Alexandra Pavlović: «LinkedIn ist für mich das neue Facebook»

Publiziert am 5. Juni 2024 von Matthias Zehnder

Das 284. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Alexandra Pavlović, Head of Social Media bei CH Media. Sie sagt, dass man früher «deutlich mehr Zeit für seine Geschichten» hatte. Das sei aber weder besser noch schlechter: «Früher hat man Journalismus mit den bestmöglichen zur Verfügung stehenden Mitteln produziert. Dasselbe tun wir heute.» Sie ist überzeugt, dass es gedruckte Zeitungen noch sehr lange geben wird, «geschätzt vielleicht noch 100 Jahre. Ich glaube aber, dass sie früher oder später nicht mehr täglich erscheinen werden, sondern nur noch ein- bis zweimal pro Woche. Angesprochen auf die Nachrichtenabstinenz der jungen Menschen sagt sie, die Verlage hätten es verschlafen: «Offensichtlich haben wir es verpasst, eine Erzählweise zu schaffen, welche die Jüngeren anspricht.» Die Branche müsse sich rasch von alten Mustern lösen und mit den neuen Mitteln arbeiten. Sorgen macht ihr, «wie viel die Techgiganten absaugen und Medienhäuser sich ständig deren Bestimmungen beugen müssen». Die Schweiz komme deshalb wohl nicht um eine Medienförderung herum. «Wir müssen unseren Mitmenschen noch stärker vermitteln, wie wichtig Journalismus ist», sagt sie. Der Beruf müsse mehr Anerkennung erfahren. «Das ist nicht einfach ein Job.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich habe nicht ein spezifisches Medium, das ich nutze, sondern eher eine Mischung von Online-Portalen, Newslettern und Radiosendern. Nutzen tue ich das «St.Galler Tagblatt», den «Tages-Anzeiger», den «Spiegel», die Morgenlage der DPA, «Jutarnji List» (kroatisches Medium), das Briefing der «New York Times» sowie die News von SRF 1 und die Kurznachrichten des «Deutschlandfunk». Sonntags lese ich zudem gerne die «NZZ am Sonntag» und «BalkanInsight».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, LinkedIn, YouTube, TikTok und BeReal?

