Andrea Fopp: «Hätten wir mehr Journalistinnen, hätten wir auch mehr Leserinnen»

Publiziert am 17. Juli 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit der Basler Journalistin Andrea Fopp über ihren persönlichen Mediengebrauch, ihren Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Sie sagt, mit dem Internet sei das Angebot an spannenden Geschichten viel grösser geworden – «und manche sind sogar von einer Frau gemacht». Fopp fordert, «wir Journis müssten uns mehr Mühe geben, News so zu präsentieren, dass es Spass macht, sie zu lesen». Es wäre deshalb gut, «wenn wir Journalistinnen und Journalisten die platten Wir-gegen-alle-Spielchen der Politik nicht befeuern, sondern einen zivilisierten Ton anschlagen und konstruktive Debatten führen. Dann hören die Leute vielleicht eher zu.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Der «Tagi». Er dürfte schon fehlen, ist aber, nebst der «Zeit», die einzige Print-Zeitung, die wir im Haus haben, da mein Mann im Familienunternehmen «Tamedia» arbeitet. «bz Basel» und «BaZ» lese ich im Büro auf dem Handy, das kann ich zu Hause am Frühstückstisch ja schlecht machen, wenn meine Tochter mir gegenüber sitzt, von wegen Vorbildfunktion und so. Was aber würkli nie fehlen darf, ist das SRF Regionaljournal Basel am Abend. Die vertrauten Stimmen aus dem Radio fassen mir die Basler News des Tages zusammen, während ich abwasche oder eine Runde drehe. So entspannend.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Ich hasse sie alle ein bisschen. Auf Twitter kriege ich mit, welche Journalisten und Politikerinnen sich jetzt schon wieder streiten. Das ist praktisch. Aber ich habe zu wenig Selbstkontrolle und lasse mich selbst hin und wieder zu seinem solchen Fight hinreissen – und dann werde ich hässig auf mich selbst. Auf Facebook schaue ich vor allem, was meine Freundinnen und Freunde im Ausland so machen. Instagram, och, ist mir doch egal, in welchem Outfit ihr euch am Strand fläzt. Aber das darf man ja fast nicht sagen, als moderne Irgendwas-mit-Medien. So habe ich halt trotzdem einen Insta-Account.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Bei 9/11 war ich 17 Jahre alt und an einer Pfadisitzung. Eine Gschpändli sagte: «Habt ihr gehört?» Heute würde ich mich bei SRF informieren und dann noch ein paar hintergründige Sachen lesen, die Journalistinnen und Journalisten meines Vertrauens auf Twitter empfehlen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

In den 80er Jahren, so lasse ich mir sagen, konnte man als freie Journalistin reich werden. Und bekam nicht ständig einen PR-Schönschwätzer vorgesetzt, wenn man mit Firmenbossen, Politikerinnen oder Verwaltungsmenschen reden wollte. Wie grossartig! Handkehrum, als ich mit 18 Jahren realisierte, dass Politik ja gar nicht sooo langweilig ist, fing ich an, die Südostschweiz zu lesen und merkte: die Zeitung aber schon. Mit diesem Internet ist das Angebot an spannenden Geschichten viel grösser geworden, heute finde ich tolle Reportagen aus aller Welt. Und Videos obendrauf. Und manche sind sogar von einer Frau gemacht.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja. Sogar gedruckte Worte.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Müssen muss man gar nichts, von mir aus dürft ihr auch Netflix gucken. Ich persönlich finde Joan Didion und Toni Morrison grossartig. Oder Siri Hustvedt, ihr Ehemann ist auch gut. Und wer sich immer noch einbildet, er habe seinen Erfolg verdient, der soll doch mal Pierre Bourdieu lesen. Und wer glaubt, diese böse Identitätspolitik mache alles kaputt, Laurie Penny.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Mittlerweile lege ich sogar Bücher weg, die Kritiker in den Himmel loben, wenn ich sie nicht unterhaltsam finde.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In Gesprächen mit Leuten.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Kommt ein bisschen drauf an, wie viele Subventionen die Verleger in die, neuerdings offene, Hand bekommen. Tageszeitungen lassen sich, so man kein Kind am Frühstückstisch sitzen hat, locker auf dem Handy lesen. Wochenzeitungen und Magazine werden die Leute aber noch lange auf Papier lesen wollen, glaube ich.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Wenn wir richtig darauf reagieren, sind sie zumindest keine Katastrophe. Ich glaube, die Leute sind nicht so blöd, wie wir denken. Die entscheiden recht bewusst, wem sie vertrauen und wem nicht. Manchmal sogar bewusst wider die Vernunft, weil die falsche Botschaft sich richtiger anfühlt. Deshalb wäre es gut, wenn wir Journalistinnen und Journalisten die platten Wir-gegen-alle-Spielchen der Politik nicht befeuern, sondern einen zivilisierten Ton anschlagen und konstruktive Debatten führen. Dann hören die Leute vielleicht eher zu. Leider haue ich auch öfters drein, als mir lieb ist. Nur mit Worten, natürlich, aber trotzdem.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Konsumiere ich nie. Doch, Moment: Am Sonntag morgen hören wir mit der Familie die «Sunntigsmusig» von Reeto von Gunten und tanzen durchs Haus.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Momentan höre ich «Hotel Matze». Und natürlich «Untenrum» von Kollegin Naomi Gregoris. Berührt hat mich «How to be a girl», der Podcast einer Mutter, die ein Transgender-Kind hat. Aber ich suche schon lange einen Podcast von einem Unternehmer, der über sein Business erzählt, ohne sich dabei ständig auf die Brust zu trommeln und zu bluffen, wie wichtig und durchtrainiert und leistungsfähig er ist. Anyone?

