Anja Knabenhans: «Ich stimme nicht gern in Jammersermons ein»

Publiziert am 20. Oktober 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Anja Knabenhans, Mitbesitzerin und Chefredaktorin des Medienunternehmens Any Working Mom. Auf die Frage, wie lange es noch gedruckte Tageszeitungen gebe, sagt sie: «Keine Ahnung. Aber ich muss immer schmunzeln, wenn ich Diskussionen dazu höre – weshalb ist gerade das relevant, ob Worte gedruckt sind oder nicht?» Viel eher würde sie interessieren, «wie viele unabhängige Medien es dereinst noch geben wird.» Überhaupt sei ihr «Benefit-Finding» wichtiger. «Als Frau hätte ich früher sicherlich mehr Hürden überwinden müssen als heute.» Auch wenn sie Journalismus liebe, seien es doch «Bücher, die mich am stärksten prägen, nachhaltige Informationen im Gehirn verankern oder mich einfach mit Worten umhauen.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Momentan reichts knapp fürs Durchblättern oder -scrollen einer Tageszeitung und fürs Querlesen von 1-2 Artikeln. Mit zwei putzmunteren und plauderfreudigen Kindern, erfahre ich morgens dafür, welcher Vulkan wie viele Krater hat oder was für brenzlige Situationen Feuerwehrmann Sam zuletzt meisterte. 

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Nutze ich alle, beruflich wie privat. Mit «Any Working Mom» kommunizieren wir sehr stark über Soziale Medien, der Austausch mit der Community funktioniert so unkompliziert und auf Augenhöhe. Privat schwankt mein Output stark, je nach Lust und Laune.

Aus Instagram hole ich zurzeit am meisten Inspiration und Empowerment – mein Feed ist so eingerichtet, dass es sehr wenig mit dem Klischee der oberflächlichen Plattform zu tun hat. Twitter liebte ich lange Zeit heiss und es hat mich im Berufsleben entscheidend weitergebracht: Ich habe meine Geschäftspartnerin Andrea Jansen dank Twitter kennengelernt und auch einige Aufträge von Leuten aus meinem Twitter-Netzwerk erhalten. Heute fehlt mir einfach die Zeit, mich dort gross einzubringen. Facebook ist einfach da, aber keine Herzensangelegenheit. Tiktok hingegen liebe ich als Inspirationsquelle für Themen, die ich weniger auf dem Radar habe.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Gar nicht. Arbeitstechnisch war ich schon vorher ortsunabhängig. Bei Any Working Mom arbeiten wir längst remote – und sind auf vier verschiedene Zeitzonen verteilt. Und mein Medienkonsum hat sich ebenfalls nicht verändert.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Ich stimme nicht gern in Jammersermons ein, bin eher für Benefit-Finding. Klar, früher waren die Perspektiven rosiger, waren mehr Mittel vorhanden usw. Aber als junge Journalistin hörte ich die aberwitzigsten Storys, was sich Kolleg:innen früher so für Extravaganzen geleistet hatten – und fragte mich da schon oft, ob ich in dieser Zeit hätte den Beruf ausüben wollen; Bodenhaftung ist mir wichtig. Als Frau hätte ich früher ausserdem sicherlich mehr Hürden überwinden müssen als heute. 

Nicht zuletzt finde ich es spannend, was gerade passiert – welche Geschäftsmodelle Erfolg haben, welche Art der Personalpolitik längerfristig Bestand hat, inwiefern Engagement des Publikums stattfindet. Ich mag dynamische Zeiten.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Sicher.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Auch wenn ich Journalismus liebe, so sind es doch Bücher, die mich am stärksten prägen, nachhaltige Informationen im Gehirn verankern oder mich einfach mit Worten umhauen. Soeben verschlungen: «Die Erschöpfung der Frauen» von Franziska Schutzbach.

