Anna Kohler: «Impulse für Neues bekomme ich im Gespräch mit Menschen»

Publiziert am 8. Juni 2022 von Matthias Zehnder

Das 180. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Anna Kohler, Chefredaktorin von «m&k», dem Magazin für Marketing und Kommunikation in Zürich. Sie sagt, solange «solide Journalistinnen und Journalisten am Werk sind, ist es wurscht, ob sie auf Tiktok, im TV, im Print oder Radio senden». Davon abgesehen pflegt sie vielseitige Lektüre und sagt: «Ein Gedichtband kann ebenso zum Denken anregen, wie ein spannender Krimi.» Wie lange es noch gedruckte Tageszeitungen gibt, weiss auch sie nicht, aber «klar ist, dass die Generation, die gedruckte Tagespresse als nicht verhandelbar ansieht, ausstirbt». Kohler bezeichnet sich selbst als Fernsehkind: «Ich gehe nicht schlafen, bevor ich sowohl die Schweizer als auch die Deutsche ‹Tagesschau› gesehen habe.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich frühstücke nicht, aber zum Kaffee am Morgen gibt es die «NZZ», dann höre ich Radio SRF 3. Am Sonntag die «NZZ am Sonntag» und Donnerstags die «ZEIT».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Also, um ehrlich zu sein, ich habe ein Facebook-Account, der komplett verstaubt ist, wegen Unternutzung. Mein Instaaccount enthält ein Foto und ansonsten ist Wüste. Twittern tue ich ungefähr mit der gleichen Regelmässigkeit, wie ich mein Facebook-Account abstaube. LinkedIn nutze ich dagegen rege.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Als Redaktion des Fachmagazins «m&k Marketing und Kommunikation» waren wir gefordert, die Entscheiderinnen und Entscheider, die uns konsumieren, zu unterstützen, die Tatsachen einzuordnen, zu sortieren und zu versuchen, Orientierung und Inspiration zu geben. Alles veränderte sich rasant, wir waren nah dran und wenn auch aus dem Homeoffice, immer da für unsere Branche. Als Nutzerin der Medien habe ich weiterhin die Medien meines Vertrauens konsumiert. Da hat sich nicht viel verändert. 

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Ich denke nicht in diesen Kategorien. Jede Zeit hat seine Medienformen, Veränderungen sind der einzige Weg, sich zu entwickeln. Und solange solide Journalistinnen und Journalisten am Werk sind, ist es wurscht, ob sie auf Tiktok, im TV, im Print oder Radio senden. Die Kanäle verändern sich, die Qualität muss stimmen.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Oh ja, davon bin ich fest überzeugt. Die Langlebigkeit der geschriebenen Worte wird nicht an Wert verlieren. Wie wir diese konsumieren, wird sich sicher weiterentwickeln. 

Was soll man heute unbedingt lesen?

Natürlich unser Magazin «m&k». Wir ordnen nicht nur schweizweit die Marketing und Kommunikationsflut, wir schauen auch über den Tellerrand in andere Länder, Kontinente und interviewen wichtige Persönlichkeiten zu grossen Fragen, die die Welt bewegen und in Zukunft bewegen werden. Aber Spass beiseite, was man lesen sollte, kann ich nicht sagen, das ist sehr individuell, aber aus meiner Perspektive ist es wichtig, sich durch verschiedene Lektüre inspirieren zu lassen. Ein Gedichtband kann ebenso zum Denken anregen, wie ein spannender Krimi. 

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ehrlich gesagt lese ich weniger als früher. Nein, halt, das stimmt nicht, ich lese mehr, aber das sind Magazine, Blogs, Zeitungen und Newsletter. Das mache ich andauernd. Aber das Zurücklehnen und in ein Buch versinken, das ist Luxus. Da möchte ich gern wieder mehr Zeit investieren. Deshalb, ich lege Bücher weg, wenn mir die Augen zufallen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Tolle Frage. Die meisten Impulse für Neues bekomme ich im Gespräch mit Menschen. Ich versuche aus jedem Anlass, zu dem ich gehe, aus jedem Abendessen mit Freundinnen neue Impulse zu generieren. Nachfragen hilft, ermuntern, von sich zu erzählen, das ist toll, was da für Themen aufkommen, die ich nicht allein angeschaut hätte. Ich habe einen Podcast, «off the record», dort lade ich Menschen ein, deren Themen oft nicht meine Themen sind. Nach diesen Gesprächen bin ich erfüllt und habe meinen Horizont erweitert.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Ich hoffe, noch lang. Aber klar ist, dass die Generation, die gedruckte Tagespresse als nicht verhandelbar ansieht, ausstirbt. Ich inklusive. 

