Alexandra Stark: «Das Businessmodell ist tot. Trotzdem brauchen wir Journalismus»

Publiziert am 30. Januar 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Alexandra Stark, Reporterin, Studienleiterin und Journalismus-Coach, über ihren persönlichen Mediengebrauch, die sozialen Medien und die Zukunft des Journalismus im Allgemeinen und der Zeitungen im Besonderen.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich frühstücke nicht, ich checke vor dem Aufstehen auf dem Handy, was läuft. Im Moment schau ich vor allem die Luzerner Zeitung an, da ich gerade drei Monate dort arbeite. Medien konsumiere ich am Abend, aber auch dann online (vor allem «NZZ», «Tagi», «Echo der Zeit»).

Im Zweifel lieber Text ohne Bild oder Bild ohne Text?

Das ist sehr schwierig… Wenn es wirklich nicht anders geht: Text ohne Bild. Am allerliebsten aber Text UND Bild.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Facebook: Ich bin noch dabei, weil ich in vielen spannenden geschlossenen Gruppen bin. Facebook ist für mich sonst aber komplett nutzlos geworden – ich bekomme nur noch Quatsch mit Werbung angezeigt.

Twitter: Ich weiss nicht, was ich ohne Twitter machen würde. Ich brauch Twitter, um mich zu meinem Lieblingsthema «Zukunft des Journalismus» auszutauschen. Für mich ist Twitter ein Ort, an dem ich die Inputs vieler konstruktiv denkender und spannender Menschen aus aller Welt mitbekommen kann.

Instagram: hab ich ein Konto, bin aber fürchterlich allergisch auf die Instagram-Ästhetik.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lege sie weg, habe dann aber ein schlechtes Gewissen.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Ich gehe online auf die Seiten der grossen internationalen Medienhäuser («NYT», «BBC», etc.), suche lokale Medien und schaue auf Twitter. Das Gefundene check ich dann mit der DPA-Berichterstattung gegen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Da ich viel unterwegs bin, treffe ich immer wieder spannende Menschen, die mir solche Dinge erzählen.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Warum nicht? Wir werden neben dem geschriebenen Wort einfach noch mehr Möglichkeiten haben, Neues zu erfahren. Und das ist gut so.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Robert Gernhardt

Papierbuch oder Kindle?

Papier.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

So lange es Leute gibt, die genug dafür bezahlen (oder solange die Verleger gut lobbyieren).

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

TV: schau ich kaum noch, auch nicht nicht-linear

Radio: höre viel nicht-linear (SRF4 und russische Sender, um die Sprache nicht zu vergessen), wenn ich ein Hintergrundrauschen brauche, dann höre ich auch mal live (SRF3).

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja. Mein Lieblingspodcast ist Freakonomics.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Für die Medien bedeutet es, dass langfristig die Nachfrage zusammenfällt und es sich irgendwann mal nicht mehr lohnt. Dann wird der Laden dicht gemacht.

Für die Gesellschaft heisst es, dass immer mehr schlecht oder einseitig informierte Menschen Entscheidungen treffen (oder, das ist wahrscheinlicher, es eben nicht tun, das ist auch nicht gut).

Das Businessmodell ist tot. Trotzdem brauchen wir Journalismus. Wer in einer Demokratie die Grundversorgung der Bevölkerung mit unabhängigen Informationen einem nicht funktionierenden Markt überlässt, ist meiner Meinung nach entweder verblendet oder profitiert davon. Ich befürworte deshalb eine direkte Medienförderung, vor allem für digitalen lokalen und regionalen Journalismus. Denn dafür wird es (im Gegensatz zu Special Interest oder anderen Themen mit grosser Reichweite) nie einen Markt geben (was dann passiert: siehe erster Teil meiner Antwort).

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Wenn Medien = Vielfalt an Meinungen, die für ein breites Publikum zugänglich sind, dann: besser.

Mir bereitet die Medien-Konzentration auch Sorgen, aber eigentlich nur im Print. Online haben wir viel mehr Möglichkeiten, andere Quellen zu nutzen sowie Sichtweisen und Meinungen kennenzulernen oder sie gar selber unter die Leute zu bringen (z.B. über Nischenmedien, Blogs, etc.). Für mich ist der vielbeweinte Verlust an Meinungsvielfalt zu einem weiten Teil nicht viel anderes als ein Verlust von Deutungshoheit. Und zwar von einer im Verhältnis zum Rest der Gesellschaft doch recht kleinen Gruppe von vor allem älteren Männern, für die nur zählt, was in der Zeitung steht.

