Anna Kappeler: «Der Inhalt war früher nicht besser, die Arbeitsbedingungen schon.»
Das 356. Fragebogeninterview, heute mit Anna Kappeler, Chefredaktorin bei ellexx. Sie hört zum Frühstück die «Schlieremer Chind», nervt sich über die «Kombi aus Lobhudelei und Selbstbeweihräucherung» auf LinkedIn und hat sich schon lange von linearem Radio und Fernsehen verabschiedet. Sie sagt, Instagram sei ihr «neues X, wo ich mich auch über News informiere, indem ich vielen Medientiteln oder auch (Medien-)Persönlichkeiten folge, die ich spannend finde.» Sie leidet unter «Buch-FOMO», legt Bücher, die sie nicht packen, aber trotzdem nach wenigen Seiten weg. Die «Verschiebung der Wahrheits- und Toleranzgrenze» unter Donald Trump beunruhigt sie, ansonsten habe Donald Trump aber durchaus auch positive Effekte, etwa die «Diskussion um den Wert von Demokratie». Bei allen Schwierigkeiten und überhaupt findet sie: «Journalismus ist nach wie vor der beste Beruf der Welt, die Arbeitsbedingungen sind (gerade als Mutter) aber herausfordernd.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Zählt Schlieremer Chind?
Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?
Instagram ist mein neues X, wo ich mich auch über News informiere, indem ich vielen Medientiteln oder auch (Medien-)Persönlichkeiten folge, die ich spannend finde. Natürlich lasse ich mich ansonsten aber privat auch zu oft zu lange berieseln. LinkedIn versuche ich alle paar Monate mal wieder, nervt mich aber, diese Kombi aus Lobhudelei und Selbstbeweihräucherung. Facebook nutze ich nur noch für Tauschgruppen für Kinderkleider.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Erstaunlich wenig. Scannen der wichtigsten Medientitel («Tagi», NZZ, watson, SRF) vor Arbeitsbeginn, um informiert zu bleiben. Neu ist, dass dies kaum mehr auf Print, sondern online ist.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Der Inhalt war früher nicht besser, die Arbeitsbedingungen schon. Die wiederkehrenden «Reorganisierungen» und damit verbundenen Entlassungswellen beelenden.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Absolut.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Charlotte McConaghy – Zugvögel. Ihre beiden Nachfolge-Romane sind ebenfalls gut, aber nicht überragend wie ihr Debüt.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Weglegen, nach wenigen Seiten. (Früher zwang ich mich bis mindestens zur Hälfte, oder las zumindest den Schluss. An dieser Buch-FOMO leide ich bis heute, eigentlich, aber die Bücher stapeln sich.)
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Reden mit anderen.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Medienkrise hin oder her – länger als wir denken. Hoffe ich.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Beides. Eine Gefahr, da die Glaubwürdigkeit leidet. Eine Chance, um Einordnung zu bieten.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Konsumiere ich nicht.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Ja. Etwa die Nachrichten- und Hintergrundsendungen von SRF, Politbüro, Hotel Matze.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Es fordert uns Medienschaffende heraus, mit unseren Inhalten dorthin zu gehen, wo die Jungen sind.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Reine News-Artikel: Ja. Die für guten Journalismus unabkömmliche Recherche- und Denkarbeit zum Glück aber nicht. Auch Zusammenhänge aufzeigen und gescheite Fragen stellen geht nicht ohne kritische und informierte Journalist:innen. Wir müssen einfach bereit bleiben, dafür auch zu zahlen.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Weder noch.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Ja.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Notizen während Interviews. To-Do-Listen. Poschti-Zettel.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Die Verschiebung der Wahrheit und Toleranzgrenze beunruhigt mich, ansonsten aber durchaus auch gut (Diskussion um Wert von Demokratie etwa).
Wem glaubst Du?
Kindern. Ansonsten dem Bauchgefühl.
Dein letztes Wort?
Journalismus ist nach wie vor der beste Beruf der Welt, die Arbeitsbedingungen sind (gerade als Mutter) aber herausfordernd.
Anna Kappeler
Anna Kappeler ist Chefredaktorin bei ellexx. Davor war sie Reporterin bei watson, Newschefin bei blue News, Inlandredaktorin bei den Schaffhauser Nachrichten und Newsredaktorin bei der Schweiz am Sonntag. Anna Kappeler hat Medien- und Sportwissenschaften an der Uni Basel studiert, sowie Kulturpublizistik an der ZHdK.
https://www.ellexx.com/de/
Basel, 22.10.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Bild: zvg
Seit Ende 2018 sind über 350 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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Ein Kommentar zu "Anna Kappeler: «Der Inhalt war früher nicht besser, die Arbeitsbedingungen schon.»"
Kannte bisher nur „elmex“. Die Zahnpasta welche früher in Therwil produziert wurde, jetzt aber in Polen. Die „Schweizer“ Zahnpasta, bei welcher nur noch der Preis „schweizerisch“ ist, sonst gar nichts mehr. Viva EU – die Polen können anscheinend „besser“ Zahnpasta herstellen – oder fand dieser Zahnpasta-Totalfreimarktmehrverkerhsdeal wohl wegen was anderem statt ?!?
Jetzt kenne ich auch noch“ellexx“. Immer wieder neue Medien – WOBEI ist „ellexx“ ein Medium? Schaut man auf der Netzseite vorbei, liest man mehr über Anlagetipps, Börsen und Beratung. Finanzberatung für Frauen buhlen neuerdings mit speziellen Anlage-Events und «Pink-Portfolios» um Frauen – welche zur Zeit (Trend) überall stärker von der Finanzbranche in die Mange genommen bzw. auf ihr Bestes, ihr Geld abgezielt wird. Weiter dazu steht gerade heute in den Tamedia-Blättern, dass die ehemalige Beraterin und Finanzplanerin Nadine Sadecky vor unvollständigen Angeboten und schlechter Beratung warnt. Beratung kann schnell durch hohe Vermittlungsprovisionen für die Beraterinnen gelenkt werden und nicht durch das Beste für die Kundinnen… Ich empfinde gerade in dem „Medien“-Bereich in dem „ellexx“ operiert eine gefährliche Nähe zwischen „Journalismus“ und Beratung, welche (hoffentlich) so „unabhängig“ wie möglich sei… Denn das Wort „Produkteplazierung“ wird heut in diversen Medien oft „vergessen“ – soweit meine nicht „gesponserten“ Empfindungen zum heutigen „Menschen&Medien“-Beitrag…