Anina Ritscher: «News sind nicht das wichtigste»

Publiziert am 5. Mai 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Anina Ritscher, Redaktorin bei «Das Lamm». Sie sagt, das «Bereitstellen von Information und politischer Aufklärung kann kein Geschäftsmodell sein». Es wäre deshalb wichtig, «Paywalls abzuschaffen, um seriöse Berichterstattung allen zugänglich zu machen – und Medien stärker staatlich zu fördern.» Einen Grund dafür, dass viele Menschen keinen Zugang zu seriösen Medien finden, sieht sie darin, dass «die Redaktionen, gerade in der Schweiz, nach wie vor sehr homogen sind.» Den Ton geben Akademiker:innen mit Schweizer Vornamen an. Die decken aber «oft nur einen Teil der Lebensrealitäten ab – und erreichen viele Menschen nicht».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich frühstücke jeden Tag im Bett und ohne News. Wenn ich dann am Computer sitze, dann kreuz und quer: «Zeit online», «taz», WOZ, «Republik» und ein Blick auf den Twitter Feed. Ein mediales «Zuhause» habe ich nicht.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Facebook ist für mich tot. Auf Twitter lese ich viel und schreibe dann, wenn mich etwas wirklich aufregt oder sehr freut. Auf Instagram bin ich inkognito unterwegs und poste lustige Bilder.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich lese seither wieder Beiträge auf «SRF.ch». Das liegt aber auch daran, dass ich vorher nicht in der Schweiz wohnte.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

«Früher» kenne ich nur aus Erzählungen. Als Journalistin bin ich «late to the Party». In der Spiegel-Kantine wird zwar noch weisser Spargel mit Weisswein serviert – ich werde aber nicht mehr in den Genuss eines solchen Journalistinnenlebens kommen, fürchte ich.

Ein Redakteur meinte mal zu mir: «Du bist sehr gut. Trotzdem kann ich nicht mehr sicher sagen, ob du je von diesem Beruf leben wirst.» Das war eine harte Nuss für mich, aber auch eine gute Vorbereitung: Als freie Journalistin zu arbeiten ist heute eine Zumutung, da es ein ständiger Kampf um Sichtbarkeit und die richtigen Kontakte ist. Zudem sind die meisten Aufträge grottig bezahlt. Bei Selbstvermarktung, pitchen, netzwerken, bleibt manchmal kaum noch Zeit für Recherchen und schon gar nicht für die grossen Fragen, die in diesem Fragebogen gestellt werden. Einen festen Job auf einer Redaktion zu bekommen, ist auch schwierig. Solche Existenzängste gab es früher, glaube ich, nicht.

Hinzu kommen der Sexismus, den ich erfahre, und der Rassismus, der Freund:innen von mir entgegenschlägt. Er macht den ohnehin schon prekären Beruf noch schwerer. Das wurde vielleicht minimal besser – aber in einem dermassen schleppenden Tempo, dass es mich eher frustriert, als freut.

Der ehrliche Redakteur wurde übrigens wenige Monate nach unserem Gespräch wegen Budgetkürzungen entlassen.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Das letzte Buch, das mich begeisterte, war «Streulicht» von Deniz Ohde. Es ist politisch, ohne die Diskurskeule zu schwingen.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lege mindestens die Hälfte aller Bücher nach 50 Seiten weg. Manchmal schon früher.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

An der Uni, wo ich gezwungen bin, mich mit trockenen Themen zu beschäftigen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Hoffentlich nicht mehr lange. Gedruckte Zeitungen sind sehr unpraktisch. Ständig schütte ich Kaffee drüber oder einzelne Seiten wehen davon. Ich sag mal: sieben Jahre maximal.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Die Verbreitung von Falschnachrichten im Internet macht etwas sichtbar, was vorher schon stimmte: Viele Menschen wissen nicht, wie man Quellenkritik betreibt. Das lernt man ja nicht unbedingt. Es ist also in dem Sinne eine Chance, dass sowohl Medien als auch Bildungsinstitutionen überlegen müssen, wie sie dieses Wissen vermitteln können.