Facebook nutze ich hauptsächlich für die Arbeit. Auf Twitter war ich früher aktiver und habe Ideen oder Inputs für Geschichten gefunden. Mittlerweile konsumiere ich diese Social-Media-Plattform kaum. Es findet zu viel Hass und Diskriminierung statt, das will ich mir nicht mehr länger antun. Instagram und LinkedIn brauche ich nicht nur für meine tägliche Arbeit, sondern bin da auch privat aktiv. Zudem finde ich es spannend zu beobachten, wie sich diese Plattformen entwickeln. LinkedIn zum Beispiel wurde früher kaum beachtet, mittlerweile ist jeder dort. Für mich ist es das «neue» Facebook. Auf YouTube schaue ich mir hauptsächlich Dokumentationen und Reportagen an. TikTok wollte ich mir zunächst nicht auch noch antun, doch irgendwann war die Neugier stärker. Ich poste dort zwar kaum etwas, bin eher Konsumentin. Nutzen tue ich die Plattform aber immer mal wieder für Recherchen und für meine Reiseplanung. Die Restaurants in einem Ferienort suche ich manchmal via TikTok. Ich konnte damit so manches Bijou finden. BeReal habe ich mal ausprobiert, war mir persönlich zu wenig spannend und nutze es daher nicht mehr.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Früher hatte man deutlich mehr Zeit für seine Geschichten. Heute muss alles schneller gehen. Das Tempo hat sich beschleunigt. Was nicht verwundert bei all der Technik, die uns heute zur Verfügung steht.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder noch. Früher hat man Journalismus mit den bestmöglichen zur Verfügung stehenden Mitteln produziert. Dasselbe tun wir heute.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Aber klar. Das geschriebene Wort wird nie aussterben.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Alles, was einen interessiert! Egal ob Buch, Magazin, Blog oder ein kurzer Text – Hauptsache man liest. Durch Lesen kann man seinen Horizont erweitern, lernt Neues und wird toleranter. Ich zum Beispiel bin fasziniert von Biografien oder von Erfahrungen, die Menschen erlebt haben und diese dann in Büchern teilen. Neulich habe ich «Bürde & Segen» fertiggelesen. Die Autorin Shqipe Sylejmani verarbeitet darin ihre Migrationserfahrungen. Ein Thema, das mich als Frau mit einer eigenen Migrationsgeschichte, immer sehr interessiert. Gerade aktuell lese ich das Buch «Dramaqueen: Frauen zwischen Beurteilung und Verurteilung». Via Instagram und TikTok bin ich auf die Autorin Sara-Louise Witter gestossen. Auf ihrem Instagram-Kanal «WasTaraSagt» behandelt sie Themen wie Feminismus, toxische Männlichkeit oder den Einfluss von Medien auf die eigene Identität. Und als nächstes werde ich dann «Knife: Gedanken nach einem Mordversuch» von Salman Rushdie lesen. Man konnte so viel lesen über das Attentat auf ihn. Wie der Autor das Ganze selbst erlebt und verarbeitet hat, welche Gedanken er danach hatte, will ich unbedingt erfahren.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ersteres. Das Vorwort muss mich schon überzeugen, sonst fange ich gar nicht erst an das Buch zu lesen. Und wenn es mich nach den ersten zwei Kapiteln nicht fesselt, lege ich es weg.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Bei Gesprächen mit Freunden und Verwandten, auf Social Media (Instagram und TikTok), in Podcasts und Dokus.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Gedruckte Zeitungen wird es noch sehr lange geben. Geschätzt vielleicht noch 100 Jahre. Ich glaube aber, dass sie früher oder später nicht mehr täglich erscheinen werden, sondern nur noch ein- bis zweimal pro Woche.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Ich würde sagen beides. Wir sollten uns aber stärker auf die Chance konzentrieren. Jede Gefahr ist auch eine Art Alarmzeichen, dass es mit dem Bestehenden so nicht weiter geht. Wir müssen uns also hinterfragen, reflektieren, verbessern. Nur so können wir besser werden und unsere Arbeit effizienter gestalten und ausführen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Lineares Radio höre ich nur noch beim Autofahren, sonst höre ich zum Beispiel die News eher nach. Im Gegensatz zu meinen Eltern, bei denen etwa die «Tagesschau» oder die regionalen TV-Nachrichten fester Bestandteil im Alltag sind und immer zur entsprechenden Sendezeit geschaut werden, konsumiere ich nicht mehr vieles live. Beim Fernsehen sehe ich einzig Sportveranstaltungen live oder Sendungen im Format («Wetten Dass», ESC oder so). Ansonsten schaue ich Sendungen eher nach.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja. Einen Lieblingspodcast habe ich aber nicht. Einer meiner Favoriten ist der Podcast «Aha! Zehn Minuten Alltags-Wissen» der «Welt». Ausserdem höre ich: «Quarks Daily», «Ballaballa-Balkan», «Hinter der Schlagzeile» von CH Media, «Das Wissen»  des SWR, «Tagesanzeigerin» oder «NZZ Akzent». Fan bin ich auch von aufwendigen Produktionen wie «SchwarzRotGold: Mesut Özil zu Gast bei Freunden», «NDA: Die Akte Kasia Lenhardt» oder «Wirecard: 1,9 Milliarden Lügen».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Dass wir verschlafen haben! Offensichtlich haben wir es verpasst eine Erzählweise zu schaffen, welche die Jüngeren anspricht. Folglich müssen wir uns nun anstrengen, Nachrichten einem jüngeren Publikum zugänglich zu machen. Dafür müssen wir uns schneller von alten Mustern lösen und mit den neuen Mitteln/Werkzeugen arbeiten. Wieso also nicht Publikationskanäle, wie Social Media für unsere Ziele nutzen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ein Teil der Texte wird sicher von Robotern geschrieben werden. Ich glaube aber, dass dies zunächst nur für kurze Newstexte, Spielberichte oder Polizeimeldungen der Fall sein wird. Ob Roboter irgendwann auch Reportagen, investigative Recherchen oder Porträts schreiben können, bezweifle ich. Dafür wird es immer den Faktor Mensch brauchen. Ein Roboter kann doch nie die Mimik, die Gestik, die Gerüche oder auch eine Stimmung nachempfinden. Und vor allem kritische Fragen stellen. Dafür braucht es ein soziales Wesen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Zum Tod sicher nicht. Die Digitalisierung entwickelt unseren Beruf einfach weiter. Wir erhalten neue Werkzeuge mit welchen wir arbeiten und unsere Geschichten umsetzen können. Ob das zur Befreiung des Journalismus beiträgt, finde ich schwierig zu beurteilen. Die Zukunft wird es zeigen.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Wenn ich sehe, wie viel die Techgiganten absaugen und Medienhäuser sich ständig deren Bestimmungen beugen müssen, werden wir früher oder später nicht drumherum kommen. Allein schon, um die Medienvielfalt zu bewahren.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja. Eigentlich noch sehr oft. Es hat etwas Beruhigendes, finde ich. Zudem kann ich meine Augen etwas ausruhen vom ständigen Starren in den PC- und Handybildschirm.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Teils, teils. Vielen Medienhäuser hat er gute Klickzahlen beschert. Ein Trump polarisiert immer. Persönlich finde ich, dass aufgrund seiner Person der Fokus auf Dinge gerichtet wurde, über die wir uns früher vielleicht nicht so häufig Gedanken gemacht haben. Zum Beispiel Fake News und Faktenchecks.