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ach, was heisst schon «depriviert». Nur, weil sie nicht ständig «NZZ» lesen, heisst das nicht, dass sie über die wichtigen Themen nicht Bescheid wissen. Aber klar, wir Journis müssten uns halt schon mehr Mühe geben, News so zu präsentieren, dass es Spass macht, sie zu lesen. Meine 29-jährige Schwester, zum Beispiel, liest regelmässig Zeitung, aber mit einem Fremdwörterbuch in der Hand. Das kann’s ja nicht sein, oder? Und hätten wir mehr Journalistinnen, hätten wir auch mehr Leserinnen, bilde ich mir jetzt ein, ohne Zahlen zum weiblichen Lesermarkt gefunden zu haben.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Hat der liebe Tagi-Roboter inzwischen gelernt, dass Basel-Stadt nur drei Gemeinden hat und es deshalb keinen Sinn macht, zu schreiben, Basel gehöre zu den «Top drei» des Kantons, die so und so abgestimmt haben? Von mir aus sollen Computer Daten sammeln und auswerten. Herr Supino sollte es aber nicht übertreiben (ein Drittel ???) und das eingesparte Geld in die Redaktion zurückfliessen lassen. Ich glaube nämlich nicht, dass ein Roboter Geschichten schreibt, die man lesen will. Nicht einmal Supino selbst.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Für konstruktive Debatten, gut verständliche Hintergründe und süffige Geschichten mitten aus dem Leben: ja. Für langweilige Hofberichterstattung und protzigen Machojournalismus: nein.

Spielt es eine Rolle, ob ein Text auf Papier oder im Internet veröffentlicht wird?

Man liest aufmerksamer auf Papier. Und man kann das Handy dabei in den Flugmodus schalten oder im Blumentopf vergraben.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Notizen. Und Karten an Menschen, die ich gern habe.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Seit er Präsident ist, steigt die Nachfrage nach gescheiten Geschichten und Artikeln über Frauenpolitik. Das ist gut, auch wenn sich Journalisten nicht grad über jeden seiner Fürze auslassen müssten. Aber Trump ist schlecht für die Menschen. Wenn ich wählen könnte, hätte ich lieber gesunde Flüchtlingskinder als eine gute Reportage, die erzählt, wie Trump die Flüchtlingskinder quält.

Wem glaubst Du?

Nicht mal mir selbst.

Dein letztes Wort?

Wer noch nie Bullshit rausgelassen hat, werfe den ersten Wasserballon.


Andrea Fopp

Andrea Fopp (36), war vorher bei der «TagesWoche» und tüftelt jetzt beim neuen Basler Medienprojekt von Matthias Zehnder und Hansi Voigt mit. Sie ist aus Chur und hat Basel lieber als Zürich. Ah ja, und sie hat Soziologie und Anglistik studiert.


Wittdün auf Amrum, 17. Juli 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jede Woche ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar und einen Buchtipp. Einfach hier klicken.

Ein Kommentar zu "Andrea Fopp: «Hätten wir mehr Journalistinnen, hätten wir auch mehr Leserinnen»"

  1. Tamedia als Familienunternehmen zu bezeichnen, ist schon recht verniedlichend. Wenn man ein dort ein Anliegen hat, wird man herablassend behandelt. Auf Anregungen (zur Verbesserung ihrer Printprodukte) wird erst gar nicht eingegangen und wenn, dann höchst oberflächlich. Nein, Tanedia ist eine knallharte Profit-Maschinerie welche die Schweiz Medial (und Meinungstechnisch) zu beherrschen versucht und ihre Blätter sind Esel, welche goldene Dukaten scheissen für die Tanedia-Dynastie. Und zwar reichlich – wie die Weltwoche in einer ihrer letzten Ausgaben aufdeckte . Tamedia ist das profitabelste Medienhaus Europas und gewinnbringender als eine Times oder New York Times.
    Immer schön Mainstream bringt Kohle – Kein Patron der Hinsteht mit Meinung und Rückgrat. So geht Familienunternehmen, das sieht also wirklich anders aus.
    Definitiv klar: Anders als Tamedia.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.