Ein wichtiger Schritt wäre es zudem, Paywalls abzuschaffen, um seriöse Berichterstattung allen zugänglich zu machen – und Medien stärker staatlich zu fördern. Das Bereitstellen von Information und politischer Aufklärung kann kein Geschäftsmodell sein.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich liebe fernsehen, weil ich bei der Filmauswahl faul bin. Ich besitze aber leider keinen Apparat.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Es gibt zu viele Gute, um sie alle aufzuzählen. Aktuell höre ich den Hanau-Podcast «190220». Ausserdem mag ich «The Daily» von der New York Times und den Podcast der Bildungsstätte Anne Frank.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

News sind nicht das wichtigste. Was sicher stimmt: Viele Menschen finden keinen Zugang zu seriösen Quellen. Das liegt auch daran, dass die Redaktionen, gerade in der Schweiz, nach wie vor sehr homogen sind. Den Ton geben Akademiker:innen mit Schweizer Vornamen wie Barbara, Daniel oder Markus (oder Anina) an. Die bestimmen also, welche Themen in der Öffentlichkeit Platz bekommen. Damit decken sie aber oft nur einen Teil der Lebensrealitäten ab – und erreichen viele Menschen nicht. Glücklicherweise gibt es mittlerweile Projekte wie «baba news» oder «Neue Schweizer Medienmacher*innen», die gegensteuern.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Maschinen sind besser als Menschen in fast allem. Daher finde ich das plausibel. Ich fände sogar gut, wenn die den Job übernehmen könnten. Allerdings müsste dann jemand anderes meinen Lohn bezahlen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Ich bin mit digitalen Medien aufgewachsen, kenne also nichts anderes. Für uns Journalist:innen hat es wohl vieles anstrengender gemacht, weil es schneller gehen muss. Und weil mehr von uns erwartet wird: Um Kosten zu sparen, müssen Journalist:innen heute nicht nur recherchieren und schreiben, sondern auch filmen, fotografieren, live-tickern und Videos schneiden können und dann auch noch Social-Media-Profis sein.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Wenn damit gemeint ist, dass Reporter:innen mit Politiker:innen Champagner trinken und dann hochtrabende Leitartikel schreiben, für die ihre Redaktion ihnen ein Leben mit weissem Spargel ermöglicht – eher nicht.

Wenn mit professionell gemeint ist, dass Menschen die richtigen Fragen stellen, wissen wie man recherchiert, auf Leute zu gehen, kritisch sind und ihre Erkenntnisse dann öffentlich machen: Auf jeden Fall. Das ist unentbehrlich.

Die Frage ist eher, wer wird es bezahlen. Meine Prognose: Journalismus wird eine Angelegenheit für Mäzene, so wie Kunst und Kultur es schon sind.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Höchstens Notizen, meine To-Do-Liste oder in meinen Kalender.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Ein Faschist an einer der mächtigsten Positionen der Welt kann niemals gut sein, für niemanden, ausser für andere Faschisten.

Wem glaubst Du?

Meinen Freundinnen.

Dein letztes Wort?

Bildet Banden.


Anina Ritscher
Anina Ritscher, geboren 1994 in Zürich, besuchte die Reportageschule in Reutlingen und absolvierte diverse redaktionelle Praktika. Sie ist nicht gerne allein, daher sucht sie immer Verbündete: Als Redakteurin arbeitet sie für das selbstverwaltete Onlinemagazin «Das Lamm», als freie Journalistin ist sie im «Selbstlautkollektiv» organisiert. Sie schreibt unter anderem für die taz, die WOZ, die Republik, das DUMMY Magazin. Nebenher studiert sie im Master European Global Studies an der Uni Basel.


Basel, 5. Mai 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:
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2 Kommentare zu "Anina Ritscher: «News sind nicht das wichtigste»"

