Anja Burri: «Gutes Handwerk ist in Zeiten von Fake News zentral»

Publiziert am 9. Februar 2022 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Anja Burri, Ressortleiterin Inland bei der «NZZ am Sonntag». Sie sagt, es werde «in unserer hektischen, multimedialen Zeit zunehmend zum Luxus, sich uneingeschränkt auf einen Text einzulassen.» Sie fragt sich selbst, welche Zeitungen es in zehn Jahren noch geben wird und sagt: «Ich bin überzeugt, dass die ‹NZZ am Sonntag› neben ein paar wenigen anderen Wochentiteln dazu gehört.» Die Digitalisierung verändere die Rahmenbedingungen und die Anforderungen an Leser:innen und Journalist:innen. «Das fordert uns alle heftig heraus.» Dies umso mehr, als Fake News die Glaubwürdigkeit der Medien bedrohen, «weil es immer mehr Menschen gibt, die nicht zwischen Fake News und Journalismus unterscheiden können.» Anja Burri wünscht sich, dass «es die Verlage schaffen, trotz Medienwandel attraktive Arbeitgeber zu bleiben. Nur so hat der Journalismus, den wir brauchen, Zukunft.» 

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen? 

Am Morgen muss ich wissen, was läuft, und was die Konkurrenz macht. Zum Kaffee machen in der Küche höre ich «Heute morgen» auf SRF, anschliessend lese ich die «NZZ» und den «Tages-Anzeiger» am liebsten auf Papier. Auf dem Weg ins Büro schaue ich online bei den CH-Media-Zeitungen, «Le Temps», «Republik», «Blick», «20 Minuten» und anderen Newsseiten vorbei. 

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Twitter ist für mich ein wichtiges Arbeitsinstrument. Ich folge dort Experten verschiedener Fachgebiete, Politikerinnen und Berufskolleginnen und -kollegen. Immer wieder kontaktiere ich auf diesem Weg auch Leute, die mich beruflich interessieren. So habe ich etwa für unsere Corona-Berichterstattung schon interessante Quellen entdeckt. Facebook nutze ich vor allem zum Kontakthalten mit Bekannten aus allen Teilen der Welt. Instagram öffne ich ab und zu zur Zerstreuung und Unterhaltung auf dem Heimweg, und ganz selten zu Recherchezwecken.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Nicht gross. Ich schaue öfters Netflix, weil ich kaum noch ins Kino gehe.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Weder noch. 

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja, natürlich. Es wird in unserer hektischen, multimedialen Zeit zunehmend zum Luxus, sich uneingeschränkt auf einen Text einzulassen. Zudem glaube ich an den Grundsatz: Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte. Text, Bild und Ton haben ihre Berechtigung, weil sie uns auf andere Arten ansprechen. 

Was soll man heute unbedingt lesen?

Eine Tageszeitung, online oder auf Papier, um informiert zu sein. Und dann, was einen inspiriert: Magazine, Bücher, Websites,… 

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich habe momentan neben meiner Familie und dem Job schlicht keine Zeit für schlechte Bücher. 

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Gespräch mit Freunden oder mit Unbekannten im Zug, beim Schmökern in der Buchhandlung.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Die Frage, die ich mir stelle: Welche Zeitungen wird es in zehn Jahren noch geben? Ich bin überzeugt, dass die «NZZ am Sonntag» neben ein paar wenigen anderen Wochentiteln dazu gehört. Daran arbeiten wir.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Sie sind beides zugleich. Fake News bedrohen unsere Glaubwürdigkeit, weil es immer mehr Menschen gibt, die nicht zwischen Fake News und Journalismus unterscheiden können. Gleichzeitig zwingen sie uns, unser Handwerk hochzuhalten, noch genauer zu arbeiten und uns immer wieder mit unserem Wahrheitsanspruch auseinanderzusetzen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Wir haben keinen Fernseher mehr daheim, sondern einen Beamer, den wir ab und zu hervorholen, wenn die Kinder im Bett sind. So schauen wir Filme. Die Sendungen, die mich interessieren, schaue ich online nach. Ähnlich geht es mir mit dem Radio: Das höre ich vor allem in der Küche, sonst nutze ich Podcasts. 

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja. Ich nutze die News-Podcasts von SRF, und dann liebe ich Podcasts, die mich reinziehen und unterhalten. Das waren zum Beispiel «Zündstoff» oder «Ursula Koch», und immer wieder der Podcast von «Zeit Verbrechen». Einer meiner absoluten Lieblingspodcasts ist nach wie vor mein allererster, der mich für das Format begeisterte: «Der Anhalter». 

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Dass wir immer noch nicht begriffen haben, wie junge Menschen das Netz nutzen. 

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ich würde da unterscheiden zwischen Nachrichten und Einordnung. Abstimmungs- oder Sportresultate, Firmenergebnisse, das alles können auch Roboter. Für die Auswahl der Themen, die Einordnung, die Orientierung wird es immer Journalistinnen und Journalisten brauchen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Ich halte nichts von solchen Extremszenarien. Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte, daran ändert die Digitalisierung nichts, auch nicht daran, dass unsere Demokratie auf guten Journalismus angewiesen ist. Die Digitalisierung verändert die Rahmenbedingungen und die Anforderungen an Leser:innen und Journalist:innen. Das fordert uns alle heftig heraus. Medienunternehmen wie «Bajour», «Hauptstadt», «Die Republik» oder «Tsüri» zeigen, dass gerade sehr viel möglich ist. 

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ja. Gutes Handwerk ist in Zeiten von Fake News zentral. 

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Jeden Tag, ich mache immer noch fast alle meine Notizen und To-Do-Listen von Hand. Das Schreiben mit Stift hilft mir, meine Gedanken zu ordnen. 

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er hat den Medien wohl noch nie dagewesene Aufmerksamkeit (siehe zB Nutzerzahlen der New York Times) gebracht. Gleichzeitig hat er ihren Ruf bei einer grossen Gruppe der Bevölkerung ruiniert und das Schimpfen über JournalistInnen salonfähig gemacht.

Wem glaubst Du?

Meinen Kindern.

Dein letztes Wort?

Ich wünsche mir, dass es die Verlage schaffen, trotz Medienwandel attraktive Arbeitgeber zu bleiben. Nur so hat der Journalismus, den wir brauchen, Zukunft. 


Anja Burri
Anja Burri ist Ressortleiterin Inland bei der «NZZ am Sonntag» und wird per April 2022 stellvertretende Chefredaktorin der «NZZaS». Zuvor war sie bei der Zeitung für das Ressort Hintergrund tätig, und sie arbeitete als Bundeshausredaktorin für den «Tages-Anzeiger» und «Bund». Das journalistische Handwerk lernte sie bei der SDA in Bern und beim «Daily Star» in Dhaka, Bangladesh. Sie hat in Basel und Wien Soziologie, Geschichte und Medienwissenschaften studiert und mit dem Lizentiat abgeschlossen. Anja Burri lebt heute mit ihrer Familie in Zürich.
https://nzzas.nzz.ch/ 


Basel, 9. Februar 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 160 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier:

https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/ 

Wenn Sie kein Fragebogeninterview verpassen möchten,  abonnieren Sie einfach meinen Newsletter. Das kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen «Medienmenschen» sowie den aktuellen Wochenkommentar, einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:

www.matthiaszehnder.ch/abo/

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.