Wenn Medien = Businessmodell und Bedingungen, wie Qualität zustande kommt, dann: schlechter

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ja. Professionell muss Journalismus sein, weil alles andere die Unabhängigkeit gefährdet.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, sehr viel.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ein Teil lässt sich sicher automatisieren. Die entscheidende Frage ist: Macht es aus journalistischen Überlegungen Sinn? Ich finde z.B. «Tobi», der beim «Tagi» Abstimmungsresultate sobald sie da sind automatisch auf jede Gemeinde runterbricht, eine super Ergänzung mit viel Mehrwert für den User. Grundsätzlich finde ich: Was sinnvollerweise automatisiert werden kann, soll auch automatisiert werden. Schön wäre es natürlich, die Effizienzgewinne würden in den Journalismus fliessen und nicht in die Taschen der Verleger…

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Aus finanzieller Perspektive (=Aufmerksamkeit) gesehen scheint Trump gut zu sein – zumindest in der kurzen Frist. Langfristig fürchte ich, verscheuchen wir mit der weitgehend unreflektierten Art, wie wir mit seiner Kommunikation umgehen, das Publikum. Denn für sie kommt dabei nichts heraus, ausser einem beelendenden Ohnmachtsgefühl. Ich kann jeden verstehen, der unter diesen Umständen lieber Katzenvideos schaut. Die bringen einen zwar auch nicht weiter, deprimieren aber wenigstens nicht.

Wem glaubst Du?

Allen, die transparent Beweggründe und Finanzierung sowie ihre Quellen offenlegen, so dass ich mir selber eine Meinung über ihre Glaubwürdigkeit bilden kann. Meine finden sich übrigens hier.

Dein letztes Wort?

Noch nie hatten wir so viele Möglichkeiten, Geschichten zu gut zu erzählen und ein Publikum zu erreichen. Wir haben daraus noch nicht viel gemacht. Das müssen wir ändern!


Alexandra Stark

Alexandra Stark (48), freie Journalistin & Studienleiterin am MAZ. Lehrerseminar, Studium der Staatswissenschaften (HSG). Ringier Journalistenschule, 7 Jahre Korrespondentin in Moskau. Master in New Media Journalism, Vorstandsmitglied European Journalism Training Association, Mitglied von Media Forti & des Publizistischen Beirats von CH Media. www.alexandrastark.ch / www.journalism-reloaded.ch


Basel, 30. Januar 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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2 Kommentare zu "Alexandra Stark: «Das Businessmodell ist tot. Trotzdem brauchen wir Journalismus»"

  1. Das ist sehr treffend ausgedrückt: „Das Businessmodell ist tot. Trotzdem brauchen wir Journalismus.“ Und ich glaube dass es kein Privileg der Journalisten ist, in solch einer Welt zu leben: Ich glaube vielmehr dass es in Zukunft immer weitere Bereiche des Lebens betreffen könnte.

    Mein Traum: Dass es wieder vermehrt Betriebe gibt, für die wieder die Befriedigung von echten Bedürfnissen im Zentrum der Bemühungen steht – also z.B. guter Journalismus, aber auch viele andere Dinge – und nicht die Maximierung von Gewinnen.

    Ein ausgeglichener bis leicht positiver Jahresabschluss ist dann „Mittel zum Zweck“, nicht mehr Selbstzweck.

    Das wird von Menschen abhängen, die die Bedürfnisse erkennen und bereit sind, dafür zu arbeiten. Und von Menschen, die bereit sind, diese Tätigkeit dann auch wiederum zu unterstützen.

    Ob direkte Medienförderung hingegen wirklich hilft wage ich zu bezweifeln: Da ist zu viel Politik drin! Wir haben ja schon seit 1.1.19 das Fernseh-Zwangsgeld, über das ich mich jetzt täglich ärgern darf – weil Fernsehen nun genau das Medium ist was ich wirklich nicht brauche! Vielleicht werde ich dafür dann die abonnierte Tageszeitung abbestellen: die schwindet auch dahin – und dort kann ich bisher wenigstens noch selber entscheiden ob ich sie haben will oder nicht.

    1. Solche und andere Fragen stelle auch ich sowohl bezüglich diverser Bereiche im allgemeinen als auch speziell betreffend Medien immer wieder und immer öfter. Oft finde ich es schwer zu entscheiden, ob es (finanzielle) Abhängigkeit, (gemeine) Absicht, (schiere) Mutlosigkeit, (schlichte) Unfähigkeit oder manchmal vielleicht auch mehr oder weniger alles ist: Medienleute, die genial auf den Wellen des Unverbindlichen surfen, finde ich überflüssig.

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