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Fake News an sich sind gefährlich. Weil Menschen, die sich nur in einer Bubble bewegen, in der Klicks oder die schrillste, einfachste Antwort gilt, die Zusammenhänge nicht mehr hinterfragen und damit leicht lenkbar sind. Andererseits hilft die Debatte um Fake News auch, qualitativen Journalismus besser zu erkennen und zu wertschätzen. 

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Ich bin mit Radio und Fernsehen aufgewachsen. Beide Medien spielen eine wichtige Rolle in meinem Leben. Mein Tag beginnt mit Radio und endet mit Fernsehen. Ich gehe nicht schlafen, bevor ich sowohl die Schweizer als auch die Deutsche «Tagesschau» gesehen habe.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich höre nicht sehr oft Podcasts. Den der «Zeit» sowie den «NZZ»-Podcast führe ich mir ab und an zu Gemüte, aber Ruhe ist ein Riesenluxus, den ich mir gönne. Deshalb versuche ich beim Spaziergang auf die Vögel zu lauschen und nichts im Ohr zu haben.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Es gibt so eine Flut von Informationen, so viele Meinungen, so viele Medien, die konsumiert werden, dass ich mir schon vorstellen kann, dass sich viele zurückziehen ins Private, einfach keine Kapazität haben, die Dinge einzuordnen, sich deshalb nur noch in der Funbubble aufhalten. Aber ich weiss nicht, ob vor 20 Jahren diese Statistik so massiv anders ausgefallen wäre. Der Dschungel aus Nachrichten ist nicht einfach zu lichten.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ich habe in meinem Podcast mit einer Expertin für digitale Ethik sprechen dürfen, sehr spannend, ich habe viel gelernt. Auch, dass es wichtig ist, die Roboter, die diese Arbeiten dann übernehmen, also die Infos scannen, Schlüsse daraus ziehen und Fakten daraus generieren, weise gefüttert werden müssen. Denn Roboter führen nur aus, sie wägen nicht ab, zeigen keine Empathie und zweifeln nicht. Es braucht klare Leitplanken. Sicher können bestimmte Arbeiten von Robotern effizient ausgeführt werden und so den Journalisten mehr Zeit schenken, sich um Arbeit zu kümmern, die menschliche Fähigkeiten braucht.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Digitalisierung führt sicher nicht zum Tod der Medien, sie ist eine Chance. Aber wie das mit Chancen ist, es gehört auch Mut, Weisheit und Geduld dazu, diese Chancen so umzusetzen, dass etwas Gutes herauskommt.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Es ist gut, wenn Qualitätsjournalismus gefördert wird. 

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, ich bin da altmodisch. Ich habe meine Agenda, die ich beschreibe. Ohne die bin ich aufgeschmissen. Auch Postkarten schriebe ich gern aus den Ferien. Es ist eine Art der Entspannung, einen Stift zu halten, ihn aufs Papier zu setzen, ich mag das.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er hat in jedem Fall den Scheinwerfer eingeschaltet und aufgezeigt, wie fragil Kommunikation sein kann. Die Diskussionen um stabile Berichterstattung, soliden Journalismus wurden angefacht, mehr denn je. Die Sinne sind geschärft. Das ist immer gut. 

Wem glaubst Du?

Ich vertraue auf meinen Menschenverstand, gepaart mit meiner Erfahrung, meinen Mitmenschen, meinen Liebsten. Wenn ich Fragen habe, gehe ich dahin, wo ich auf belegte und reflektierte Antworten hoffen kann. Ich bin immer offen, meine Ansichten zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren. 

Dein letztes Wort?

Zuversicht.


Anna Kohler
Anna Kohler hat nach dem Abitur an der Universität der Künste Berlin Tanz, Gesang und Schauspiel studiert. Sie ist über 15 Jahre auf der Bühne gestanden, bevor si sich entschied, Kulturjournalismus zu studieren, abermals an der UdK Berlin. Seit 2010 ist sie im Journalismus tätig. Seit fünf Jahren bei «m&k», dem Magazin für Marketing und Kommunikation in Zürich. Seit drei Jahren als Chefredaktorin. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.
https://www.werbewoche.ch/de/


Basel, 8. Juni 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 170 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier:

https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/ 

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Ein Kommentar zu "Anna Kohler: «Impulse für Neues bekomme ich im Gespräch mit Menschen»"

  1. H e r r l i c h
    Die Medien/Journalisten-Jünger (Goldbach = TX-Group) meinen, sie können alles.
    Sie dürfen alles.
    Unverletzlich.
    Gehen über Kohle
    Gehen über Feuer
    Sie schweben über allem.
    Doch auch sie verbrennen sich (sehr oft) die Füsse.
    https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/feuerlaufen-endet-fatal-25-verletzte-nach-gang-ueber-heisse-kohlen-in-au-zh-id17578153.html
    ….In die Realität zurückgeholt…..sehr gut…..

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