  1. Liebe Anina Ritscher (oder darf man das heute «Frau» überhaupt noch schreiben?)
    «Bildet Banden» – Diese 2 Worte sind in Basel ganz klar linksradikalen Kreisen zuzuordnen.
    Ich kennen Sie nicht, Frau Ritscher – doch ich kennen nur zu gut die 2 Worte:
    Sie klebten auf Plakaten ca. 2-3 Wochen (oder kleben immer noch da schwer abzulösen) in der ganzen Kleinhünigerstrasse. An allem. Überall. Ungefragt. Holzhaustüren, Fassaden, über Rollläden (die sich nachher nicht mehr öffnen liessen) usw…. , zusammen mit Schwarz vermummten Frauen, welche alle die Faust hoben. Es wurde mir «Gschmuch».
    Sie wiesen auf eine der samstäglichen Feministischen-Antifaschismus-Demos, gepaart mit den Basler-Berufs-Demo-Kurden, welche die Kurdenfrage, wie man nachher sieht, stets als Vandalismusorgie gebrauchen.
    Die ganze Clarakirche war mit politischen Parolen zugeschmiert, die ganze Hammerstrasse, Clarastrasse usw…. Scheiben gingen in Brüche.
    Es war, nach Polizeiaussagen, der linksradikale schwarze Block aus Basel – und dessen Chaoten-Touristen, welche die meist vandalisiertesten Stadt Europas gerne besuchen.
    Es folgten viele weitere Samstagsdemos, unverständlich für die Mehrheit der Bevölkerung, lästig für die Einkaufenden, Existenzbedrohend für Ladenmieter und Anwohner.
    An der jetzigen 1. Mai Demo gab es auch wieder 2 Abteilungen. Die wenigen klassichen SP-Demonstranten (mit roten Nelken am Revers) und dann in Massen die Linksradikalen.
    Sie zogen mit obigen Parolen durch die St. Johanns-Vorstadt und hinterliessen ihre bekannten Spuren: Am HdM-Architekten-Erweiterungsbau (ehem. alte St.-Johanns-Post) über die Architektenbürofenster «FTP» oder auch «ACAB», was «All Cops are Bastards» heisst, was Sie sicherlich wissen; dann im weiteren Verlauf im St. Johanns-Park, wo es (laut «BZ» und «BaZ») zu schweren Ausschreitungen kam zwischen den «gebildeten Banden» und Einsatzkräften der Polizei. In näherer Umgebung (z.B. Mülhauserstr) überall Parolen von «ANTIFA» bis «Bullen sind Schweine» (am Haus neben der Johannes-Kirche notabene). Und an der Johanniterstr. liest man seit dem Demozug klipp und klar: «Kill Cops». Also ein Aufruf zu Mord. Ein schwerer Tatbestand.
    Ebenfalls seit diesen Geschehnissen prangen am St. Johanns-Tor die Schriftzüge: «No Border, no Nations, No Lager, No Securitas». Ebenfalls am Reise-Touristen-Passagiertermial St. Johann, wo Schiffsreisende nach Basel kommen – weitere Aufrufe zu kommenden Demos im Juni 2021, wüsten Parolen und blanker Zerstörung (Verkleben der Schliesszylinder, Attackieren der öffentlichen Beleuchtung) usw… sind an der Tagesordnung.
    Schade kann ich hier kein Foto des St. Johanns-Tors reinstellen, nicht nur jedem Basler blutet das Herz, es ist auch ein Stich ins Herz an alle, welche normal Denken und Handeln können.
    «Bildet Banden» – eine Aussage, welche klar dem linksextremistischen Spektrum zuzuordnen ist.
    Man sollte vorsichtig damit umgehen. Auch wenn Linksextremistische Taten zur Zeit «en Vouge» sind, wie eine Infobox von CH-Media aufzeigt, viel mehr als Rechtsextremismus – wobei ich beides abscheulich finde. Auch diese Infobox kann ich – wiederum Schade – nicht direkt hier reinstellen kann, dennoch möchte ich einige Zahlen daraus gerne hier auflisten:
    Dem NDB gemeldete Links- und Rechtsextremistische Ereignisse (ohne Schmierereien) im Vergleich (Quelle Lagebericht 2020 Nachrichtendienst des Bundes)
    Jahr 2012 Links 229 Rechts 46
    Jahr 2013 Links 207 Rechts 35
    Jahr 2014 Links 219 Rechts 18
    Jahr 2015 Links 199 Rechts 28
    Jahr 2016 Links 213 Rechts 28
    Jahr 2017 Links 200 Rechts 16
    Jahr 2018 Links 226 Rechts 53
    Jahr 2019 Links 207 Rechts 29
    Wobei die Gewalttaten beim Linksextremismus stets um das Doppelte wenn nicht um das Dreifache liegen.
    Sprache ist Macht. Wer weiss das besser als Ihr Journalisten. Deshalb sollte man sie mit Bedacht auswählen. Und Aufrufparolen, gar Hetzparolen wie «Bildet Banden» usw. klingen schnell nach Nähe zu Gewalt, Vandalismus und Politischem Fanatismus.
    Frau Ritscher – der politische Zentrismus (wobei ich hier nicht an die Partei «Die Mitte» denke), das Masshalten und der Verstand bringen uns weiter, extremistische Parolen und Schlag-Worte nur Hass, Hetze und viel teure Reparaturrechnungen.

  2. Frau, Journalismus, junge Frau, Print, Medien…..
    Dazu passt:
    Hochinteressantes Gespräch mit Jacqueline Krause-Blouin, Chefredaktorin der annabelle, welche nebst viel anderem sagt: «Frauen wollen lieber schreiben, Power interessiert sie weniger als die Männer.» Interessante Ansichten, Anregungen – alles in der „Somm-Show“ vom (neuen) Nebelspalter.
    https://www.nebelspalter.ch/somm-show-mit-jacqueline-krause-blouin,-chefredaktorin-annabelle
    Und die Moral von der Geschichte: Gutes kann auch von Rechts-Bürgerlich kommen…..

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