Wem glaubst Du?

Immer mehreren Quellen, nie nur einer einzigen.

Dein letztes Wort?

Wir müssen unseren Mitmenschen noch stärker vermitteln, wie wichtig Journalismus ist. Persönlich würde ich mir wünschen, dass unser Beruf mehr Anerkennung erfährt. Das ist nicht einfach ein Job, den Jedermann ausüben kann. Vor allem steckt hinter gut recherchierten und faktenbasierten Texten viel Arbeit. Und diese ist nicht gratis, sondern muss fair entlöhnt werden.


Alexandra Pavlović
Alexandra Pavlović (37) hat populäre Kulturen, Publizistik und slawische Sprachwissenschaften an der Universität Zürich studiert. Nach dem Studium stieg sie 2013 als Praktikantin in den Journalismus ein und lernte ihr Handwerk in der Lokalredaktion Rorschach. Anschliessend absolvierte sie das Volontariat beim «St.Galler Tagblatt» und wurde Online-Redaktorin. Nach einigen Jahren übernahm sie die Verantwortung und Weiterentwicklung der dortigen Social-Media-Kanäle. 2021 wurde sie stellvertretende Leiterin der Onlineredaktion des «St.Galler Tagblatts» und absolvierte berufsbegleitend den Executive Master of Arts in Journalism an der Hamburg Media School. Seit gut einem Jahr ist sie Head of Social Media bei CH Media und zusätzlich als Online-Tagesleiterin (CvD) tätig, wo sie vor allem für nationale und internationale Themen zuständig ist. Seit Mai 2024 ist sie neu im Vorstand des Vereins «Qualität im Journalismus» (QuaJou).
https://www.tagblatt.ch/


Basel, 5. Juni 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 280 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

Wenn Sie kein Fragebogeninterview verpassen möchten,  abonnieren Sie einfach meinen Newsletter. Das kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen «Medienmenschen» sowie den aktuellen Wochenkommentar, einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman: www.matthiaszehnder.ch/abo/

Ein Kommentar zu "Alexandra Pavlović: «LinkedIn ist für mich das neue Facebook»"

  1. Auf die Frage: „Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?“ antwortet Alexandra Pavlović, Head of Social Media bei CH MEDIA: „100 Jahre, ich glaube aber, dass sie früher oder später nicht mehr täglich erscheinen werden, sondern nur noch ein- bis zweimal pro Woche.“
    Immerhin – dann kann ich mich ein- bis zweimal pro Woche auf etwas freuen.
    Bei Oliver Steffen im „Talk-Täglich“ auf TeleZüri (von CH MEDIA) sagte Peter Wanner (Senior-Chef von CH MEDIA) auf dem Türmli seines Schlösslis in Würenlos auf diese Frage: „100 Jahre, ich glaube aber, dass sie früher oder später nicht mehr täglich erscheinen werden, sondern nur noch ein- bis zweimal pro Woche.“ Michael Wanner (Junior Chef von CH MEDIA) sagte im „Persoenlich“-Interwiev letzthin auf diese Frage: „100 Jahre, ich glaube aber, dass sie früher oder später nicht mehr täglich erscheinen werden, sondern nur noch ein- bis zweimal pro Woche.“ Und so weit ich es in Erinnerung habe, sagte Florian Wanner (Co-Junior-Chef von CH MEDIA) im Gewölbekeller des Weingutes Würenlos als Antwort: „100 Jahre, ich glaube aber, dass sie früher oder später nicht mehr täglich erscheinen werden, sondern nur noch ein- bis zweimal pro Woche.“
    Dann ist ja alles gut. Alle und alles sind sich wieder mal einig….

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.