Annette König: «Ich glaube an das geschriebene Wort»

Publiziert am 30. September 2020 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute: SRF-Literaturkritikerin und -Bloggerin Annette König. In der Coronakrise habe sie noch mehr digitale Inhalte konsumiert. «Zum Glück ist da die Familie, die mich in die reale Welt zurückholt.» Während des Studiums hat König als Medienbeobachterin gearbeitet. Sie kann deshalb die Veränderung der Zeitungen überblicken und sagt: «Das Feuilleton ist massiv geschrumpft.» Die Folgen seien weniger Diversität und weniger Diskurs. «Das ist ein Verlust.» Als Literaturkritikerin glaubt sie an das geschriebene Wort und an «die vielen wunderbaren Bücher, die mir neue Welten eröffnen – jenseits von Meinungsmache, Soft News und Newstickern.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Vor dem Frühstück werfe ich immer einen Blick in die digitale Ausgabe der «Neuen Zürcher Zeitung» und schalte dann das Radio ein – auf den Sender «SRF 2 Kultur».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Social Media gehört zu meinem Berufsalltag. Ich habe auf allen drei Kanälen einen Account. Gleichwohl bin ich auf Instagram am aktivsten. Ich mag das Visuelle und die regen Diskussionen, die einem Post folgen. Auch gibt es eine grosse Lese-Community. Und das ist für mich als Literaturkritikerin inspirierend.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Noch mehr digitale Inhalte! Zum Glück ist da die Familie, die mich in die reale Welt zurückholt, der Hund, der mich an die frische Luft zwingt und die vielen wunderbaren Bücher, die mir neue Welten eröffnen – jenseits von Meinungsmache, Soft News und Newstickern.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Ich habe während des Studiums als Medienbeobachterin gearbeitet und täglich alle grösseren deutschsprachigen Zeitungen nach umweltpolitisch relevanten Themen durchgesehen. Das war vor zwanzig Jahren. Die Medienvielfalt war damals ausgeprägter und die finanziellen Ressourcen grösser, insbesondere für das Feuilleton. Heute ist das Feuilleton massiv geschrumpft. Die Folgen: weniger Diversität, weniger Diskurs. Das ist ein Verlust.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja, ich glaube an das geschriebene Wort. Schreiben erfordert Stille, Einkehr und Nachdenken. Das bringt die Welt weiter.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Für mich ist das Kant. «Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen». Ich glaube an die Mündigkeit des Menschen.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lese schlechte Bücher nur zu Ende, wenn ich eine Buchkritik verfasse oder mich der/die Verfasser*in oder der Diskurs um das Buch interessieren.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Auf Reisen und meistens unverhofft aus Begegnungen mit Menschen!

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Wir sind in einem digitalen Shift. Vermutlich wird es nicht mehr lange dauern und die Print-Ausgaben werden wegbrechen. Aus ökologischen Gründen finde ich das sogar gut. Auch geniesse ich es, Artikel als Audio zu hören. Das ist eine Alternative zum vielen Lesen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Fake News sind eine Gefahr. Und für die Medien eine Chance! Weil sich zeigt: objektive, differenzierte und fundierte Berichterstattung ist ein Wert, der nicht mit Gold aufzuwiegen ist.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich schaue nur noch On Demand. Dafür liebe ich aber das Radio. Bei mir läuft zu Hause in Dauerschleife SRF 2 Kultur, da mag ich besonders die Hintergrundsendung «Kontext». Und beim Autofahren oder zwischendurch höre ich SRF 1, SRF Virus und Kanal K.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Mein Lieblingspodcast ist «52 Beste Bücher».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Das bedeutet vermutlich, dass wir ein Überangebot an News haben, die zu einer Übersättigung führen. Das finde ich nicht gut. Besonders weil Demokratien nicht einfach sind, sondern sich prozesshaft immer wieder neu konstituieren müssen. Und dafür braucht es eine aktive Bevölkerung, die sich für Informationen über Politik, Gesellschaft und Wirtschaft interessiert. Darum ist es wichtig, die News-Deprivierten zurück ins Boot zu holen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Die vielen Agenturmeldungen, das ist bereits automatisierter Journalismus. Wichtig ist jedoch der Qualitätsjournalismus und der lässt sich nicht einfach so automatisieren.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Klar, wenn wir bereit sind, etwas dafür zu bezahlen.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, ich mache mir gerne Handnotizen.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Trump ist für Schlagzeilen gut.

Wem glaubst Du?

Menschen, die mir integer erscheinen und Menschen, denen ich vertraue.

Dein letztes Wort?

Tschüssi, macht’s gut!


Annette König
Studium an der Universität Zürich: Germanistik, Politologie und Neue Geschichte. 2013 promovierte sie an der Universität Basel in Neuere Deutsche Literaturwissenschaft mit der Arbeit: «Welt schreiben – Globalisierungstendenzen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur aus der Schweiz». Seit 2013 arbeitet sie als Literaturkritikerin und Buchbloggerin bei SRF und hat da ihre eigene Sendung «Die BuchKönig bloggt» auf SRF 1 und Online unter: https://www.srf.ch/radio-srf-1/die-buchkoenig-bloggt


Basel, 30. September 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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