkst – was ist anders als in der Schweiz?

Hier in Brüssel ist alles um Dimensionen grösser als in Zürich, Bern oder Lausanne: Es gibt mehr akkreditierte Journalisten, die Schlagzeilen sind knalliger, die Pressearbeit der EU-Institutionen ist professioneller – und man erhält eher Off-the-Record-Informationen.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja. Die Frage ist allerdings, ob sie noch alle verstehen.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Stefan Zweigs «Die Welt von gestern».

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lege sie weg, nehme mir vor, ihnen später eine zweite Chance zu geben – und tue es dann meistens doch nie.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Bei random Youtube-Videos.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Bis am 18. September 2037.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eher eine Gefahr.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Live schaue ich eigentlich nur noch Fussballspiele. Bei weltbewegenden Ereignissen manchmal CNN.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja, viele – dank AirPods geht das ja auch unterwegs oder beim Abwasch ohne Umstände. Natürlich höre ich die verschiedenen NZZ-Podcasts wie «Akzent», «Geopolitik», «Standpunkte» oder «Machtspiel», aber auch EU-spezifische Sendungen von Politico, der ARD oder «The Economist». «Roger gegen Markus» verpasse ich selten und «Zum Glück ist Freitag» bringt mich regelmässig zum Lachen.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Nichts Gutes – und dass wir diese Zielgruppe noch gezielter ansprechen müssen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Eine Spannbreite von acht Prozent, bei einem Prognosehorizont von zehn Jahren? Solche Berechnungen können nur Roboter anstellen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Etwas dazwischen ist nicht möglich? Die Digitalisierung hat unglaubliche Möglichkeiten eröffnet – und ernstzunehmende Gefahren.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Eine indirekte Medienförderung haben wir ja schon. Es wäre wünschenswert, dass es auch weiterhin ohne direkte geht.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja. Bei EU-Gipfeln, wenn sich Dutzende Journalisten um Diplomaten drängen, um ein paar Hintergrundinfos zu erhaschen. Bei persönlichen Karten und Briefen. Und beim Postizädeli.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Trump richtet viel Schaden an – in anderen Gesellschaftsbereichen aber mehr als in den Medien.

Wem glaubst Du?

Dem Zweifel.

Dein letztes Wort?

Ich hoffe, dass dieses noch nicht grad fällt.


Antonio Fumagalli
Antonio Fumagalli ist 1984 in Zürich geboren. Nach einem Auslandjahr in Mailand hat er in Genf Internationalen Beziehungen studiert. Erste Journalistische Erfahrungen hat er bei Radio Munot, der «Zürichsee-Zeitung» und «Students.ch» gesammelt. 2010 Festanstellung bei «20 Minuten», 2013 Wechsel in die Bundeshausredaktion der «Aargauer Zeitung». Daneben Autor bei der «Medienwoche». Seit 2018 Redaktor der NZZ. Zuerst als Westschweiz-Korrespondent in Lausanne, seit Sommer 2024 als EU-, Nato- und Benelux-Korrespondent in Brüssel. Nebenbei Kolumnist beim Tessiner Radio RSI.


Basel, 06.08.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: NZZ

Seit Ende 2018 sind über 340 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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