Und ich wünschte, mehr Menschen würden «Raus aus Schema F» lesen, um ihre eigenen Verhaltensweisen zu verstehen – damit wir alle einander öfter im «Gesunden Erwachsenen» begegnen. Täte der Welt zurzeit grad ganz gut, ein tieferes Verständnis von sich und anderen.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Das ist meine Errungenschaft dieses Jahres, übrigens dank obengenanntem Buch über Schema-Theorie: Ich erlaube mir nun, schlechte Bücher wegzulegen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Gespräch mit anderen Menschen, die für ihre Sache brennen. Und via Instagram und Tiktok. Bei Instagram sehe ich oft tolle Empfehlungen bei Menschen, denen ich folge. Und bei Tiktok liebe ich den Algorithmus, der mir immer wieder neue Perspektiven eröffnet. 

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Keine Ahnung. Aber ich muss immer schmunzeln, wenn ich Diskussionen dazu höre – weshalb ist gerade das relevant, ob Worte gedruckt sind oder nicht? Viel eher würde mich interessieren, wie viele unabhängige Medien es dereinst noch geben wird.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Gefahr. 

Und jetzt gehe ich bei deinen anderen Interviews gucken, ob irgendjemand das anders sieht und was die Argumente dafür wären.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Seit ich Kinder habe, nutze ich beides nicht mehr. Ich war noch nie der Radiomensch, bin sehr ungeduldig und leider gnadenlos beim Zuhören. Lineares Fernsehen kam früher bei Sportübertragungen vor – aber sogar die schaue ich heute lieber zeitversetzt.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich liebe Podcasts. Aber ich bin bei diesem Medium eher die Wissenshungrige, Plaudereien oder Reportagen sind weniger meins.

Mein liebster Podcast: «Beziehungskosmos». Wissensvermittlung ohne Eitelkeiten oder wichtigtuerischem Geschwafel, authentisch und auf Augenhöhe. 

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Dass die Medien sich in den A*** klemmen müssen, um diese Zielgruppe zu erreichen. Mit Clickbaiting-Methoden wird es nicht funktionieren, denke ich. Ich fürchte sogar, das steigert die Abkehr dieser Gruppe letztlich. Ich weiss aber nicht genau, wie der Begriff «News» definiert wurde.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Natürlich. Zumindest teilweise.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Auch der Tod wäre eine Befreiung, wenn Journalismus nur noch aus der Konservierung des Bisherigen bestehen würde. Es wird weitergehen, und ich bin sehr gespannt, wie.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Natürlich. Und ich sehe einige Journalist:innen, die mit viel Drive und Dynamik voranschreiten.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Bei Gesprächen immer. Das zwingt mich, die Notizen sofort abzutippen und zu strukturieren. Denn am nächsten Tag kann ich meistens nicht mehr lesen, was ich da gekritzelt habe.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Uff. Ich möchte gar nicht über ihn nachdenken. Ich bin sehr froh, diesen Namen nicht mehr täglich irgendwo zu hören oder zu lesen.

Wem glaubst Du?

Meinem Bauchgefühl. Eine Errungenschaft des Älterwerdens, die ich sehr liebe. 

Dein letztes Wort?

Jetzt habe ich gegoogelt, was Berühmtheiten so für letzte Worte von sich gaben. Bin eine halbe Stunde im Internet-Wurmloch verschwunden – und glücklich wieder aufgetaucht. Worte sind was Wunderbares, egal in welcher Form.


Anja Knabenhans

Anja Knabenhans macht seit 2016 ihr eigenes Ding (www.dingdingding.ch) – mit Texten, Konzepten und Audios. Als Mitbesitzerin und Chefredaktorin des Medienunternehmens Any Working Mom (www.anyworkingmom.com) setzt sie sich ein für mehr Selbstbestimmung und Gleichberechtigung. Davor war sie mehr als zehn Jahre lang Sportjournalistin bei der NZZ und NZZ am Sonntag.


Basel, 20.Oktober 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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